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09.07.2007

Andi gegen die Fliege

Die Fliege

Hier geht es zum Verdruss meiner entomologischen und auch meiner cineastischen Leser weder um das nervige Insekt noch um den gruseligen Horrorfilm mit Jeff Goldblum, sondern um die dafür noch viel nervigere und gruseligere Fliege aus dem Fernsehen, die Fliege Jürgen.

Da war ich also im Mai auf einem Kolloquium zur "Religion und Integration in Europa" bei der Theodor-Heuss-Stiftung in Stuttgart, und nach der Begrüßung durch die Organisatoren mit klingenden Namen, Ludwig Theodor Heuss und Beatrice von Weizsäcker, sprachen zuerst die diesjährigen Theodor-Heuss-Preisträger Rita Süssmuth und der Reis-ul-ulema Mustafa Cerić, der Großmufti von Bosnien und Herzegowina, zum Publikum.

Es ist immer interessant, Prominente einmal "in Wirklichkeit" zu sehen. Außer dem kleinen, beruhigenden Schock, dass sie tatsächlich echte Menschen sind und keine Roboter oder Hologramme, ist es für mich ausgesprochen spannend, sie einmal aus der Nähe beobachten und vielleicht dahinterkommen zu können, was sie ticken lässt. In Rita Süssmuths Fall scheint es selbst (unter Helmut Kohl?) erfahrene Ausgrenzung zu sein, die sie für in anderen Zusammenhängen gleich Behandelte eintreten lässt, und der hochgebildete, bewundernswert klar denkende und sprechende Großmufti wird offenbar von einem gerüttelten Maß Sendungsbewusstseins und Eitelkeit getrieben:

I thank you for those kind words of welcome.
It is good that my wife is here with me today so she can for once hear who I am.

(Lachen)

Unübertroffen und unübertrefflich in Eitelkeit, Narzissmus und Vanitas aber ist der als nächstes das Podium enternde multimediale Tausendsassa Jürgen "Stuben" Fliege. Braungebrannt, mit öligem Lächeln und bekannt samtener Stimme setzt er zu seiner Rede an, die man über sich rauschen lassen kann wie einen sanften karibischen Wellengang am feinsten Strand im schönsten Urlaub seines Lebens.

Die Fliege aus der Nähe

Oder man kann hinhören.

Und sich die Ohren freipopeln. Und die Augen rotreiben. Und den Unterkiefer vom Boden aufsammeln und das flüchten wollende Hirn durch die Nase zurückdrängen, weil man nicht glauben kann, was dieser scheinbar harmlose Fernsehonkel da sagt.

Wir Deutschen schrecken vor Gefühlen zurück, wegen dieser braunen Nazis.

Darum trauen wir uns nicht, leidenschaftliche Gottesdienste zu feiern.

Darum gehen wir nicht mehr in die Kirche.

Darum zeugen wir zuwenige Kinder.

Weil, so Prof. Dr. Fruchtfliege, nur Gläubige Kinder zeugen.

Und darum werden wir "weggezeugt", von diesen turbantragenden Muselmanen.

Schon mehr als "50%" Braune in manchen Schulklassen!

Deutschland erwache!!

Mein Stift bricht in meiner zur Faust verkrampften Hand fast entzwei, und ich überlege noch, ob ich jetzt zuschlagen oder nur buhen soll, da geht es leider schon weiter, und ein informativer Professor Bade aus Osnabrück und der eben eingeflogene Cem Özdemir berichten aus ihren Erfahrungen, bevor es nach einer halben Fragestunde in die Pause geht.

Kuchenstreusel versprühend und Kaffeeduft verbreitend, lasse ich mich dort gegenüber der derlei Ausbrüche gewohnten, mich erstaunlicherweise aber immer noch zu mögen scheinenden Freundin S. aus, wie unglaublich es ist, dass eine solch widerwärtige Demagogin, eine solch niedere Geistesmade, eine derartig perfide Hetzerin und Aufwieglerin wie die Pferdebremse auf Jahre unbemerkt in der Glotze und zwischen Buchdeckeln ihr Unwesen treiben kann, nur weil niemand von einem evangelischen Pfarrer mit wohligem Timbre Böses erwartet. Wie kann es sein, dass keiner aufsteht und der Fernsehfigur sagt, dass ihre sogenannten Gedanken nicht nur höchst zweidimensional und schwarzweiß sind, sondern auch und besonders schädlich für die Gesundheit?

S. weiß auch keine Antwort, aber schlägt vor, dass ich das doch dem Fliegenmenschen selbst sagen soll, in jener der drei anschließenden Arbeitsgruppen, in der er sitzen wird. Aber aus Rücksicht auf mein bekannt schwaches Herz, und weil ich in der Gruppe auch wirklich arbeiten will und nicht nur nach einem unbedachten Moment vom SEK BW auf den Boden gedrückt werden, und weil ich nicht glaube, einem so in seinem eigenen Spiegelkabinett verirrten Wesen wie Musca domestica noch heraushelfen zu können, und auch, weil zwanzig tatsächliche Zuhörer weniger sind als sechs Milliarden mögliche Leser, gehe ich in die Gruppe mit den Professoren Süssmuth und Bade.

Dort kann die geschätzte ehemalige Bundestagspräsidentin zwar auch nicht die mir seit längerem eher rätselhafte Frage beantworten, warum Integration und Migration politisch nicht richtig vorankommen, wenn die Probleme doch weitestgehend bekannt und in einigen Fällen sogar bis auf die Detailursache hinab wissenschaftlich untersucht sind, meine Vermutung ist ja, dass es mal wieder an der hierzulande so beliebten Ideologie liegt, die immer meilenweit vor jeglichem Pragmatismus kommt, aber die Arbeit ist trotzdem interessant, unterhaltsam und produktiv, und Klaus Bade erzählt sogar aus dem Nähkästchen, wie Rita Süssmuth von den Schergen eines gewissen Otto-Katalog unehrenhaft aus der nach ihr benannten Zuwanderungskommission gemobbt wurde. Die große Politik ist auch nur ein kleiner Sandkasten, wie alles.

So verlasse ich nach dem Schlussplenum den Tagungsort doch noch zufrieden, und mir bleibt nur ein leichtes Unbehagen, nicht genug gegen den braungebrannten Brandstifter aus dem Nachmittagsprogramm, die Fliege Jürgen getan zu haben.

Sei dies hiermit erledigt.

Die Fliege am Ende

3 Kommentare:

  1. Kann Deine Emotionen bzgl. der Calliphoridae (ganz allgemein) gut nachvollziehen, ich hätte diesbezüglich auch gewisse Bildvorschläge zum Artikel de.wikipedia.org/wiki/Bigotterie...

    Allerdings zu etwas anderem eine Frage: "wenn die Probleme doch weitestgehend bekannt und manchmal sogar bis auf die Detailursache hinab wissenschaftlich untersucht sind"
    Weißt Du da etwas, was ich nicht weiß? Ich las vielmehr im Wochenblatt meines Vertrauens, dass so etwas wie beispielsweise Lehrstühle für Migration (ich glaub, in Duisburg/Essen gibt's einen) eher noch eine Seltenheit sind... und dass die Problemlage erforscht sei, wäre mir wirklich eine Neuigkeit. Genau das ist nämlich auch meiner Einschätzung nach (neben, zugegebenermaßen, der ideologischen Diskussion, die aber auch durch das Sach-Diskussions-Vakuum so einen großen Raum einnimmt) das eigentliche Problem.

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  2. Es gibt tatsächlich Fälle, in denen wissenschaftlich untersucht ist, woran die Integration hierzulande scheitert. Aber es ist wohl noch zu optimistisch, von "manchmal" zu sprechen. Hab's entsprechend geändert.

    Allerdings glaube ich, daß selbst, wenn alles bis auf die Quantenebene erklärt wäre, einige ihre Parolen nicht ändern würden...

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  3. http://www.amazingflygun.com/main.asp

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