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03.07.2009

Nerd

Tage und Tage im Computerpool, tippen und tippen von neun bis neun. Je später die Zündung, desto mehr Schub ist nötig, um schnell in den Orbit zu klimmen. Aber es ist gut, am Abend kann ich die Sterne sehen.

Wer Sonnenuntergangszeiten für Stuttgart googelt, ist doof.

Ein Nerd, den ich aus meinen Italienischkursen kenne, ist auch fast jeden Tag da. Er spricht auch Französisch, zu einem Mädchen einen Computer entfernt, wie sein Italienisch grammatisch und vokabularisch richtig, aber seltsam künstlich, trocken, wie ohne Seele. Er trägt schwarze Schuhe und schwarze Socken, hat dünne weiße Beine in schwarzen Shorts, ein gestreiftes Poloshirt, eine Brille und Haar wie blonde Stahlwolle. Seine Stimme ist eher hoch, und manchmal springt er auf und hilft.

Er hilft Mädchen, sich einzuloggen.

Er hilft Mädchen, sich auszuloggen.

Er hilft Mädchen, Dokumente zu drucken.

Er hilft Mädchen mit USB-Sticks und mit Laptops, mit Büchern aus der Bibliothek und mit schweren Tragetaschen.

Er hilft, Mädchen.

Und nach jeder Hilfe ist es, als dehnte er sich ein bisschen aus, für eine Weile nur.

Nimmt einen Schluck aus seiner Colaflasche, wie Siegeschampagner.

Wirft ein Blatt Papier in den Müll, wie Jordan.

Sieht sich um in seinem Revier, wie König Simba.

Er sieht sogar ein bisschen aus wie Simba.

Wie das Löwenjunge Simba.

Der Nerd im Pool

Ein Mädchen kommt, blumengemustert ihr Kleid, rot ihr Haar, in ihrer Art ein wenig wie Chloë Sevigny, killer legs, butter face, was denn, ich bin nur ehrlich, ich liebe doch Chloë Sevigny, wie kann man auch nicht, jedenfalls sind alle Plätze belegt, und sie setzt sich auf die Wartebank, und kaum eine Minute später dreht der Nerd sich zu ihr um.

Zu schnell.

Don't do this, boys.

Der Nerd dreht sich so schnell um, wie der studiVZ-Gründer Ehssan Dariani sich in diesem Fremdschämfilm in der Berliner U-Bahn umdreht, um zwei große Blondinen in sein OnanierVideoarchiv zu bannen, und dabei sogar eine der Frauen anrempelt. Ach, Fakebook-Dariani. Röntgen wäre nicht erleuchtender.

Der Nerd fragt, was Chloë braucht, und sie sagt, sie müsste nur was drucken, und er überlässt ihr mit einer in seinen Gedanken weltmännischen Geste seinen Account und tut so, als läse er ein Buch, während sie sich bedankt und ein paarmal klickt, noch vor Sekunden lag seine Hand auf derselben Maus!

Sie ist fertig und bedankt sich nochmal, und wahrscheinlich, damit sie weiß, welches Benutzerkürzel sie am Drucker auswählen muss, reißt er ein Stück Zettel ab und schreibt etwas darauf, vielleicht sein Kürzel, vielleicht seine Nummer, vielleicht eine Zeichnung ihrer Vulva, und gibt ihn ihr, und sie bedankt sich ein drittes Mal, und als sie an meinem Platz vorbei zum Drucker geht, spielt sich das wunderbarste Schauspiel in ihrem Gesicht ab, Verwunderung, Ekel, Dank, Erleichterung und Verstehen, auf mehrere Weisen Verstehen in einer Viertelsekunde.

Ich möchte Regisseur sein, und wie Sergio Leone nur Großaufnahmen von Gesichtern vor überwältigenden Naturpanoramen drehen. Vollkommene Kunst, vollkommenes Leben ...

Im Gesicht des Nerds stehen Ausdehnung und Zufriedenheit und nur ein bisschen Sehnsucht.

Das erste vergeht nach ein paar Minuten.

Das zweite später, am Nachmittag.

Nur das dritte wächst.

Tage und Tage.

12 Kommentare:

  1. Ich hab kein Mitleid mit sowas, kein Mensch ist festgelegt auf sein Leben, es gibt immer Wege und Möglichkeiten.

    Sich so einem Terminus hinzugeben ist schlicht feige. Simple as that.

    Das würde ich diesem Papiertiger sagen :]. Aber schön ausgedacht, beobachtet, verdichtet - was auch immer

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  2. Solltest du nicht lernen. Und seit wann bitte siehst du irgendwas in anderen Gesichtern?

    Es gibt viele solcher Loser. Wenigstens sitzt dieser in einer Uni und schleift sich akademisch. Solange er niemanden anfällt, ist doch alles in Ordnung. Er ist ja noch jung und hat alle Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln.

    Vielleicht solltest du einmal game-theory Bücher aus Versehen liegen lassen.

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  3. Gut beobachtet - Alltag in sovielen Computer-Pools...

    Realität und Schicksaal so vieler junger Männer in unserer Repuplik.

    Doch wie sieht die andere Seite aus?
    Großmachotum.... Prahlhans-Syndrom... (Denke an die Königsstraße oder Theo. Freitag abends um halb 11).

    Oder das andere Geschlecht?!

    Fehlen die richtigen Rollenvorbilder?

    Kan man drüber nachdenken oder auch nicht....

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  4. So what? Wenn ich anfangen würde, die Loser zu beschreiben, die ich so alltäglich beobachte, käme da sicher eine Menge Papier zusammen. Ich mach's aber auch deswegen nicht, weil mir der Gedanke unangenehm ist, selbst in einem entsprechenden Band (oder Blog-Post) abgehandelt zu werden. (Wofür es sicherlich Gelegenheiten gäbe. Bei Dir nicht?)
    Du hast also einen bemitleidenswerten Nerd beobachtet, der keine vernünftige Anmachstrategie weiß? So what?

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  5. Ach ja, nur am Rande:
    Der heutige Saturday Morning Breakfast Cereal ist fast schon passend.
    http://www.smbc-comics.com/index.php?db=comics&id=1567

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  6. Es würde mir auch was ausmachen, in einem Blogeintrag unvorteilhaft beschrieben zu werden. Aber solange die Darstellung nicht fehlerhaft oder unwahr ist, habe ich nichts dagegen. Ich schreibe auch selbst nicht nur Positives über mich ...

    Der Eintrag soll hauptsächlich keinen weiteren Zweck erfüllen, als meine Beobachtung zu beschreiben. Was man da hineininterpretiert, ist jedermanns eigene Sache :)

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  7. Wenn Nerds über Nerds schreiben, sieht das wohl so aus.... muahahahaha...

    ausserdem, wie schon einer meiner schlauen vorschreiber festgestellt hat, sollst du doch lernen. in 2 monaten ist abgabe und der nerd ausm computerpool würde das immerhin nicht vernachlässigen. also nimm dir ein beispiel!
    gruss

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  8. Was meinen meine Leser denn, was ich da den ganzen Tag tippe?

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  9. Den "Wortvogel" haste auch noch nicht so lange in der "Blogroll", oder?

    Wie bist du denn auf ihn gestossen?

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  10. Doch, schon eine Zeitlang. "Wortvogel" Torsten Dewi ist der Autor des "Science Fiction TV Guides" aus den 90ern ...

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  11. Tja, der Herr Lazar ist ja ganz schoen giftig...so hat man ihn ja gar nicht in Erinnerung...........

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  12. Wirklich interessant, was meine Leser alles in diesen Eintrag hineininterpretieren. Keep it coming!

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