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28.04.2009

vidi, lexi, critixi

What you lookin' at?

Manchmal denke ich, meine häufigen Kritikeinträge schaden mir und meinem Blog, weil ich, statt originales Material zu produzieren und meine Kreativität und Gedankenschärfe zu schulen, nur den Output von anderen wiederkäue, und weil meine Leser denken müssen, dass ich außer zweiter bis fünfter Hand nichts zu bieten habe, und dann können sie auch weiter die Amazon-Rezensionen von sexytrixi69 lesen.

Aber dann denke ich, gute Filme und Bücher müssen gelobt werden und schlechte verdammt, um das Wahre und das Schöne in der Welt zu fördern, und wie sollen die Leute angesichts der schieren Masse an Werken sonst, so sie denn in einer berechenbaren Beziehung zu meinem Geschmack und meinen Argumenten stehen, wissen, was sie unterstützen und was sie liegenlassen sollen? Umso mehr, wenn die Menschen mich gerade wegen meiner Kritiken lesen. Außerdem kann Kritik auch Zweck an sich sein und über die Referenz hinaus neue, eigene Gedanken entwickeln, die Wichtiges über die Welt und das Leben sagen. Und schließlich macht Kritik mir immer noch jede Menge Freude.

Soviel als Kurzfassung meiner Theorie der Kritik. Und nun zur Praxis.

"Quantum of Solace": Bond küsst das Girl nur auf den Mund? Leider Öko- und Emo-Schrott.

"Warten auf Angelina": Alles, und ich meine alles, was an deutschen Filmen schlecht ist, ist in diesem Panoptikum des Grauens zu bestaunen. Kostüme, die die Heilsarmee weggeworfen hat. Schauspieler, die die Luft nicht wert sind, die sie veratmen. Eine Kamera, die von einem blinden, betrunkenen Orang-Utan bedient wird. Ein Skript, in dem die Hauptfiguren buchstäblich auf ihren weißen Ärschen sitzen und darauf warten, dass der furchtbar, furchtbar unwitzige Plot zu ihnen kommt. Und der Höhepunkt mit "Angelina" ist lahmer als das Jahrestreffen der Kriegsversehrten der Ostfront e.V. Auf jeden Fall meiden!

"Inkheart": Nicht viel zu sagen, außer dass diese Fantasyverfilmung zwar komplett durchschnittlich ist, aber weil sie aus Hollywood kommt, trotzdem tausendmal unterhaltsamer als "Warten auf Angelina". Made in America, Baby!

"Burn after Reading": Leute, die nicht wissen, was Liebe ist, jagen ihr hinterher. Unglück folgt. Nicht sehr toll.

"Twilight": EEEEEEKKKKK!! EDWAAAARD!!!! ICH WILL EINE ABTREIBUNG VON DIR!!!!!1 Aber der Film ist tatsächlich gar nicht schlecht. Kristen Stewart und Cedric Diggory spielen zart und natürlich, und die Reinterpretation des Vampirismus ist originell genug, um ein Gefühl guter Unterhaltung zu hinterlassen, auch wenn Edward Cullen später zum Muster eines abusive boyfriend mutieren soll. Aber er ist doch so süß ...

"Sieben Tage Sonntag": Die wahre Geschichte zweier Jugendlicher, die in der menschenleeren Ödnis einer fernen dystopischen Zukunft Leipzig ohne Motiv brutalstmöglich Rentner schlachten. Es mag wie eine mutige Idee des Regisseurs scheinen, sich jedem Erklärungsversuch zu verweigern, weil es eh keine Antwort gäbe yaddayaddayadda, aber im Ergebnis wirkt es nur wie feiges Schwanzeinklemmen und Betrug am Zuschauer. Wenn ich die Fakten ohne Interpretation haben will, lese ich den dpa-Ticker, in einem Film möchte ich eine Aussage sehen (und Brüste).

"Yes Man": Wie bei Adam Sandler gehe ich auch bei Jim Carrey in fast jeden neuen Film und vergesse dabei immer, dass die tatsächlichen Geschichten nie so gut sind wie ihre originellen Prämissen. So ist auch diese Story über einen Mann, der nur noch Ja sagt, eigentlich eine biedere Schmonzette. Und neben der Starpower selbst eines alternden Jim Carrey braucht es mehr Ausstrahlung als die der zwar niedlichen, aber auch ziemlich blassen Zooey Deschanel.

"He's just not that into you": Okay, dieser Film hat ein paar gute Ansätze. Obwohl es der gewohnt hölzerne und charismalose Ben Affleck ist, ist seine stockende Erklärung, warum er Jennifer Aniston nicht heiraten möchte, weil er sie nämlich auch ohne Ring und Siegel liebt, für Hollywoodverhältnisse fast schon revolutionär zu nennen. Sexy kid Scarlett Johansson macht mit dem aufstrebenden Bradley Cooper einen ziemlich guten Job. Und wer Drew Barrymore nicht liebt, hat kein Herz, wer härter als Harald Juhnke saufen, mehr Drogen als River Phoenix nehmen und danach immer noch so gut aussehen und das Leben lieben kann, kann nur ein großes Vorbild sein.

Bist Du auch so strunzedoof wie ich?

Aber dieser von ihr produzierte Film ist schrecklich frauenfeindlich.

Jennifer Aniston ist so verfangen im Traum, einmal eine Braut zu sein, und von den Sticheleien ihrer sogenannten Freundinnen so betroffen, dass sie Schluss macht mit Affleck, der sie wirklich liebt, so sehr, dass er am Ende sogar seine Überzeugungen opfert und ihr einen Antrag macht, um sie glücklich zu machen. Jennifer Connelly ist eine erstickende Mikromanagerin, die selbst die mehrfache absolute Arschlochhaftigkeit ihres Ehemanns verzeihlich erscheinen lässt. Scarlett Johansson ist eine labile Männerfresserin. Und die Hauptdarstellerin Ginnifer Goodwin ist so unsicher und hyperaktiv, dass man ihr gleichzeitig Valium und Kokain geben will.

Kann es in diesen Filmen keine coolen Frauen geben? Frauen mit Eiern? Die darauf scheißen, was ihre Freundinnen sticheln? Die Arschlöcher in den Wind schießen und in den Sack treten? Die autochthones Selbstbewusstsein haben und eigene Ideen, wie sie flirten und daten wollen, und es nicht von Daddy gesagt bekommen müssen? Kurz, Lizzy Bennets und nicht Blanche DuBois'? You know, nicht nur, weil es weit mehr Freude macht, Ersteren zuzusehen als Letzteren, sondern auch wegen Vorbilder geben, Leben in die Hand nehmen usw. Und wegen der Sexiness.

"Watchmen": Eine fast perfekte Verfilmung, und dafür ist tatsächlich der blaue Penis von Dr. Manhattan ein Indiz. Leider deswegen ein Flop. Also wegen der Perfektion.

"The Reader": Sex, Nazis und Kate Winslet - klingt wie ein Film für mich! Leider spielt meine immer noch liebste Schauspielerin die tumbe und plumpe ehemalige Auschwitz-Aufseherin Hanna Schmitz so gut, und die Liebesszenen mit dem begabten David Kross sind so naturalistisch, dass gar keine rechte Sexiness aufkommen mag. Vielleicht hat die L-förmige Bettdecke doch was für sich ...

Auch die Story von Bernhard Schlinks Bestseller hinterlässt keinen besonders guten Eindruck: Diese deutsche Auseinandersetzung mit dem Holocaust fühlt sich durchweg glatt an, glitschig und verlogen, ja geradezu falsch. Deutsche lesen deutsche Bücher, Deutsche halten deutsche Vorlesungen, und es hilft nicht, dass Bruno Ganz den Professor spielt, Deutsche sprechen deutsches Recht, und endlich liest ein Deutscher vor, wie der Holocaust zu verstehen ist, nämlich dass er nicht zu verstehen ist.

Klingt wie Exkulpation für mich.

Zwar raffinierte, mehrbödige und mehrfach selbstreflektierte Exkulpation, wie sie einem deutschen Juristen ansteht, aber letztlich doch keine andere Exkulpation als die des freiwillig glatzköpfigen abgebrochenen Grundschülers in Nordbrandenburg. Und warum soll man sich das dann ansehen, selbst wenn Ralph Fiennes und auch Lena Olin in einem leider viel zu kurzen Auftritt einen guten Job machen?

"Monsters vs. Aliens": Witzig, rasant, menschlich, vergesslich.

"C'era una volta il West": Ich hatte den echt bis Ostern noch nie gesehen! Und was habe ich verpasst!! Best. Movie. Ever? Ich will auch so ein Gesicht wie Charles Bronson, oder doch lieber wie Claudia Cardinale.

You lookin' at me, aren't you?

"Schuld und Sühne": Ah, ich möchte mein Leben lang nur russische Klassiker lesen, und dafür braucht man vielleicht auch das ganze Leben. Herzzerreißend, atemberaubend, reich und wahr, wahr, wahr.

"Dreams from My Father": Ein interessanter, manchmal fast lyrischer Einblick in das frühe Leben und die Gedanken des 44. US-Präsidenten Barack Hussein Obama, yaaaay!, der sich jedoch in der Mitte etwas zieht.

"The Film Club": Ein Vater lässt seinen Sohn die ungeliebte Schule abbrechen und bis fünf Uhr nachmittags schlafen, wenn er dafür jede Woche mit ihm drei Filme schaut, nach einer wahren Geschichte - klingt wie ein Buch für mich! Leider ist der Papa zwar ein guter und lehrreicher Filmkenner, aber auch ein eigenartig aufgeblasener, haarsträubend schlechter Lebensratgeber, und sein Sohn ist ein eifersüchtiger, mimosenhafter Taugenichts, dem man irgendwann nur noch die Crackpfeife aus der Hand schlagen und ihn ins Arbeitslager deportieren will, und das mir, dem Crackjunkie von Cannstatt! Sowas, sowas ...

Why yes Sir, I am!

27 Kommentare:

  1. Idiot! Hast den besten Film aller Zeiten nicht gesehen und trotzdem eine Seite mit Filmkritiken gemacht! So wertvoll und gut gemeint dein Engagement dort auch gewesen sein mag und war, so hast du doch nicht das Recht, anderen Filmen als denen der Amerika-Trilogie Sterne zu geben ohne die Trilogie je gesehen zu haben!
    Nach "Once upon a time in the west" gibt es keine Film mehr, der mir Begeisterung einhauchen mag. Wie traurig es doch ist, aus dem Kino zu wanken mit dem stechenden Gefühl, nicht mit den anderen Besuchern mitlachen zu können, da doch da mal jemand war, der am Ende in die Ferne ritt.

    Ja, Mundharmonika, einer der das Spiel beherrscht: "Irgendeiner wartet immer."

    Vorbild! Asket! Aktivist! Lover! Leader! Leidender! Musikant! Mein Prinz!

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  2. Leider nur mäßig hilfreich: Teils zu apodiktisch, teils beruht Deine Kritik auch auf Kriterien, die für mich wenig an der Qualität des Filmes ändern. Frauenfeindlich weil nur neurotische Charaktere dargestellt werden? Exkulpation? Ein Film braucht eine Aussage?? Die Filmgeschichte muss neu geschrieben werden und einige vormals für groß gehaltene Charaktere gehören vom Sockel gestoßen... (alternativ denkt A. L. um)

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  3. "He's just not that into you" will ein Datingratgeber für Frauen sein. Aber weil seine Protagonistinnen alle gestört sind, berät er aus schiefer Perspektive, mit frauenfeindlichem Ergebnis.

    Ja, Exkulpation. So kommt "The Reader" bei mir an.

    Und "Sieben Tage Sonntag" dreht sich um einen wahren Mordfall. Wo ist in purer Deskription der künstlerische Beitrag?

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  4. Zum Datingratgeber: Wenn die Männer dort nicht neurotisch dargestellt werden, verstehe ich zumindest Deinen Einwand.

    The Reader - ich kenne nur das Buch, das ich nicht besonders mag. Aber Exkulpation? Wo ist Schlinks culpa? Oder für wen sonst sollte er sich entschuldigen?? Leuchtet mir gar nicht ein.

    Und dass ein Film gar nicht in der Lage ist, NUR deskriptiv zu arbeiten, kann Dir jeder Dokumentarfilm-Regie-Student im ersten Semester bestätigen, das weißt Du aber eigentlich schon selbst. Wo ist der künstlerische Beitrag in Tarkowskis Stalker? Der bezieht einfach keine Stellung, unmöglich! ;-)

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  5. Die Männer in "He's just not that into you" sind weise und cool (I'm a Mac), ein bißchen steif, aber schwer in Ordnung (Affleck), ein bißchen goofy, aber ganz in Ordnung (Kevin Connolly) und ein betrügender Arsch, aber boys will be boys (Bradley Cooper). Sie werden längst nicht so negativ, unselbstbewußt und verloren wie die Frauen gezeichnet. Durch die Masse der Charaktere fällt die schiefe Perspektive besonders auf.

    Ich weiß auch nicht recht, wovon sich Bernhard Schlink persönlich exkulpieren müßte, aber weil ich immer mehr ein Anhänger der schönen Idee werde, daß das Leben und die Aussagen eines Autors nicht als vorrangige Interpretation eines Werkes akzeptiert werden müssen, bleibe ich bei meinem Eindruck, daß hier die Deutungshoheit über den Holocaust den Opfern aus den Händen gewunden wird, um die Täter zu entschuldigen.

    Zu "Sieben Tage Sonntag": Der Mord geschieht in völliger "Whaa?"-Abruptheit und Ansatzlosigkeit, als hätte der Vorführer versehentlich eine falsche Rolle eingelegt. Das kann man als cleveren fast schon Metakommentar zur letztlichen Unerklärlichkeit solcher Verbrechen, als schockierenden Einbruch des Bösen in den Alltag usw. usw. sehen. Oder eben als Cop-out.

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  6. a) Wenn das so ist, versteh ich Deinen Widerwillen.

    b) Warum Deutungs_hoheit_? Gibt es etwa nur eine legitime Perspektive?

    c) Immerhin zwei Deutungsmöglichkeiten, damit bin ich völlig einverstanden. Müsste ihn mir jetzt selber anschauen, um zu einem fundierten Urteil zu kommen. Aber das werde ich aufgrund Deines Abratens dann doch lieber lassen.

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  7. Natürlich gibt es nicht nur eine legitime Perspektive auf den Holocaust, aber daraus diese Geschichte zu machen, hat für mich etwas Verzerrtes und Unredliches, ein bißchen, als würde ein Mörder ein Buch über seine Taten veröffentlichen, angeblich, "um die Öffentlichkeit aufzuklären", in Wahrheit aber, um Geld zu machen.

    Für mich tut "The Reader" so, als wäre er eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Holocaust, aber in Wahrheit ist Auschwitz hier nur Kulisse für die Liebesgeschichte und die melancholischen Leiden der Hauptfigur, und wenn etwas Kulisse wird, ist es nur noch Hintergrund. Und damit das nicht so auffällt, darf Lena Olin am Ende in einem nicht schlechten Trick sagen, daß es keine einfachen Antworten und leichten Entschuldigungen gibt, daß die Shoah nicht den Deutschen gehört usw., aber für mich wirkt das wie ein "I have black friends too!", ein Token Jew als Schutzschild, um möglichen Einwänden zuvorkommen und dahinter weiter machen zu können, was man will. Kurz, falsch.

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  8. Ich kenne die Argumentation, finde sie aber unsinnig. Warum sollte eine Geschichte, deren eigentlicher Inhalt nicht die Shoah ist, nicht vor dem historischen Hintergrund der Shoah erzählt werden? Ich kann gut verstehen, dass die erste Reaktion darauf ablehnend ist, aber dieses Gefühl hat meiner Meinung nach keine haltbare Basis: "Der Vorleser" setzt sich eben nicht mit der Shoah auseinander. Dennoch wird sie nicht Kulisse, sondern bleibt Hintergrund, also etwas, das mit dem vordergründigen Geschehen in einer Beziehung steht, auch wenn diese nicht ausgearbeitet sein mag. Gerade Dein Vorwurf zeigt doch auch, dass es nicht nur um ein eigentlich belangloses Bühnenbild geht, sondern dass der historische Kontext die Wahrnehmung extrem beeinflusst.

    Deine Interpretation klingt für mich so, als würdest Du ein von Dir empfundenes Schuldbewusstsein auch von anderen einfordern - ist da was dran oder täusche ich mich?

    Wie gesagt, ich mag das Buch nicht besonders. Aber dennoch finde ich Deinen Vorwurf des "token jew" oder einer einhergehenden Verharmlosung der Shoah nicht zutreffend.

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  9. Hm, vielleicht habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt oder nicht ausreichend genau eingegrenzt, was mich an "Der Vorleser" stört. Noch ein Versuch:

    Geschichten mit dem Holocaust als mehr oder weniger präsentem Hintergrund sind natürlich okay, von "La vita è bella" bis "Sophie's Choice", und vielleicht kann man auch nur etwas über den Holocaust als Vordergrund erzählen, wenn man eigentlich eine andere Geschichte zu erzählen scheint. Ob das resultierende Werk dann eine Geschichte über die Shoah oder über etwas anderes ist, kann jeder wohl nur für sich entscheiden.

    "Der Vorleser" nun ist auf den ersten Blick eine traurige Liebesgeschichte, die als Vehikel für eine Meditation über den Holocaust genutzt wird. Doch ich glaube, es ist in Wahrheit andersherum: Der Holocaust ist das Vehikel, und meditiert wird über die Trauer der Hauptfigur. Das wäre zwar etwas gefühllos, so wie in "The Last King of Scotland" ganz Uganda nur Staffage für die Selbstfindung eines weißen Mannes sein soll, aber auch noch okay, solange es in "good faith" geschieht.

    Aber ich denke auch, "Der Vorleser" verzerrt und verstellt, mit dem Ziel der Exkulpation. Diese arme Analphabetin, sie wußte es doch nicht besser und wurde außerdem von ihren Mitwärterinnen gemobbt! Und sowieso können nur die Toten von ihr Rechenschaft fordern, wozu also brauchen wir irdische Gerichte?

    Und weil Schlink diese Unredlichkeit im Umgang mit seinem historischen Material zwar zu beabsichtigen scheint, aber auf einer anderen Ebene auch von sich selbst abgestoßen ist, absolviert er sich und seine Geschichte durch Lena Olins Pseudoeinwände. I have black friends too, I can't be racist. O.J. writes: If I did it.

    Klarer?

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  10. Es wird zunehmend verständlicher. Das ist ja schon mal schön.
    Dann kann ich auch genauer sagen, wo ich inhaltlich nicht folgen kann oder will. (Eben noch mal die Walser-Paulskirchenrede durchgelesen zum Aufwärmen.)

    Also gut. Klären wir nochmal:
    Exkulpation - Es geht also darum, dass irgend jemand angeblich an eine Schuld trägt, sich davon aber befreien will?
    Wer wäre das? Der Erzähler? Der Autor? Deinem Vorwurf zufolge "absolviert" sich ja Schlink selbst, also richtet sich der Vorwurf gegen den Autor. Aber von dem hast Du ja schon geschrieben, dass Du nicht wüsstest, wovon er sich "persönlich exkulpieren müßte". Also "absolviert er sich" oder jemand anderen? Und von welcher Schuld?

    Logisch scheint mir (und da ich glaube, dass Du das gemeint hast, werde ich einfach mal in die Richtung weiter argumentieren - korrigiere mich sonst): Die KZ-Wächter (und evtl. gleich noch die Schreibtischtäter etc. auch, aber das sei mal dahingestellt). Bei denen ist die Schuldfrage doch auch relativ klar: Sie bringen Menschen um, entweder direkt oder zumindest nicht sehr indirekt, vermutlich alle so, dass der Straftatbestand des Mordes einwandfrei angewandt werden könnte.

    Also: Schlink exkulpiert die KZ-Wächter. Und zwar indem er exemplarisch eine als die arme Kreatur hinstellt, die sie anscheinend ist: Analphabetin, selbst Opfer, irgendwie psychisch total neben der Kappe...
    Für mich gibt es aber einfach noch keine gute Entschuldigung ab, was er da schreibt. Es ist eher ein perverses (und bedenkenswertes) "ecce homo!" - auch das ist der Mensch und auch das doch irgendwie eine bemitleidenswerte Kreatur. Was soll man darauf entgegnen? "Trotzdem ist sie schuldig?" - Schwer da zu widersprechen, wenn man das Konzept von Schuld nicht ganz aufgeben will, wer ist schuldig, wenn nicht KZ-Wächter?

    Aber Schlink bestreitet die Prädikation "schuldig" eben nicht. Eher klammert er diesen Sachverhalt aus - das wirkt natürlich auch verstörend: Wie kann man NICHT auf jemand mit den Finger zeigen, von dem doch jeder weiß, dass er schuldig ist?* Das stört das Herdentier. Das Herdentier will, dass die schwarzen Schafe als solche gekennzeichnet sind, schon allein um zu wissen (und um zu wissen, dass die anderen Guten es wissen), dass es selbst ein gutes Schaf ist und dass es selbst nicht schuld ist am Bösen.

    Ich verstehe das: Ich will auch, dass irgendwelche bösen schwarzen Warlords in Afrika oder irgendwelche amerikanischen Waffenlieferanten oder irgendwelche deutschen Kriminellen schuld am Bösen sind. Weil ich, wenn ich weiß, dass es diese Bösen gibt, mich leichter unschuldig fühlen kann und nicht mit dem nagenden Gefühl abends ins Bett muss, dass ich eine System irgendwie mittrage, das... nein, lieber schlafen.

    Also: Wer ist schuld? Und wo exkulpiert ihn Schlink?


    * Das erinnert mich an die Frage: Wie kann man einen Mord (im Kino oder Theater) zeigen und nicht dazu sagen, dass es sich um was Verwerfenswertes handelt? Interessant dazu wären vielleicht die Überlegungen von Peter von Matt zum "moralischen Pakt", zu finden in "Verkommene Söhne, mißratene Töchter" (v. a. S. 36-39).

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  11. Ich definiere Exkulpation in diesem Zusammenhang als Versuch der Befreiung von wahrer oder auch nur gefühlter Schuld und/oder Verantwortung. Der Neonazi exkulpiert sich und die Deutschen, indem er sagt, daß höchstens 10.000 Juden gestorben sind, und sowieso hat Stalin usw. Und Schlink sagt entsprechend mit höherer, professoraler Sophistication, daß die arme Analphabetin es nicht besser wußte usw. Aber weil er im Gegensatz zum Neonazi spürt, daß das nicht richtig ist, gibt er sich selbst den Segen durch die Quotenjüdin.

    Das macht die Exkulpation aber nicht besser: Kate Winslet wußte nicht, was sie tat und wurde gemobbt, und ist es nicht eher Sache der Toten, sie zu richten? Und wie Professor Bruno Ganz sagt, ist das alles doch moralisch so komplex, und man muß sich auch in die Leute damals reinversetzen, wie kann man dann noch von Schuld sprechen? Wenn also nicht mal eine Wärterin in Auschwitz richtig schuldig ist, wer ist es dann? Somit müssen wir normalen deutschen Bürger uns schon gar keine Gedanken über unsere Schuld und Verantwortung machen, und außerdem sagt Lena Olin doch, daß es okay ist, solange sie nur Hannas Teebüchse behalten darf. Ein kleines Opfer für unseren Seelenfrieden.

    Aber Hanna Schmitz hat Schuld. Das Deutschland, für das sie in Auschwitz gearbeitet hat, hat Schuld. Es gibt in dieser Geschichte keine weißen Schafe. Und statt zum x-ten Mal zu hören, warum doch keiner schuld ist, hätte ich lieber eine Geschichte gesehen, in der die Figuren begreifen, daß sie Schuld haben, und was sie daraus lernen.

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  12. Zu Walser - Ich fasse seine Paulskirchenrede wie folgt zusammen:

    1. Free Mum... Rainer Rupp!
    2. Pointy-headed moralists suck! BTW: Brutus is an honorable man
    3. Ich will nichts mehr von Auschwitz hören, weil mir das wehtut. Schon gar nicht von blöden Buchkritikern! Schnauze!!
    4. Hoppla, das kann ich nicht so direkt sagen. Ähh, Auschwitz != Moralkeule, also deswegen nicht mehr verwenden, kthx?
    5. Öffentliches Gewissen = nur Symbolik. Wenn Ihr wissen wollt, was ich denke, lest meine Bücher, moralfags! (Hier hat er ausnahmsweise Recht)

    Peinlich.

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  13. Zuerst mal zu Deiner Walser-Zusammenfassung: Lustig, aber neben den relevanten Aussagen. Dass doppelbödige sich-selbst-mit-in-die-Betrachtung nehmen (und weiter die Betrachtung dieses Vorgangs selbst) scheint Dir komplett zu entgehen oder egal zu sein.

    Gerade die so gern losgelöst zitierte Phrase von der "Ausschwitz-Keule" weist doch auf ein wirklich virulentes Problem hin: Aus Erinnerung wird Routine, aus moralischer Mahnung wird Moralismus und letzten Endes Manierismus. Und gerade das Lippenbekenntnis hat am wenigsten Bekenntnischarakter.

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  14. Das Metageschwurbel? Eitle Obfuskation, um die eigene Eitelkeit zu obfuszieren.

    Und die Auschwitzkeule mag ein wirkliches Problem sein. Aber darum geht es Walser nicht. Sondern um seine persönlichen Empfindlichkeiten: "Das Wort Auschwitz tut mir weh, also darf es niemand mehr verwenden."

    Unvorzeigbarkeit indeed.

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  15. Ich stelle mal meine längere Ausführung zum Vorleser hintenan, um den Walser-Chat weiterzuführen:

    Deine Aussage finde ich unsäglich und unverschämt (und das nicht nur wegen der Ulliteration), weil Du überhaupt nicht mehr versuchst, am Text zu argumentieren und ihn zu interpretieren, sondern Deine unwillkürliche Einschätzung als wahr postulierst - bis hin zu einer zitatähnlichen Paraphrase, die Deinem Hirn entspringend dem Kritisierten unterstellt wird - der auf dieser Basis natürlich ohne weiteres zu kritisieren ist.

    Wenn ich so etwas lese, werde ich ehrlich gesagt so wütend, dass ich dieses Vorgehen sogar zu kopieren versucht bin und Dir zu unterstellen, warum Du so etwas schreibst ("in Wirklichkeit"), aber ich beherrsche mich. Mühsam.

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  16. Disclaimer: Meine teils heftigere Kritik (s. u.) bitte ich als sachlich zu verstehen - bei aller Empörung.
    ---

    Zum Vorleser.
    Dein aktueller Beitrag krankt mEn an mehreren Stellen:

    "Exkulpation (...) als Versuch der Befreiung von wahrer oder auch nur gefühlter Schuld und/oder Verantwortung"
    In Exkulpation steckt erst mal nichts von Verantwortung und woher eine zwangsläufige Verbindung von Schuld und Verantwortung kommen sollte, müsstest du erst mal darlegen. Verantwortung kann man auch ohne Schuld wahrnehmen - und man kann sie auch trotz Schuld nicht wahrnehmen.
    (Abgesehen davon halte ich auch für unsinnig, zu schreiben, dass Exkulpation ein Versuch sei, das am Rande.)

    "Der Neonazi exkulpiert sich und die Deutschen, indem er sagt, daß höchstens 10.000 Juden gestorben sind, und sowieso hat Stalin usw. Und Schlink sagt entsprechend mit höherer, professoraler Sophistication, daß die arme Analphabetin es nicht besser wußte usw."

    Ich paraphrasiere: Schlink ist ein Holocaust-Leugner deluxe. Das ist aus mehreren Gründen unsinnig.
    1. Es ist etwas ganz anderes, die Shoa zu leugnen als zu sagen, dass die Täter (oder einzelne davon) unzurechnungsfähig seien. Das ist eine wichtige Unterscheidung, die nicht ohne Grund z. B. im Justizsystem klar durchgeführt wird. Und zwar deswegen, weil in ersterem Fall geleugnet wird, dass eine schuldhafte Handlung besteht, in letzterem Fall aber, dass sie einer bestimmten Person zugerechnet werden kann.
    2. "Schlink sagt" - noch immer scheint Dir die Trennung von Autor und Erzähler nicht ganz geläufig zu sein, was mich bei einem passionierten Theaterfan durchaus enttäuscht. Selbstverständlich kann sich der Autor nicht zur Gänze hinter dem Erzähler verstecken und so tun, als hätte er mit dem Erzählten nichts zu tun. Aber es gibt dennoch eine Mittelbarkeit, die einen seriösen Interpreten daran hindern sollte, Autor und Erzähltes zu identifizieren.

    "Aber weil er im Gegensatz zum Neonazi spürt, daß das nicht richtig ist, gibt er sich selbst den Segen durch die Quotenjüdin."

    s. 2.

    Im Ganzen führst du meiner Lesart nach eine Tabu-Debatte in der Art von "So etwas darf man nicht schreiben."

    "Und wie Professor Bruno Ganz sagt, ist das alles doch moralisch so komplex, und man muß sich auch in die Leute damals reinversetzen, wie kann man dann noch von Schuld sprechen?"

    Tatsächlich kann man auch dann noch ohne weiteres von Schuld sprechen, wenn man von der Perspektive einer für jeden bestehenden Verantwortung aus argumentiert. 'Dein Vater hat dich geschlagen? Tut mir leid. KEINE ENTSCHULDIGUNG dafür, Dein Kind zu schlagen.' So einfach. Wenn das Ganz entgeht, dann mag man das damit entschuldigen, dass er eben nicht Moralprofessor ist. Sondern Schauspieler.

    "Wenn also nicht mal eine Wärterin in Auschwitz richtig schuldig ist, wer ist es dann?"

    Eine sehr berechtigte Frage. Aber wo genau hast Du noch einmmal her, dass besagte Wärterin "nicht (...) richtig schuldig" sei? Also woher bei Schlink?

    "Somit müssen wir normalen deutschen Bürger uns schon gar keine Gedanken über unsere Schuld und Verantwortung machen"

    Das ist keineswegs eine logische Schlussfolgerung, schon gar nicht im (s.o.) fragwürdigen Sprung auf "Verantwortung". Entweder denkst Du hier unsauber oder Du argumentierst absichtlich unseriös - in jedem Falle ärgerlich.

    "Aber Hanna Schmitz hat Schuld. Das Deutschland, für das sie in Auschwitz gearbeitet hat, hat Schuld. Es gibt in dieser Geschichte keine weißen Schafe."

    Das ist gar keine so schlechte Lektion. (Und wer genau hatte etwas anderes behauptet?)

    Ach ja: Warum bist Du eigentlich so versessen auf "Schuld"? Ich frage deswegen, weil mir der Teil mit der Verantwortung so viel wichtiger ist.

    "Und statt zum x-ten Mal zu hören, warum doch keiner schuld ist, hätte ich lieber eine Geschichte gesehen, in der die Figuren begreifen, daß sie Schuld haben, und was sie daraus lernen."

    So ein Buch gibt es sicher. Such es, lies es, werde glücklich. Aber einem Autor vorzuwerfen, dass er nicht das Buch geschrieben hätte, dass Du gerne gelesen hättest und daraus einen allgemeingültigen Verriss abzuleiten, scheint mir eine kümmerliche Rezensionsleistung.

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  17. Aber die Paraphrase ist doch meine Interpretation. Und darauf baut meine Kritik auf. Wie soll ich Walsers Metaausführungen für bare Münze nehmen, wenn ich den Kern seiner Ausführungen nicht für eine "good faith"-Bemühung halte? Natürlich kann man die Einzelteile seiner Rede aus dem Kontext gelöst betrachten und so wahrscheinlich auch zu guten Gedanken gelangen, aber warum sollte ich den Autor in dieser Weise ehren?

    Freilich können meine Ausführungen ebenfalls durch vermutete sinistre Motivationen korrumpiert werden. Insofern wüßte ich schon gerne, was ich in Wirklichkeit denke :)

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  18. Und mein Vorwurf ist eben, dass Deine Paraphrase am Text vorbeigeht. Und dass Deine Interpretation zu kurz greift. Schließlich ist es eben nicht so, dass man sich letzten Endes mehr oder weniger willkürlich (oder zumindest intuitiv) dafür entscheiden müsste, ob Walser jetzt "good faith"-Bemühungen anstellt oder es ehrlich meint. Sondern es gibt eine sinnvolle Lesart, wenn man ihm Ehrlichkeit unterstellt und keinen aus dem Text herzuleitenden Grund, daran zu zweifeln. Belehr mich eines Besseren, wenn Du das kannst.

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  19. Walser:

    Ich unterstelle ihm eben nicht Ehrlichkeit, sondern eine Art Perfidie, die meines Erachtens auch im Text sehr gut ersichtlich ist, und das macht mich weniger gewogen, mich mit seinen Ausführungen auseinanderzusetzen. Die können freilich dennoch logisch und gut sein. Glaube ich hier aber auch nicht.



    Nun zum "Vorleser":

    Ich verwende Exkulpation wohl als umbrella term für alle tatsächlichen oder versuchten Befreiungen von Schuld und/oder Verantwortung. "Und/oder" heißt, daß Schuld und Verantwortung nicht zusammen auftreten müssen :P Wenn Du einen besseren Begriff hast, her damit.

    Entsprechend begehen der Holocaustleugner und Schlink für mich zwar beide Exkulpation, aber tun nicht dasselbe. Daß der Autor Schlink sich vom exkulpierenden Erzähler distanziert, ist eine Möglichkeit, erscheint mir aber als eine ferne. Gibt es im "Vorleser" Signale, daß wir nicht mit dem Erzähler sympathisieren sollen oder daß er unzuverlässig ist? Wenn es keine gibt, und der Autor trotzdem möchte, daß seine Leser nicht so denken wie sein Erzähler, wie kann er dafür sorgen? Besteht ohne Signale nicht die Gefahr, daß Leser die Argumentation des Erzählers als Modell übernehmen? Kurz, daß sie "Saving Private Ryan" wegen der goilen Splatterszenen schauen? Diese Gefahr ist doch schon mit den zehn Meter großen Neonzeichen in "Ryan" riesig ...

    Aber vielleicht denkt sich Schlink auch, daß er die Wahrnehmung seines Werkes eh nicht gut beeinflussen kann, also kann er Steuerversuche gleich bleiben lassen, und darum kann ich nicht ausschließen, daß Schlink anders als sein Buch denkt. Ich kritisiere auch nicht primär den Autor, sondern sein Werk.

    Und in diesem Werk drängt sich mir der Eindruck auf, daß Hanna Schmitz eher ein Opfer der Umstände ist als wirklich schuldig, und in einem zwar nicht logischen, aber wahrscheinlichen, rhetorischen Schluß sind es dann auch die anderen Deutschen nicht. Und wenn niemand sich schuldig gemacht hat, muß sich auch niemand verantwortlich fühlen. Exkulpation vollbracht, Seelenfrieden hergestellt, Lena Olin macht den Deckel drauf.

    "Geh doch rüber" ist dann insofern kein gültiges Argument, als daß der "Vorleser" dadurch ja nicht verschwindet. Sondern weiter wirkt ...

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  20. Ersichtliche Perfidie? Na dann, her mit den Textstellen!

    ---

    Bessere Begriffe:
    Exkulpation: Befreiung von tatsächlicher oder unterstellter Schuld.
    Befreiung von Verantwortung: Im Kontext nicht sinnvoll.
    Versuch der Exkulpation: Versuch der Befreiung ...

    Es gibt erstmal keinen Grund anzunehmen, dass sich ein Autor mit seinem Erzähler gemein macht. Schließlich handelt es sich nicht um eine Autobiographie - da wäre diese Annahme sinnvoll.


    Und was genau ist das Problem, wenn die Erzählweise als Modell übernommen wird? Ich zumindest gehe von einem mündigen Leser aus, der durch das Lesen vielleicht ein weiteres Denk-Modell erwirbt, aber dadurch nicht die Möglichkeit verliert, es mit anderen Denk-Modellen zu vergleichen und kritisch abzuwägen. Wenn Du nicht von einem mündigen Leser ausgehst, müssten wir vermutlich erst darüber diskutieren (und das vorliegene Hauptproblem wäre ein anderes). Wenn Du es aber tust, bitte ich um die Erklärung, warum das Kennenlernen eines weiteren Denk-Modells etwas Schlechtes ist. Ganz krass gesagt: Dadurch, dass ich das Argumentationsmodell eines Mörders kenne, kann ich erst begründen, warum ich sein Denken (und das daraus resultierende Handeln) falsch finde. Auf Basis meines eigenen Argumentationsmodells wäre das trivial. Und insofern entspricht Dein Einwand gegen ein Werk, WEIL es ein Dir unliebes Denk-Modell präsentiert, einer Art Denkverbot.

    Zur Darstellung der Hanna Schmitz: Ist sie unplausibel? Unwahrscheinlich? Konstruiert? Letzteres finde ich durchaus - aber das heißt noch lange nicht, dass es nicht vermutlich so einen (wahrscheinlich mehrere) derartig oder ähnlich beschaffenen Fall gab - zumal bei der leider recht großen Anzahl von KZ-Wärtern. Daraus folgt aber vor allem Eines: Wenn sich Dir die Besagte als Opfer der Umstände aufdrängt - wo liegt das Problem? Meiner Meinung nach in der Vorstellung, dass ein Mensch soweit Opfer seiner Umstände sein könnte, dass man ihm daher keine Verantwortung für sein Handeln mehr zusprechen könnte. Und eben das kann nicht der Fall sein, wenn wir uns in unserem Menschsein als frei verstehen wollen. Aber, und jetzt ganz wichtig: Dieses Problem kommt nicht daher, dass Schlink einen entsprechenden Fall beschreibt, sondern dieses Problem besteht in der Welt - und dass ein Autor DICH mit der Nase drauf stößt, kan Dich natürlich stören, weil sich die wenigsten freuen, wenn sie auf Probleme gestoßen werden, aber es ist doch eigentlich eher ein Verdienst, als etwas, was ihm vorgeworfen werden könnte.

    Insofern ist "Geh doch rüber" tatsächlich überhaupt kein Argument, da ja die Sache das Problem ist und nicht ihre Darstellung. Aber genau deswegen ist auch nicht Schlink der Böse, sondern höchstens der Überbringer der schlechten Botschaft.


    Verdammt, jetzt argumentiere ich tatsächlich stundenlang für ein Buch, das ich eigentlich gar nicht mochte... ich muss es wohl doch noch mal lesen.

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  21. Wie "Der Vorleser" zu argumentieren ist natürlich erlaubt, da ist jeder frei. Ich finde die Argumentation nur schädlich und falsch. Schädlich und falsch deswegen, weil es hier meines Erachtens nicht um Verantwortung geht, die ist klar, sondern um Schuld, die weggeschoben werden soll.

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  22. Nun zu Walser. Es fängt ja schon an mit den Metaüberlegungen am Anfang - für mich ein Mittel, um sich von sich selbst und seinen Aussagen zu distanzieren und Pseudoobjektivität wie auch nachträgliche Distanzierungsmöglichkeit herzustellen. "Schnauze Jude!!" - "Heh, war doch nur ein Witz ;)"

    Dann das mit den "schätzenswerten Intellektuellen", "bedeutenden Denkern" und "Dichtern", die so "ganz und gar seriös" und "Geistes- und Sprachgrößen" sind und in der "intellektuell maßgeblichen Wochenzeitung und unter einem verehrungswürdigen Namen" publizieren: Brutus is an honorable man, we get it. Aber wir Walsers im einfachen Volk wissen es besser als diese Rabulistiker. Und wir haben genug von ihren moralischen Zeigefingern. Laßt uns endlich in Ruhe mit Auschwitz!! (donnernder Applaus)

    Weiter: Ich habe anhand "genauester Quellenkenntnis" über Juden geschrieben. Und dann wagt so ein Intellektueller, mir "Verharmlosung von Auschwitz" vorzuwerfen? WTF? Ein anderer Intellektueller (Andreas Isenschmid), schaut doch nur sein blödes Knautschgesicht, wirft mir vor, daß in meinem Buch "Auschwitz nicht vorkomme". Halt's Maul, moralfag! Auschwitz ist keine Keule!! (stehende Ovation, Ohnmachten usw.)

    Selbstdistanzierung, zynisches Niedermachen, "Ey guck Dich mal an": Ist es ein Wunder, daß ich Walsers Worte nicht für ehrlich halte?

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  23. Bullshithunting braucht Zeit, man muss Geduld haben. Und man kann nicht überall gleichzeitig sein. Aber hier habe ich mir doch etwas lange Zeit gelassen... Sei's drum, los geht's mit meiner Gegenpolemik.

    Du hast was gegen Meta-Überlegungen? Etwas dagegen, einen Inhalt von Personen losgelöst (distanziert) zu betrachten im Versuch, ihm gerecht zu werden? Ich verstehe also richtig: Du hast was gegen Denken (= "die Perspektive wechseln" nach Heidegger (fang jetzt bloß nicht an...))! Wundert mich, ich schätze Dich eigentlich anders ein.

    Und was heißt da "Pseudoobjektivität"? Überlegungen intersubjektiv nachvollziehbar zu machen ist doch ein lobenswertes Verhalten, um das Gelingen eines Diskurses zu befördern.
    Oder willst Du Denkverbote, die installiert werden sollten? Würde mich auch wundern.

    Ich verstehe auch nicht, dass ein sonst so der Differenzierung fähiger Mensch wie Du nicht unterscheiden kann (oder mag) zwischen einer Kritik an der Instrumentalisierung eines Gedenkens und der positiven Einstellung gegenüber dem Gedenken an sich - Walser ist hier doch eigentlich hinreichend klar.

    Insofern: Ob es ein Wunder ist, weiß ich nicht, aber ich bin zumindest sehr verwundert, dass Du Walsers Worte nicht für ehrlich hältst.

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  24. Ich habe jetzt auch etwas länger für die Antwort gebraucht, aber nicht so lange wie Du :)

    Ich habe nichts gegen Metaüberlegungen und Objektivität an sich, im Gegenteil. Aber ich denke, ich habe in diesen Kommentaren bereits hinreichend belegt, warum ich denke, dass Walser diese eigentlich nützlichen Werkzeuge für das üble Ziel mißbraucht, dass er mit Auschwitz in Ruhe gelassen werden will.

    Ob es nun aber eine "Auschwitzkeule" gibt oder nicht, ist eine andere Frage, und eine durchaus interessante. Dass Walser sie aufgeworfen hat, war insofern gut, aber sein einseitiges Interesse gibt seinem Vorstoß schon ein Geschmäckle. Andererseits werden wichtige Diskussionen und nützliche Initiativen oft von Menschen angestoßen, die stark persönlich von einem Thema betroffen sind, z.B. die Björn-Steiger-Stiftung ...

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  25. Um die Freuqenz mal weiter zu steigern:

    Du hast belegt, warum Du das denkst? Zumindest nicht so, dass es mir einleuchtend geworden wäre. Ein Verweis auf die entsprechenden Textstellen zu meiner Erleuchtung wäre nett. :-)

    Und was meinst Du mit "einseitigem Interesse"?

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  26. Ich kann nichts dafür, dass Du meine kristallklaren Ausführungen nicht durchschaust :-)

    Die meisten Stellen aus Walsers Rede habe ich in diesem Kommentar zitiert, wage es nur nicht, mich zu bitten, Zeile für Zeile durch die Rede zu gehen, sonst mache ich das am Ende noch! Dann könnte ich Dir auch erklären, was sein einseitiges Interesse ist ;)

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  27. Nichts liegt mir ferner, als so etwas zu verlangen! Deine besagten Ausführungen sind allerdings bislang keine Ausführungen, sondern Unterstellungen. Du kritisierst Meta-Überlegungen - wobei Du später einräumst, dass Du nichts prinzipiell gegen sie hast -, Du unterstellst eine Mark-Anton-Strategie - ohne dass entscheidende, nämlich eine Anklage/Aufhetzung anführen zu können -, Du behauptest, Walser wolle mit Auschwitz in Ruhe gelassen worden - und wendest nichts gegen seine Argumentation ein, dass "Auschwitz" nicht die Antwort auf alle, schon gar nicht ästhetische (denn darum geht es Walser doch offensichtlich in erster Linie, wenn er ein Buch schreibt), Fragen sei.

    Also: Entweder Du versuchst es nochmal mit Argumenten oder Du behauptest nur weiter. Für letztere Variante brauchst Du es allerdings nicht tippen, da kannst Du es gerne auch nur Deiner Tapete erzählen. :-P Und ob Du für erstere Variante beschließt, Zeile für Zeile durch den Text zu gehen oder ob Du Dich an inhaltlichen Gliederungen entlanghangelst ist mir egal. Ich freue mich in jedem Fall, falls was Substanzielles kommt.

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