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08.12.2007

Knurd

Sie hat schöne, große saphirblaue Augen, doch ihr Ausdruck ist traurig. Ihre Haut ist talgig, und ihr schlecht geschnittenes Kleid drückt ihre Brust platt, und ihre vorspringende Stirn und ihre unrasierten Achseln und ihre hängenden Mundwinkel lassen sie aussehen wie eine jungsteinzeitliche Vorfahrin Angela Merkels. Sie ist nicht älter als vierzehn, und ich habe unangebrachtes, voyeuristisches Mitleid mit ihr, als sie die Klassenschönheit mir gegenüber fragt, ob der Platz neben ihr frei wäre, und die Schöne sie von oben bis unten mustert und an der nächsten Haltestelle aussteigt.

Ich sehe "Prinzessinnenbad", und ich weiß nicht, ob der Film eine anthropologische Dokumentation ist, wie von neugierigen Forschern, die sich für ein Jahr unter einen Indiostamm am Oberlauf des Amazonas gemischt haben, um seine völlig fremden und wundersamen Bräuche näher zu erkunden, oder ob er ein Wohlfühlvehikel für den Prenzlauer Berg ist, dass es auf ihm gänzlich anders zugehe als in Prenzlau und dass man hier oben darum keinesfalls etwas ändern müsse, oder ob er so etwas ist wie "The Grapes of Wrath" oder doch eher Science-Fiction wie "The Time Machine", nur aus der Perspektive der Morlocks, oder etwas ganz anderes, vage Beunruhigendes.

Ich bin in der Disco und das schlanke Mädchen, das an diesem Wochenende eine von vier Personen ist, die mit mir in einem Jugendherbergszimmer übernachten, fragt mich nach dem Schlüssel, und aus dem Augenwinkel sehe ich, was ihr Freund sein muss, in drei Metern Entfernung stehen und unser Gespräch beobachten, als würde ich gleich den Schlüssel zücken und ihr damit das Top zerreißen, und ich sehe, ich sehe zuviel.

Ich sehe zuviel und trinke einen Whisky, um nüchtern zu werden.

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