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29.12.2006

Notfallpraxis

Husten, der vor allem und ausgesprochen nervig kurz vor dem Einschlafen in die Lunge und die Stirnhöhle explodiert, als wäre ich neunzig Jahre alt und würde im Hafen von Batavia syphilitisch zerfressen mein Restleben rasselnd aushauchen, während mich meine achtundvierzig schwarzen und gelben Kinder beweinen und der javanische Schamane die Zukunft aus angenagten Hühnerknochen liest. Keines der üblichen Mittel, Schröpfen mit Egeln, Opfern mit Kleintieren, Sex mit Jungfrauen hilft, es kommt sogar noch ein arger Schnupfen hinzu, diese Rotzkinder von heute putzen sich auch nie die Nase, und so fahre ich vor dem Wochenende in die dramatisch klingende Notfallpraxis der Stuttgarter Ärzteschaft im Marienhospital.

Und bin augenblicklich begeistert, weil es darin genauso aussieht, wie man es sich aus Ärzte- und Polizistenserien vorstellt, genau so: verblichen lachsfarben bezogene Sitzgruppen, überdimensioniert Trost spendende Tropenpflanzen, halb indirektes Neonlicht, hetzende Ärzte, sanfte Krankenschwestern, blinkende Aufzüge, und einmal wird sogar der Weihnachtsmann zur Beinoperation vorbeigefahren, der Arme.

Aber am Besten, am Lustigsten, am Allerfarbigsten sind die Notfälle, die Patienten, das "Krankengut", wie es auf Informationstafeln zur Schwierigkeit laparoskopischer Cholezystektomien bei morbid Adipösen heißt, sie sind offenbar nicht schwerer als bei Normalgewichtigen, wenn man nur einmal fünf Pfleger gefunden hat, die das Krankengut auf den OP-Tisch wuchten. Gute Nachrichten also für die niedliche Transferempfängerfamilie auf der anderen Seite der Sitzgruppe vor mir, Babar der Elefantenkönig, Medizinball, Kind, und für den jungen, langsam ansetzenden Rocker mit Tätowierung und Totenkopfmütze, der seine wohl magenverstimmte Freundin zärtlich streichelt, der große Gleichmacher eben, auch für den Begleiter der stadtbekannten obdachlosen Punkerin, der sie, die mindestens eine Lungenentzündung zu haben scheint, am Ende rührendst auf Händen zu den Ärzten trägt, mit schlackerndem Tupac-Shirt und klingendem, riesigem Bling-Bling. Von den, Entschuldigung, aber Hunter Thompson hat auch nie gezögert, Sozialpädagogenlesben, die ihre nicht mehr gehfähige Freundin mit Galgenhumor aufmuntern, es gibt tatsächlich einen Bestatter direkt gegenüber des Krankenhauses, just-in-time delivery for the win, und dem ältlichen Ehemann, der seiner Frau ein Magazin aus dem entfernten Ständer holt, wenn auch sonst in der Ehe nichts und niemand mehr geht, gar nicht erst zu schreiben: Ich gehe höchst vergnügt und wenig hustend zur Behandlung.

Meine Ärztin ist Oma Duck. Im Kessel von Stalingrad muss sie ein wunderbarer letzter Anblick für zahllose zerfetzte Soldaten gewesen sein, das Alter hat ihrer Schönheit bis auf die üblichen Fältchen und Linien wenig anhaben können, ihr Dutt sitzt fest und doch nicht unlocker, und hätte sie ihre randlose Brille an, wäre ich mit Freuden Franz Gans, am Tag auf dem Felde schlafend Kraft sammelnd für den Abend, denn sie gehört tatsächlich noch zur Generation der abhörenden Ärzte, und der kompetenten. Vielleicht wäre ein Handkuss zur Verabschiedung besser gewesen, aber seit ich von der Masche erfahren habe, dabei mit der Zunge zwischen den Zeige- und Mittelfinger zu lecken und der Frau dann zu sagen, sie solle sich vorstellen, das seien ihre Schenkel, kann ich irgendwie nicht mehr unschuldig handküssen, und so gebe ich ihr nur die Hand und gehe zur Nachtapotheke zehn Straßen weiter, pfeifend.

In der Türjalousie der Apotheke ist tatsächlich eine Klappe, und der Apotheker hat tatsächlich einen unausgeschlafenen Zweitagebart und muss sich tatsächlich bis zum Wirbelsäulenschaden vorbeugen, um durch die Klappe sprechen zu können, nur sein nichtendenwollender Sermon, wie genau ich die Medikamente einzunehmen habe, vielleicht ist er froh, mal mit jemandem sprechen zu können, und natürlich die Mondpreise für die Zuzahlungen passen nicht ganz ins Klischee, vielleicht hätte ich zum Ausgleich mit verschwörerischer Stimme noch ein paar Noppenkondome ordern sollen, aber die letzten drei Jungfrauen hatten sich so beschwert und gleich von ihren Eltern abholen lassen.

Die Klappe geht wieder zu, und ich fahre gesundend heim. Ein schöner Abend.

28.12.2006

Barack Obama

Die "Zeit" und die "Süddeutsche" (Link nicht mehr aktuell) entdecken, weil sie beide aus dem gleichen "Time"-Artikel abschreiben, Barack Obama. Über zwei Jahre nach seiner Keynote auf dem Parteitag der Demokraten. Niedlich.

Aber apropos, ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Hussein Obama bleibt bis auf Weiteres weit wahrscheinlicher als ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Ümüt Onur Özdemir. Zu unserem Nachteil.

20 Jahre Tempo

Die selbsternannte Legende ist auf fast vierhundert Seiten für einmal zurück. Mit einem ziemlich geilen Titelbild von Kate Moss. Mit dem Anspruch, "beste Schreiber, beste Fotografen, beste Inhalte, beste Optik" zu bieten. Mit einem Who's Who des deutschen Journalismus im Impressum, Adorján, Goetz, Kiani, Schnibben, Seidl, Stuckrad-Barre, der übrigens immer noch ziemlich klasse schreiben kann, nur leider immer noch nur über ziemlich nichts, Tillmans, Timmerberg, von Uslar usw. Mit Sätzen wie

19 Penisse schnitten betrogene Frauen in den vergangenen zehn Jahren ihren treulosen Männern ab - meist während diese schliefen.

Männer, die aussehen wie Hüpfburgen und Frauen, die aussehen wie Männer, dumpfen hier gemeinsam durch den Sonntag, RTL2en ihre Lebenszeit weg, bis später dann "Bauer sucht Frau" im Fernsehen kommt; hier hat jeder Bauer seine Bäuerin, jedes Schwein seine Kuh schon gefunden.

Was so heiter und entspannt wirkt, wenn man im Prenzlauer Berg in die großen Glasfenster der Cafés schaut und dort die Web-Existenzen vor ihren Computern sieht, ist in Wahrheit so etwas wie der Blick in ein Aquarium voll von toten Fischen.

Nichts autochthoner als ein Lemberger, nichts frischer und fruchtiger als ein Sylvaner.

Vorsicht und Mittelmaß. Die Zukunft der Literatur muss diese Wörter für immer vergessen machen.

Mit Berichten über eine selbsterfundene "Deutsche Nationalakademie", die mit Hitlerzitaten gespickte Ehrendoktorantragungen an Prominente verschickt hat, 14 von 100 sagten zu, mit Michèle Roten, natürlich über Sex, überraschend über Counter-Strike, mit der halben Enthüllung, dass Frank Schirrmacher und Rebecca Casati turteln, da haben sich zwei gefunden, die einander vollumfänglich verdienen, die einander umarmen sollten wie Arthur und Mordred in "Excalibur", mit einer Erwähnung des Mapplethorpe-Fotos "Man in Polyester Suit", das wir beschämenderweise noch nicht kannten und gleich gegoogelt haben, wonach wir 14 Operationen brauchten, um unser Kinn, das auf den Boden gefallen war, wieder einzurenken, wieviel Hektoliter Blut muss der Mann in seinem Kreislauf haben, und am Ende gar mit einem Katalog von Forderungen, was alles anders werden muss, klug, dumm, nassforsch, weise, unsäglich, haarsträubend, geschwätzig, radikal und lustig.

Kurz, es ist ein Magazin, wie wir es selbst gern herausgegeben hätten.

Schade, dass es sterben musste.

Aber so ist das eben.

Der Donald disst die Rosie

Zum Totlachen.

27.12.2006

Vom Wolf

Der Beta

Wir hatten es hier ja erst zuletzt von ihm. Heute hat Vater W. eine interessante Geschichte vom Wolf erzählt.

In dem Dorf, in dem er aufwuchs, lebte ein Mann, den alle nur Farkasölõ nannten.

In dem Dorf in den Ostkarpaten.

Farkasölõ heißt Wolfstöter.

Ein Wolf fiel Farkasölõ an, von hinten, im Wald in den Karpaten. Doch Farkasölõ nahm den Wolf in den Schwitzkasten und presste ihm seine andere Faust tief, tief in den heißen Rachen. Er erstickte den Wolf und ging zurück ins Dorf, um seinen verletzten Arm vernähen zu lassen, und die Bewohner gingen in den Wald und fanden den Wolf und nannten den Mann Farkasölõ, das heißt Wolfstöter.

Sagt, in diesem Zusammenhang, Rosa von Praunheim, in einem Interview in "Zeit Campus":

Ich hätte jedes Mal kotzen können, wenn ich am Anfang eines Semesters in die satten Gesichter der Studenten geschaut habe. Die kommen alle aus bequemen, bürgerlichen Elternhäusern und haben keine Notwendigkeit, kreativ zu sein.

Sie haben einfach kein Thema. Wenn ich frage: "Was interessiert dich im Leben?", da kommt eigentlich nichts außer Privatleben.

Die meisten langweilen sich in irgendwelchen längeren Beziehungen und träumen davon, eine spießige Familie zu haben. Sie haben so wenig Leidenschaft.

Lesen wir weiter hinten im Heft von Ulrike Meinhof und ob und wie sie heute als Studentin vorstellbar wäre, und endet der Artikel mit den Worten:

50 Jahre später kann man sich die Studentin Ulrike Meinhof überraschend leicht auf einem heutigen Campus vorstellen. Die Studentin, wohlgemerkt. Die Terroristin nicht.

Und das ist der Moment, in dem wir das Heft hinschmeißen und tief grollen und die Autorin und ihren Chefredakteur und ihre ganze Generation von hinten anfallen und ihnen mit messerscharfen Raubtierzähnen den Nacken durchbeißen wollen.

Denn das ist das Problem, genau das Problem. Dass man sich die Terroristin nicht vorstellen kann. Dass man nicht verstehen kann, warum die Hochbegabte in Berlin aus dem Fenster springt und damit ihre Kinder verlässt und ihr Leben und buchstäblich in die Wüste geht. Dass man so satt und so bequem ist, dass man noch nicht eine Narbe erlitten hat, noch nicht einen Funken Leidenschaft gezündet, noch nicht einen Moment gelebt.

Noch nicht einen Moment mit dem Wolf gekämpft hat.

Und darum auch nicht weiß, dass zum Leben das Sterben gehört und das Sterben und das Töten manchmal nötig sind.

Ja, Ironie Supreme, heute morgen 82 untrainierte Kilos um den weißen Arsch, im Ikea-Drehstuhl quakend wie eine Kröte, wohlig beheizt und mit viel zuviel Freizeit, als gut für uns ist, über die verfettete Welt bloggend, mit jedem Finger, der auf die anderen zeigt, zeigen drei auf mich zurück. Und trotzdem.

Ja, die Baader-Ensslin-Bande und Meinhof haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, wie Lehrbücher, und als sie in der Wüste von Jordanien nackt sonnenbadeten, im Lager der Fatah, ausgerechnet im Lager der Fatah, als Deutsche, vor den Fedajeen, die in ihrem Leben noch nie eine nackte Frau gesehen hatten, hätte der Kommandant sie erschießen lassen sollen, alle und zurecht, und danach durch den Dreck schleifen lassen, und der Welt wäre einiges erspart geblieben. Und trotzdem.

Ja, es ist gut, dass man beim Spaziergang im Wald nicht mehr vom Wolf angegriffen wird und mit ihm um sein Leben kämpfen muss und stattdessen satt und bequem werden kann, es ist gut. Und trotzdem.

Und trotzdem heißt Leben Hunger. Heißt Leben Leidenschaft. Heißt Leben Sterben.

Heißt, den Wolf nicht zu vergessen.

Den Wolf im Nacken.

24.12.2006

Frohe Weihnachten

Hier geht's zwischen den Jahren weiter.

15.12.2006

666

Seine absurde Knollennase erzählt von der endlos klirrenden Armada von Flaschen und sein zerlebtes Gesicht von der ungeschminkten Wirklichkeit. Die Last beugt sein Haupt voll wirrem Haar, und auf seiner Stirn ist klotzig und schwarz "666" eintätowiert und zwischen seinen Augen ein umgedrehtes Kreuz, rot. Er unterhält sich in gebrochener Stimme mit einem kleinen Mädchen, das sich in der vollen Bahn neben ihn gesetzt hat, über seinen Schulweg und seine Weihnachtsferien und wünscht ihm eine gute Fahrt. Ich muss fast weinen.

14.12.2006

...voi ch'intrate

Ferngesehen habe ich ja auch. Und wenn das, was auf unseren Privaten am frühen Sonntag in tantalidischer Wiederholung läuft, Comedy, also Humor sein soll, war Adolf Hitler der größte Humorist der Welt.

Lasciate ogne speranza ...

Nach langer Zeit mal wieder ferngesehen und Radio gehört.

Nach langer Zeit, weil ich keinen Fernseher habe und nie Radio höre.

Ich habe keinen Fernseher, weil darin nur Scheiße kommt. Nur Scheiße.

Und ich höre nie Radio, weil ich nach spätestens zwei Minuten Jingles, Werbung, kryptofaschistischem Pop und wieder Jingles Mordphantasien entwickle, nach denen sich jeder Abmahnanwalt seine zehn schmierigen Gierfinger lecken würde.

Darum scheinen einige Entwicklungen im Fernsehen und im Radio an mir vorübergegangen zu sein.

Es ist alles noch viel, viel schlimmer geworden.

Da macht sich der "freche" Radiomoderator zurecht, aber sehr harmlos über Chad Kroeger lustig, die Frontwitzfigur der kanadischen Pantoffelrockband Nickelback, und seine an einen seit Monaten toten, halb von Geiern aufgefressenen Löwen erinnernde "Frisur" und über seinen Auftritt bei "Wetten, dass..?", diese Sendung hat auch nochmal mindestens einen Eintrag verdient.

Und was passiert? Natürlich rufen aufgebrachte Zuhörer an und beschweren sich über die Schmähungen, was zeigt, dass es offenbar nicht nur unter Bloggern Menschen gibt, die erstens zu viel Zeit, zweitens jeden noch verbliebenen Sinn für Verhältnismäßigkeit verloren und drittens dringendst eine oder auch zweihundert zurechtrückende Kopfnüsse mit dem Vorschlaghammer verdient haben, aber das Schlimme, das wirklich Schlimme ist, dass der Moderator nach dem nächsten Werbeblock kalt schwitzend zurückrudert und hastig beteuert, dass er es doch gar nicht so gemeint habe, auch Nickelback-Fans seien lebenswertes Leben, man solle Chad Kroeger nur dann ins Gesicht spucken, wenn sein Bart brenne, und warum bleiben wir nicht einfach alle Freunde, haha.

Erbärmlich.

Und bringt mich direkt zu Hape Kerkeling, Hans Haacke und Harald Schmidt, die in drei aufeinanderfolgenden Wochen in drei aufeinanderfolgenden, ansonsten übrigens sehr lesenswerten "Zeit"-Interviews in geradezu bestürzend aufeinanderfolgender Offenheit verraten, dass sie aus Angst vor "dem Islam" keine Witze und keine Kunst über ihn machen.

Und das ist auch erbärmlich.

Denn wer, wenn nicht die, die frei sind zu tun, was sie wollen, sollen tun, was sie müssen? Wer, wenn nicht die mit der erzenen Stimme, die zu Millionen tönt, können ihr Wort gegen die erheben, die uns unsere Freiheit, unsere Welt und unser Leben nehmen wollen, in dieser Reihenfolge der Wichtigkeit ihrer Bewahrung? Wer, wenn nicht der Narr, kann dem König die Wahrheit sagen?

Sagt Vater W. in der Stimme der Weisheit, dass man niemanden zwingen könne, zum Helden zu werden. Recht, recht. Aber eben. Wer rettet uns dann, vor den europäischen Taliban und den plötzlich dänische Flaggen in ihren Kellern entdeckenden Jubelpersern und vor Hassan Nasrallah, Sayyid Hassan Nasrallah und Chad Kroeger? Wer dann?

10.12.2006

Meine Weihnachtssharia

Die früheren Teile dieser kleinen Serie hier, hier und hier.

Wer eine Nikolausmütze mit blinkenden Lichtern und/oder dem Bommel an einer "lustigen" Feder trägt, wird enthauptet.

09.12.2006

Coldplay

Ich saß auf meinem Bett und hörte Coldplay, diese lächerliche tränige gutmenschliche Knutschmusik, die nach bleichen Engländern, schlecht geheizten Lofts und fair gehandeltem Kaffee riecht, und fühlte mich wie jemand, der Coldplay hört.

Did I listen to pop music because I was miserable?
Or was I miserable because I listened to pop music?

Und da taucht er im Augenwinkel auf, mein innerer Mephistopheles, ohne den es nie geht, mein Geist, der stets verneint, mein advocatus diaboli, und bellt, und zurecht, dass ich, des vonderleyenschen Idylls mit Job, Haus, Frau, Kinder- und Hundeschar ansichtig, doch augenblicklich Anlauf nähme, um mit der größten Ramme dagegen anzurennen, und wahrscheinlich auch zurecht, aber ich entgegne ihm, dass lächerlicher als der Spießer in seiner Blase scheinbarer Seligkeit, weit lächerlicher doch ein alter Rainer Langhans ist, der tatsächlich noch andere Spießer nennt, seine Enkelinnen in der Disco begrabscht und allein sterben wird, an seinem Grab nur der Pfarrer, ausgerechnet, und Rudi aus der Eckkneipe.

Recht, ruft Mephisto, recht, die normative Kraft des Faktischen eben, der große Gleichmacher eben, in der grünen Hölle scheiden sich die Revolutionäre eben, die Buddhas, die Pol Pots, die Maos, die, die so oder so in die Erinnerung eingehen, von denen, die es nicht tun, spätestens dann, wenn es kein Bananenblatt mehr gibt, um den braunen Arsch auszuwischen, spätestens dann geht es ins Geschichtsbuch oder ins Massengrab.

Und ist es nicht das, schreit er und führt einen Stoß, was Du willst, auf die Titelseiten und die Denkmäler und die Lippen der Menschen, aber Du willst auch nicht Dein Scheißpapier weggeben, die Freude an der Uni, die Freiheit, zu lassen, was Du willst, willst Dich auch nicht mit der Hand auswischen, willst Anerkennung und Bewunderung und Liebe, ohne einen Finger zu krümmen!

Er atmet angestrengt und fährt fort, warum wertest Du Dich selbst so ab, die Arbeiter sagen Dir doch selbst, dass sie lieber länger studiert hätten, die Gesichter der Verheirateten werden von Jahr zu Jahr länger, Mao hätte die Augen von Neugeborenen ausschlürfen können und wäre nicht wesentlich unsympathischer geworden, Denkmäler baut man für Stalins und Kim Jong-Ils, Du weißt doch, Du weißt doch, dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist und nichts unbewundernswerter, nichts unliebenswerter als Heulen und Klagen und Neiden, statt zu tun, was man für richtig hält und sich selbst zu lieben, bist halt ein Langzeitstudent, so what, bist halt weltweit unbekannt, so what, kriegst halt keine acht Jahre Beziehung zustande, so what the fuck, bist trotzdem, unabhängig davon ein Mensch, ein wertvoller, warum wertest Du Dich selbst so ab und das, was Du angeblich verachtest, so auf, warum gibst Du etwas auf Ideale, die Du ablehnst, auf Meinungen, die Du bekämpfst, auf Menschen, die nichts auf Dich geben, warum eiferst Du ihnen heimlich nach, warum?

Geht doch meistens auch gut ohne, nur ab und zu muss ich Dich halt mit dem Schwert bezwingen, mit dem Lichtschwert, lass es weiter selten sein, sagt er und verschwindet.

Und er hat recht.

Und ich mache Coldplay aus und gehe schlafen.

Und im Dunkeln glüht das Schwert nach.

Und verlischt, als der Morgen kommt.

08.12.2006

Blogger Beta

Endlich Kategorien! Virtuelle Erektion.

Aber um sie in mein individualisiertes Layout einzufügen, müsste ich es komplett in Bloggers neue Layoutsprache umschreiben und noch einiges mehr ändern. Sofortige Wiedererschlaffung. Vor dem neuen Jahr wird's damit nichts mehr, und dann kann ich mir auch fast überlegen, zu einem Anbieter zu wechseln, der ein größeres Herz für digitale Phalli hat. Nur zu welchem?

Das Autoauto

Interessantes über moderne Fahrerassistenzsysteme. Der ADAC ist natürlich dagegen, weil er sich seine kindische Freude am Totrasen und Kaputtfahren nicht nehmen lassen will, aber hier ist es wie fast immer das Richtige, genau die Meinung zu haben, die der ADAC nicht hat. Lebensrettende Fahrgastzellen, Gurte, Airbags, Antiblockier- und Stabilitätssysteme akzeptiert er schließlich auch, und so wird er eines nicht allzu fernen Tages auch zuerst noch grummelnd und murrend, dann aber lachend und jubelnd akzeptieren, dass unsere Autos endlich völlig von selbst fahren werden, nicht obwohl, sondern weil das heißt, dass wir sie nicht mehr fahren werden. Denn nicht einmal der ADAC will in seinem aufgerissenen Wrack halb zermalmt und ganz eingeklemmt jämmerlich brennend krepieren. Einige Dinge bleiben eben für alle wahr.

06.12.2006

Exegesis

Als ich mich gestern nach getaner Arbeit mit vor Schweiß dampfendem Fell und vor Schaum kochendem Maul wieder hinter den Alpha eingereiht habe und weiter durch den Schnee geschnürt bin, überlegte ich, wie sich solche notwendigen Straforgien in Zukunft verhindern ließen. Weniges erschien mir dabei effektiver und effizienter als das Exerzitium der Exemplarik, das lehrbuchbeispielhafte Zeigen dessen, wie man es nicht macht, damit man es nicht macht. Freilich, die Gefahr besteht, dass sich die Novizen dann genau das falsche Vorgehen merken, aber dann war einfach nur das Exemplum nicht abschreckend genug. Wessen Ordensbruder man mit der Zange die Zunge herausgebrannt hat, wird nie mehr den Herrn in den sieben Himmeln lästern.

In diesem Sinne.

In diesem Sinne wollen wir uns noch einmal mit den Nasskämmern beschäftigen, den Nassforschen und ihren Anmachsprüchen und Videofilmen und Wichsdatenbanken. Sehen wir uns zu Anfang das Beweisstück A noch einmal an, in voller hundertsekündiger Länge und unkommentiert.

So. Und jetzt spulen wir zurück und fangen wieder von vorne an.

Das erste, was uns auffällt, ist der Titel des Werkes:

chick auf mitte party // WC

Mitte Party. Wo die Geilen und Schönen feiern, und ich bin mittendrin dabei. Filme auf dem WC, bin ein verruchterer Hund als Hunter S. Thompson, und mehr Drogen als er vertrage ich sowieso. Filme ein "Chick", Yee-Haw Baby!

Männer, die sich selbst stark hassen, nennen Frauen Fotzen und Huren. Männer, die sich selbst viel hassen und Frauen fürchten, nennen sie Göttinnen und Prinzessinnen. Männer, die sich selbst normal hassen und Frauen manchmal auch, nennen sie Weiber und Hühner. Männer, die Frauen lieben, nennen sie Frauen oder, wenn sie jünger sind, Mädchen, es gibt wenige schönere Wörter in der deutschen Sprache. Männer aber, die Frauen "Chicks" nennen, laut dem im studiVZ angegebenen Geburtstag noch fast genau einen Monat nach ihrem 26. Geburtstag, solche Männer sind nicht weniger als eine Gefahr für die gesamte Menschheit. In ihrem alles verzehrenden, durch Angst wie durch Napalm befeuerten Selbsthass. In ihrer totalitären Menschenverachtung. In ihrer fanatischen Prostitution für den Luden des Zeitgeists. Es fröstelt mich, zuinnerst.

Aber gut, vielleicht ist das der Interpretation ein klein bisschen viel. Weiter also.

Exegesis 1

Das zweite, was uns auch beim anderen Video (Link nicht mehr aktuell), um das es heute nicht gehen soll, eins ist genug, noch in der ersten Sekunde auffällt, ist, dass die von Dariani gefilmte Frau nach jedem gängigen Maßstab außergewöhnlich attraktiv aussieht. Groß und schlank, mit, wie wir später noch sehen werden, makellosen, langen und perfekt geformten Beinen, einem leicht zum Rechteckigen neigenden, aber dadurch sehr klaren ovalen Gesicht mit rosig betonten Wangenknochen, einer charaktervollen Stupsnase, halbvoll melancholischen Lippen, wie gemalten blauen Augen und auch um vier Uhr morgens noch reizvollem blondem Haar. Sie kleidet sich so elegant wie schnörkellos, wozu brauchte sie auch Schmuck, und, ihre Blicke verraten es uns, sie hat unseren smarten Startupgründer spätestens in Sekunde 15 völlig durchschaut, bis auf seine nackte, winselnde Seele, sieht sie sich doch jeden Tag, jeden einzelnen Tag mit Legionen von so unbeholfenen wie schleimigen und groben Verehrern konfrontiert, hätte sie den Krieg der Willen nicht gewonnen, wäre sie längst untergegangen, Sieg oder Tod.

Exegesis 2

Wer fährt auf solche Frauen ab? Auf Frauen, um die früher wenn nicht zehn Jahre, so doch wenigstens einige Sonnenwenden Krieg geführt worden wäre, Frauen wie Standbilder, Frauen für Standbilder, Frauen, die in ihrer vollkommenen Schönheit fast schon wieder langweilig und auch ein wenig furchterregend wirken, trübt sie doch äußerlich nicht der geringste menschliche Makel?

Offensichtlich Menschen, die selbst in Dimensionen und Epochen schweben, in denen aus Frauen Standbilder werden und aus Standbildern Frauen, mit anderen Worten, Personen, die die Welt, wie sie ist, fürchten, weil sie sie nicht kennen, weil sie sich in ihre eigene Welt flüchten, weil sie die Welt, wie sie ist, fürchten. Ja, it takes one to know one.

Instinktiv spürt Dariani, dass das Mädchen voll durch seine Kamera hindurch in den inneren Abgrund schaut, den er mit ihr doch geflissentlich zu verbergen sucht, und er reißt sie hastig hinunter, um ihr nacktes Bein zu bannen, um wieder selbst zum Beobachter zu werden, um wieder selbst die Kontrolle zu gewinnen. Für einen geschätzt 1,35 m großen, quäkig und gehetzt artikulierenden Hobbit mitten unter den Großen Leuten muss es unheimlich wichtig sein, die Kontrolle zu gewinnen, umso mehr, wenn es gilt, auf die Lichtung zu treten und Lúthien anzurufen, die tanzende Lúthien Tinúviel, halb Elbe, halb Engel, Schönste der Kinder Ilúvatars.

Mindestens dreimal, zunehmend verunsichert und ärgerlich fragt Dariani sie so, wie sie "die Party hier" findet. Doch sie sagt ihm unberührt und scharf wie ein Rapier, er solle schon machen, er solle "abschießen", im irrtümlichen Glauben, er wolle sie nur fotografieren, doch sie trifft trotzdem das genau richtige Wort für sein Tun, das rasiermessergenau richtige, natürlich.

Exegesis 3

Ehssan aber, längst völlig von ihrer Präsenz benebelt, bemerkt nicht, wie über sie ihm ist, wie absolut über, sagt sogar "Ja bitte!!1", richtig, mit zwei Ausrufezeichen und einer Eins, nachdem der zitternde Finger von der Shift-Taste geglitscht ist, als sie ihn raffiniert fragt, ob sie jetzt "was" zeigen soll und ihr zum Niederknien schönes Bein ins Magazin lädt, mit einem Streicheln und einem winzigen, teuflischen Klaps sogar. In einer Woche hätte diese Frau den kurz vor dem Abschluss stehenden Musterstudenten Dariani in einen sabbernden, psychisch, physisch und finanziell bis ans Lebensende bankrotten Penner verwandelt, wenn sie gewollt hätte, und zurecht, aber da in ihren Augen noch nicht die Verbitterung überläuft, weiß doch auch sie wohl, ihrer Jugend geschuldet, noch nicht alles von der Welt und von den Männern, erzählt sie stattdessen von den Verletzungen, die sie erfahren, von den Feiglingen, die sich ihr Begehren nicht eingestehen können, von den Würstchen und Schmierenschauspielern, die sich heute junge Männer schimpfen.

Nicht jedoch, ohne vorher Ehssan Dariani mindestens drei mammutbaumdicke Zaunpfähle hinzuwerfen, die dieser, wie alle vorherigen, natürlich übersieht, weil er viel zu beschäftigt ist, die Kontrolle nicht schon wieder zu verlieren, diesmal also, ihr seinen Namen nicht zu nennen, ach wie gut, dass niemand weiß und so weiter. Selbst als sie ihm ihr anderes Bein zeigt, um ihn endlich loszuwerden, und seine verbale ejaculatio praecox "rein, r-rein medizinisch" souverän wie eine Königin ignoriert, hört er die Salve nicht, und so bleibt ihr endlich, zum schändlichen Schluss seines Werkes nur, ganz unköniginnenhaft zu ernstaugusten.

Exegesis 4

Ein Gentleman ist jemand, der dafür sorgt, dass sich die Menschen in seiner Umgebung wohl fühlen. Dass sich die Menschen in seiner Umgebung nicht zu vergessen brauchen, weil der Gentleman sich ihrer erinnert. Ehssan Dariani, meine Wölfe und Wölfinnen, ist kein Gentleman. Was aber er ist, ist nicht so wichtig. Nur, dass Ihr nie so werdet wie er.

Weiter durch den Schnee.

05.12.2006

Laubhaufen

Ich liebe es, durch Laub zu laufen.
In Laubhaufen zu laufen, wie die Staufer oder, wie ich sage, Staufen.
Kaufen die Staufen die Haufen zum Laufen?
Schnaufen die Staufen beim Laufen in Haufen?
Saufen die Staufen das Laufen aus Traufen in Haufen?
Raufen sich Haufen von Staufen auf Traufen und schnaufen?
Laufen die Staufen zum Saufen in Haufen nach Staufen?
Oder kaufen die Staufen Haufen von Traufen zum Taufen der Staufen aus Laufen?
Ist ein Geschichtsprofessor da?

04.12.2006

Der Beta

Der Betawolf

Der Alphawolf ist der Kommandant des Rudels. Er geht voran, weil er es kann. Er zeigt den Kurs. Er zeugt die Welpen. Er ist fern, weise und mächtig und steht auf dem Hügel. Er ist der Good Cop, er bellt.

Der Beta ist sein Sekundant. Er hilft dem Alpha bei der Aufzucht. Er ist nah, wachsam und gerissen und steht zwischen den Wölfen, auf dem Boden. Er ist der Bad Cop, er beißt, beißt das Rudel auf Kurs.

Ich habe keine Ahnung, wer der Alpha des Internets ist, der Alpha der Menschheit. Nur, dass sein Kurs zum Guten führen muss, muss, sonst muss er weggebissen werden, auf der Stelle und koste es, was es wolle, und sei es das eigene Leben.

Aber ich liebe es, seinen Beta zu machen, Zähne gefletscht, Lefzen gekräuselt, grollend.

Wohlan denn.

Das studiVZ, eine Social-Networking-Site für deutschsprachige Studenten, ist seit Wochen in schlechten Schlagzeilen. Domaingrabbing, Finanzierungsfragen, Missmanagement, Performanceprobleme, Plagiarismus, Sicherheitslücken und dergleichen PR-Desaster mehr. Sieht man sich hier (Link nicht mehr aktuell) oder auch hier an, wie klebrig nassforsch, wie widerlich pseudoselbstbewusst und so auch in allem, von dem hinter dem Visier der Digitalkamera sorgfältig einstudierten, Interesse heuchelnden Anmachspruch, über die Wahl außergewöhnlich attraktiver, für ihn buchstäblich unerreichbarer Opfer, was wüsste er auch mit ihnen anzufangen, wären sie sein, bis zur allzu schnellen Pirouette, um die Mädchen noch besser aufs Bild und so in die heimische Onanierdatenbank zu bannen, wie also in allem zutiefst verräterisch verunsichert, orientierungslos und ängstlich das Aushängeschild des Verzeichnisses, der ausgerechnet im BWL- und VWL-Mekka St. Gallen studierende Ehssan Dariani agiert, muss das auch nicht mehr verwundern, mit den Nasskämmern war ja schon auf U 96 kein Krieg mehr zu führen.

Oh, habe ich jetzt auch einen bösen, bösen Naziwitz gemacht wie Dariani, der zu seinem Geburtstag im Stil einer Seite des "Völkischen Beobachters" einlud? Böser Beta, machst die Blogosphäre böse.

Ich spucke dieses Wort aus.

Ich spucke es aus, weil sein nach den Kreisen der Hölle stinkender Odem in mir unaufhaltsamen Brechreiz erregt. Nicht die Liebe zum, das Aufgehen im Hobby lässt das Wort ekel faulen, die Kürbiskompanie Köln-Kalk und die Modellbahnstandarte Rottach-Egern haben zweifelsfrei auch ihre eher engagierteren, ansonsten aber honorigen Mitglieder, aber der Kürbisvorsitzende stellt sich nicht auf den Marktplatz und verlangt, dass das Volk ihm fortan den Arsch auslutscht, der H0-König läßt sich nicht von einem Baron den Nachttopf hinterhertragen, und der Käfersammler behauptet nicht, einen Elefanten erwürgt zu haben.

In der Blogosphäre aber rubbelt man sich gegenseitig die Mikropenes rot, versichert einander und die Welt mit glühenden Wangen und verklebtem Gesicht der unbedingten, zumindest globalen, wenn nicht kosmischen, gar multiversischen Wichtigkeit, setzt, zum Antrieb seiner 2.0-Schwanzpumpe, noch einen Link (leider nicht mehr aktuell), lacht, in Mamas Keller, aus 300 Kilo schwer polterndem Leib, vor seiner "Maschine", als hätte man auch nur einen Tag mit seinen Händen gearbeitet, auch nur einen Tag, lacht, einen Wurstfinger im Hintern, um diesen Moment noch erregender zu machen, über einen weiteren Riesen, den man zu Fall gebracht habe, man, die allmächtige Blogosphäre, Kaiser und Gott, Blogger und Pharao.

Der Junge, der mit seiner Lupe Ameisen verschmort, lacht so.

In Wirklichkeit haben gerade mal sechs von zehn Haushalten in Deutschland Internet. In Wirklichkeit informiert sich fast jeder Fünfte aus der "Bild", dann kommt nichts, dann kommt nichts, dann kommt nichts, dann kommt nichts, dann kommt nichts, dann kommen irgendwann, irgendwann weit, weit weg, winzig wie Ameisen, die anderen Zeitungen, die jeden Zehnten erreichen. Zusammen. Fast muss man da froh sein, dass neben der außer Konkurrenz stehenden "Motorwelt", diversen Fernsehzeitschriftenbeilagen und dem Platzhirsch "Bild am Sonntag" wenigstens der Judenhasser- und Ficki-Ficki-"Stern", das Fachblatt für irrtümlich aufgezogene Nachgeburten "Focus" und der politische Bahnhofskioskporno "Spiegel" noch jeden Dritten ansprechen, aber natürlich auch nur fast. Und dann habe ich noch gar nicht von Aufmerksamkeitsspannen, der völligen Vergeblichkeit der zweiten und aller weiteren Google-Ergebnisseiten oder der geradezu fantastisch absurd narzisstischen Annahme angefangen, irgendjemand, irgend jemand würde Blogkommentare lesen, bis zum Punkt am Ende dieses Satzes haben ja schon wieder zehn Prozent der noch verbliebenen Leser weiter nach Britneys schlampig gewachster Vulva gesucht, ach Mädchen, warum auf diese Weise.

Das interessiert die Leute, das erreicht sie, Ficken, Rasen, Glotzen, das ist die Seele der Medien, für das Internet, das in den eigenen vier Wänden völlig unbeobachtet konsumierte, gänzlich unüberwacht eingesaugte Internet gilt das doppelt und x-fach, die zehn häufigsten Suchbegriffe, mit denen Besucher im November auf mein Blog fanden, "Anna Netrebko", bestimmt nicht wegen der Reinheit ihres hohen Cs, "Bumsen", "Frohe Weihnachten", einmal muss auch dafür Zeit sein, "Masturbation", dito, "Netrebko", "Veronica Ferres nackt", natürlich, "Anna-Netrebko", "Beine breit", "Veronika Ferres nackt", "Andreas Lazar nackt".

Der Junge, der mit seiner Lupe Ameisen verschmort, glaubt sich einen bösen Gott. Für einen Neunjährigen ist das mehr oder weniger normal. Für einen Fünfunddreißigjährigen, auch wenn beide ungefähr gleich oft Sex hatten, mit Onkel Paul oder der Xena aus Pappmaché zählt nicht, nicht. Für eine ganze Blogosphäre von Kaspar Hausers mit DSL 16.000 ist es nachgerade zutiefst besorgniserregend, so wie es den Beta im tierischsten Inneren besorgt, wenn seine Zähne vom vielen Beißen immer weher werden und seine Kiefer immer müder und er dennoch jeden Tag mehr knurren muss, mehr bellen, mehr beißen, jeden einzelnen Tag.

Doch es muss ja weitergehen, und so sind schließlich, nach den notgeilen Nasskämmern und den keckernden Hyänen, die Omegas dran, die zurechten Omegas, die dümmsten anzunehmenden User, also alle übrigen. Nur für Euch:

Das Internet vergisst nichts.

Das Internet ist wie der Marktplatz.

Auf dem Marktplatz läuft jeder herum.

Niemand, der noch ein letztes bisschen Verfügungsmacht über seinen Geist und sein Geschlecht besitzt, würde Fotos von seinem Busen im Bikini oder seinen Socken vorne in der Hose auf dem Marktplatz herumzeigen, weil dort jeder herumläuft. Weil. Dort. Jeder. Herumläuft. Der sympathische junge Student. Die missgünstige Oma. Die beste Freundin. Die klatschende Hausfrau. Der Manager, der an Mädchenschlüpfern riecht. Der entlassene Raubmörder. The Man.

Mind you, der Beta hat nichts gegen Bikinibilder, im Gegenteil, manchmal erlaubt der Alpha auch ihm, sich fortzupflanzen, und von ihm aus darf jeder soviel schönes kleines Nichts beinahe tragen, wie er will, und damit das einfacher möglich wird, wird er auch gerne weiter "Selbst schuld, wenn sie vergewaltigt wird"-Sagern mit der Axt eine bessere Belüftung des Schädels spendieren, aber solange es schwieriger ist, schmiert man sich nicht mit Babyrobbenblut ein, wenn man nach Haien tauchen geht, und geht nicht mit Zehn-Zentimeter-Heels und einem als Gürtel posierenden Rock in den Hochsicherheitstrakt von Alcatraz, und stellt auch nicht seine Brüste in ein Internetverzeichnis, in dem jeder alles sehen kann, weil dann jeder alles sehen kann. Die Würde ist nicht antastbar - aber wer sagt das den Haien?

Bezeichnend übrigens, dass die Genossen Darianis nach der Entdeckung des zuletzt verlinkten "Skandals" diesen nicht etwa schleunigst unterbunden, sondern untertänigst gebeten haben, daran teilhaben zu dürfen, und ebenso bezeichnend, dass die Genossen der Blogosphäre sofort mit der 50-Meter-Yacht zur Jagd auf die skandalösen Zwerghaie oder zwergskandalösen Haie geblasen haben, geht es hier doch, wenn nicht ums Rasen oder Glotzen, so doch ums Ficken, und das macht hier wie dort immer noch und für immer the world go round. Übrigens interessiert sich aus eben diesem Grunde keiner, aber auch wirklich keiner für die privaten Daten der oft so paranoid wie megalomanisch noch ihre kleinsten SMS mit 128 Bit verschlüsselnden Computerexperten unter den Bloggern, das nur als Ex-Informatiker zwischen zwei Bissen aus bluttriefendem Maul hervor.

Der müde Beta

Der Beta steht zwischen den Wölfen, seine Brust hebt und senkt sich schwer, aus müden, rotgeränderten Augen betrachtet er aufmerksam die Meute, schließlich hat er jetzt alle, alle gebissen, selbst an die 1337 roxxor Welpen hat er am Ende gedacht, die, obwohl doch angeblich schon Studenten, kaum geradeaus schreiben, geschweige denn denken können, glauben wirklich, jemand reißt ihnen den Büffel aus reiner Wolfsliebe, glauben wirklich, jemand macht ihnen eine Website aus reiner Philanthropie, glauben das wirklich, wenn man sie jetzt nicht sofort beißt, werden sie es einem einmal nicht einmal mehr danken können, und er hört schon das Jaulen:

Aber Betawolf-Blogger, haben die StudiVZ-Macher denn nicht viel falsch gemacht? Doch, alles, was man ihnen zur Last legt, und wahrscheinlich noch viel mehr, ist aber, am Ende, egal, Ameisen, Lupen und Jungen und, wie leider schon die Blogbrigade treffendst schrieb, hier bläst nicht der Weiße Wal, sondern eine Quappe, maximal, und ein Ishmael ist auch nicht an Bord, nur eine Handvoll zunehmend besessener Ahabs. Die Quappe aber bewahren eine Million Menschen in ihren Goldfischgläsern auf, die noch nie einen Ahab brüllen gehört, noch nie seine Harpune gespürt haben, wie auch, hat die kleinste Mücke doch einen längeren Rüssel.

Aber Beta, bist Du nicht auch ein Teil des Rudels, ein Teil der Bloggermeute? Kann sein, jeder braucht vielleicht seine Kürbiskompanie, und viele wollen groß und berühmt und strahlend rauskommen. Ich bilde mir aber ein, mir nicht einzubilden, es schon zu sein. Ich bilde mir ein, mir nicht einzubilden, den Boden unter meinen Pfoten nicht mehr zu spüren. Ich bilde mir ein, mir nicht einzubilden, wichtig zu sein. Noch nicht.

Aber Wolf, wetterst Du nicht immer selbst in drastischen Worten gegen die Ausforschung der Privatsphäre, warnst Du nicht immer selbst vor der "Wer nichts zu verbergen hat ..."-"Denke", sagst Du das nicht selbst? Durchaus, durchaus, Daten werden durchaus missbraucht, aber das Eine sind unfreiwillige Preisgaben, das Andere freiwillige, und das ist der ganze Unterschied, das entbindet natürlich nicht die Missbraucher von ihrer Schuld, ich sage ja auch, wer uns nicht einstellt, weil wir vor fünf Jahren unseren letzten Joint gebloggt und unsere Meinung zu laut verkündet haben, wer uns zu seinem Sklaven, seinem Haifischfutter machen will, soll alle Härte spüren, alle Härte, und wenn tausend kleine Fische sich verbünden, muss auch der größte Hai kuschen, aber wer sich mit Robbenblut einreibt, dem ist trotzdem nicht zu helfen, der ist trotzdem eine Gefahr für die Schule, eine Bedrohung für das Rudel und seinen Kurs, und der braucht Bisse vom Beta, und das waren sie, für jetzt.

Mögen es die letzten sein!

30.11.2006

Die Prinzessin und die Magd

Die Prinzessin sitzt in ihrer Kemenate. Sie ist so hochgeboren, dass ihr Zimmer nicht einfach ein Zimmer ist, sondern eine Kemenate, im höchsten und schönsten Turm der Burg. Die Magd sitzt in der Küche, auf einer Stufe mit den Ställen und den Stuben.

Die Prinzessin erwartet. Erwartet, dass die Ritter vor ihrem Fenster die Laute schlagen, ihr den Kopf des Drachens bringen, sich um sie balgen, mit dem Breitschwert bis aufs Blut. Die Magd freut sich, wenn die Knechte sie in der Küche besuchen.

Die Prinzessin lässt. Lässt sich den Kamin ihrer Kemenate heizen. Lässt sich ihre Kleider anlegen, Besucher anmelden, ihre Schleppe nachtragen. Die Magd macht und tut und begrüßt.

Die Prinzessin ist schön, ihre Haut ist blass und rein, und ihre Augen glänzen und funkeln, aber man weiß nicht, wie sie aussähe, wenn sie zwei Tage in der Wildnis gewesen wäre, unter den Drachen, oder auch nur bei den Ställen und Stuben. Die Magd ist hübsch, ihre Haut ist rosig und rauh, und ihre Augen leuchten und schauen.

Die Prinzessin kennt die Bücher. Die Magd kennt das Leben.

Stünden sie nackt nebeneinander, man wüsste selbst dann beide zu scheiden. Die Prinzessin hat Haltung. Die Magd aber hat Würde.

Warum verliebe ich mich immer zuerst in die Prinzessin?

24.11.2006

14.11.2006

Klugscheissing Galore

In der Vorlesung gemeldet. Nach der Begründung des "ontologischen Prius" gefragt. Stolz gewesen.

13.11.2006

Schulz zieht in den Krieg

Über den bewegenden Alltag einer Armee im Krieg. Unsere Armee.

Ich habe zu einer Zeit gedient, als es keine Bundeswehr vor dem Libanon gab, im Kongo, in Afghanistan, noch nicht mal im Kosovo. Dennoch heißt dienen zu jeder Zeit, immer, in einem sehr realen Sinne, schießen.

Ein Gewehr ist schwer. Fast fünf Kilo für ein geladenes G3.

Ein Gewehr ist laut. Gehörschutz rettet das Trommelfell.

Ein Gewehr stinkt. Der Pulverdampf nebelt die Schießbahn ein.

Ein Gewehr zielt. Auf Silhouetten von Menschen.

Der ranglose Rekrut heißt Schütze.

Dienen ist Schießen.

Sagen die Pazifisten, die es nur in Ländern gibt, die vergessen haben, warum es Gewehre gibt, man muss nicht schießen.

Sage ich nichts. Schieße ich dem Pazifisten den Kopf weg. Einfach weil er ein Pazifist ist und ich ein Reich ohne Pazifisten schaffen will.

Mit meinem Gewehr.

Man muss nicht schießen? Nicht dienen? Sich nicht um die Mitbürger kümmern, die Gewehre in den Händen tragen, damit wir es nicht müssen? So tun, als gäbe es sie nicht, nicht in der Politik, nicht in der Gesellschaft, nicht zuhause, als gäbe es sie nicht wie die Gewehre?

Man muss nicht mit den Einsätzen vor dem Libanon, im Kongo, in Afghanistan, im Kosovo übereinstimmen, ich tue es auch nicht. Man muss nicht daran teilnehmen, ich tue es auch nicht. Man muss Gewehre nicht gut finden und Schießen und Sterben, ich tue es auch nicht. Aber man darf nicht vergessen, dass es das, das alles gibt. Und damit auch Menschen, die buchstäblich ihren Kopf dagegenhalten. Und das, das muss man erkennen. In der Politik. In der Gesellschaft. Und zuhause.

Thud!

Kein schlechter Pratchett. Obwohl mal wieder jemand und was anderes als Sam Vimes und Ankh-Morpork die Helden sein könnten. Und in der Mitte zieht es sich mitunter. Aber das Ende im Koom Valley kommt unerwartet und sehr gut. Wäre nur unsere Welt auch so!

Pimpin'

Geht mal auf das Impressum von das-energieportal.de. Yeah Baby, that's me! Und auch echt keine schlechte Seite.

08.11.2006

Hose runter, Beine breit, Terrorkampf ist 'ne Kleinigkeit

Der ADAC, ansonsten demokratischer Gesinnung unverdächtig, berichtet in der neuesten Ausgabe der "Motorwelt", dass allein die bayerische Polizei allmonatlich auf Autobahnen und Bundesstraßen fünf Millionen Nummernschilder mit Videokameras scanne. Der "Erfolg": 0,03 Promille "Treffer", das heißt "säumige Versicherungszahler, Fahrer mit gestohlenen Kennzeichen und Kleinkriminelle".

Das muss man sich wirklich ganz, ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen: Fünf Millionen orwellisierte Autofahrer im Monat, um hundertfünfzig Strauchdiebe zu fangen. Wie kann da irgendjemand, irgend jemand mit auch nur einem allerletzten, transparent fadenscheinigen Rest intellektueller Integrität behaupten, Nacktuntersuchungen von Fußballfans wären sinnvoller Stadionschutz oder Rektalsonden guter Antiterrorkampf? Oder dass Obrigkeiten allumfassende Befugnisse nicht auch alsbald missbrauchen würden, wie hier bereits beklagt? Wie?

Wahrscheinlich, und das Bild des Papstes, das sowohl in letzt- als auch gleichgenanntem Artikel auftaucht, ist nur der augenfälligste Beleg des Zusammenhanges, ist die Antwort auf diese Frage dieselbe wie die nach dem Grunde unserer Angst vor der Aufklärung, fast ist das ja die Frage an sich. Und hier, endlich, ist ihre Antwort, in aller, aber so ist das immer, umwerfenden Banalität:

Ohne festen Grund

keinen festen Stand.

Was wir daraus folgern, schreiben wir aber ein andermal. Hierfür haben wir ja schon über ein Jahr gebraucht.

Deutsche Schuld

Alan Dershowitz, intellektueller Pfadfinder des Faschismus: Lasst uns diese schlimmen bärtigen Islamisten ein bisschen foltern. Auf gesetzlicher Grundlage. Die CIA: Air Torquemada, alle an Bord! Der BND: Vielleicht haben wir beim neuen Irakkrieg mitgeholfen, aber psst! Fischer und Schily, ehemalige Bundesaußen- und -innenopportunisten: Nichts Genaues wissen wir nicht, neinnein!

Das wirklich Traurige, das eigentlich Tragische daran ist, dass die meisten dieser grotesken, zum Himmel schreienden Auswüchse hätten verhindert werden können, wenn unsere letzte Regierung wirklich gegen den Dritten Golfkrieg gewesen wäre. Anstatt aus innenpolitischem Kalkül scheinbar.

Sehr lesenswert zum Thema: der ziemlich coole Michael Zürn über den unverdient guten Ruf der in Wahrheit unterfinanzierten, verschämt verheimlichten und impotenten deutschen Außenpolitik.

03.11.2006

Habermas ist so satt, mag kein Blatt

Es ist beileibe nicht so, dass es mir immer nur Spaß machen würde, Recht zu behalten. Ich würde wirklich, wirklich gerne morgens erwachen und sagen, "Oh, schon wieder kein Kriegstoter, kein Opfer von Rassenhass, keine ausgestorbene Tierart heute, womit ich nunmehr das dreißigste Jahr in Folge ununterbrochen falsch liege. Ach Mist! Was wollen wir frühstücken, Angelina?"

Aber dass Joachim Fest sich noch aus seinem eigenen Grab heraus nicht zu schade ist, meinen armen alten Helden Habermas wider besseres Wissen zu bezichtigen, ein vermeintlich kompromittierendes Dokument aus seiner Hitlerjungenzeit gegessen, ja, gegessen zu haben, nur weil dieser jenem und Ernst Nolte im Historikerstreit vor zwanzig Jahren übrigens mehr als zurecht widersprochen und damit Fests grenzenloses Ego auf offenbar für immer unverzeihliche Weise getroffen hat, das wundert mich nun allerspätestens seit Juli 2005 nicht mehr. Und dass das selbsternannte Intellektuellenmagazin der Republik, der "Cicero", das diese Intellektualität unter anderem durch den Abdruck von Eva Hermans Thesen eindrucksvoll widerlegt, auf fast noch perfidere Weise als Fest selbst diesem beipflichtet, das ist leider auch keine Überraschung mehr. Hat schon seinen Grund, die üblichen Verdächtigen zu verhaften.

Update [25.01.07]: Fests Sohn sagt, sein Vater sei in seinen letzten Lebensmonaten so krank gewesen, dass er nicht mehr am inkriminierten und inkriminierenden Manuskript arbeiten und es in dieser Sache korrigieren konnte, wenngleich er wohl noch einige Kindheitserinnerungen diktierte und ein Interview gab. Hm.

Nur mal so

Ich wollte nur mal so schreiben, dass mein Leben mir zur Zeit so viel Freude macht wie fast noch nie. Gut, ein paar Kleinigkeiten wie eine Liebe des Lebens, keine Abmahnungen mehr, drei weiter entfernte Examensprüfungen und zwei prall schwellende Bizepse wären noch schön, aber man kann nicht alles haben, und ich springe ja jetzt schon manchmal ein bisschen in die Luft und schlage die Hacken zusammen. Die Leute in der Stadt schauen dann immer so komisch.

Vielleicht hat die Freude auch damit zu tun, dass der Ärger heuer hier abregnet, flackernd mit rhetorischer Pyrotechnik und bunten Bildern, und so wieder Freude macht. Gutes Dings, das Bloggen.

Wiedergutmachung

Ein leider nicht online gestellter "Zeitläufte"-Artikel mit einem weiteren Kapitel in der unendlichen Geschichte der Mordvergewaltigung Afrikas durch Europa, diesmal über Leopolds II. blutrot fließenden Kongo und William Henry Sheppard, einen amerikanischen Missionar und Helden, der die Vernichtung der Schwarzen dokumentierte und erstmals fotografierte. Am Ende des Artikels aber dies:

Heute sind die Belgier in den Kongo zurückgekehrt - als Teil der Europäischen Union, die das völlig ruinierte Land wiederaufbauen und Wahlen absichern will. Man kann das auch als einen Versuch der Wiedergutmachung betrachten.

Nein. Oh nein, Baby. Oh nein.

Wiedergutmachung ist es, wenn wir unsere Haustüren einschlagen und die Schädel unserer Männer spalten und ihre Hände abhacken und ihre Schwänze. Wenn wir unseren Frauen die Zähne zertrümmern und sie vergewaltigen. Wenn wir unseren Kindern die Gesichter eintreten und ihre noch warmen Leichen fressen, schmatzend auffressen. Das ist ein Versuch der Wiedergutmachung. Alles andere ist Hohn.

27.10.2006

Der Exhibitionist

Heißt es: Aber Andi, was schreibst Du denn so viel über Dich, über Dein Leben? Ist das nicht zu privat, zu persönlich, zu intim? Verrätst Du nicht zuviel, zuviel über Dich?

Sage ich: Nichts wisst Ihr, nichts. Nichts schreibe ich über Vater W. und Mutter T., die man nicht nicht lieben kann. Nichts über Schwester A., die einzig Einzigartige. Nichts über Freundin S., über die ich stundenlange Oden dichten könnte, und zurecht. Nichts über M., meine Liebste. Nichts über M., das Messer des Scharfsinns, nichts über D., das Buch der Unkultur, nichts über T., den Menschen T., oh, Baby. Nichts über die wichtigsten Beziehungen meines Lebens.

Nichts über das Gesicht, das ich beim Orgasmus mache, kein sehr intelligentes. Nicht, ob ich mein Klopapier knülle oder falte. Nicht, was ich frühstücke, nicht, ob Kaffee oder Tee, nicht, was ich in Seminaren klugscheiße, nicht, ob ich links oder rechts schreibe oder trage, nicht, was für Bücher in meinem Regal stehen, was für Hemden in meinem Schrank, was für Gedanken in meinem Kopf. Nichts wisst Ihr, nichts!

Heißt es: Aber Andi, hast Du denn keine Angst, dass ein Arbeitgeber das liest? Ein Vater, eine Mutter, eine Liebe? Hast Du denn gar keine Angst?

Sage ich: Wollt Ihr in einer Welt leben, in der Ihr Scheren in Euren Köpfen schnappen lasst, weil Ihr Angst um Eure iPods habt, Euren Daimler, Eure DVDs, wollt Ihr Sklaven von denen sein, die Euch nur zu gern zu welchen machen würden, wollt Ihr das, was seid Ihr nur für Feiglinge, für elende Feiglinge? Ja, wohl gesprochen vom Experten, vom Kaiser und Gott des Abgemahntwerdens, vom Wohlstandskind de Luxe, vom Prasser Numero Uno, der nicht einen Tag seines Lebens hungern musste, aber trotzdem wahr, und Ihr wisst es, Ihr wisst es.

Und wollt Ihr eine Liebe leben, die Euch nicht kennt, Eure Keller, Eure Spinnweben in den Ecken, Eure Kakerlaken, Ihr verdammten, elenden Weicheier? Glaubt Ihr wirklich, das hier bin ich, ganz ich, die unvermeidliche Verzerrung der Schriftform schon abgezogen?

Ich bin Andreas C. Lazar. Das hier aber ist Andis Soapbox.

Ein Teil von mir, natürlich. Ein lauter, scharfer, besserwisserischer, bisweilen schwer erträglicher Teil. Das bin ich und doch nicht. Das Leise, das Sanfte, das Zuhörende, das sehr Angenehme bin nämlich auch ich, aber nicht hier, nicht auf der Soapbox. Hier ist Ersteres, und das brechtsche Theater, und die Grandezza, und die Pose, und wenn Euch das nicht passt, verpisst Euch und lest ein Kuschelblog, bis die Welle kommt, und zurecht. Das Leben aber ist das Andere, und das Leben ist nicht hier. Und Schluss.

26.10.2006

Those were the days 8

Hier die früheren Teile dieser Serie: 1, 2, 3, 4, 5-1, 5-2, 6, 6 1/2, 6 3/4 und 7.

Es ist soweit. Der Wanderer gewahrt den Bergkamm. Der Bocksgesang hebt zur Peripetie an. Klotho nimmt einen neuen Faden-

"Oh. Mein. Gott. Kannst Du einmal eine Geschichte normal erzählen? EINMAL?!?"

Ich war schon über ein Jahr Informatikstudent gewesen und, natürlich, immer noch gezwungen Single. Hatte nach dem zweiten Semester, damals schon mit dem Fach unfroh, alle nötigen Untersuchungen machen lassen, um meine Tauglichkeit für meinen alten Traumberuf des Piloten zu bestätigen, 20/20 war ich, natürlich, aber im letzten Moment habe ich vor dem Lufthansatest gekniffen.

"Warum?"

Das Geld hätte nicht für die Ausbi-

"Und warum wirklich?"

Angst?

"Wen fragst Du das? Aber können wir darüber nicht in einem anderen Eintrag schreiben? Ist ja nicht so, dass Du nicht noch genug Stoff für die nächsten Jahre hättest, Psycho Boy."

Na gut. Jedenfalls studierte ich also weiter, und nach einer etwas sinnlosen und kurzen, natürlich unglücklichen Winterverknalltheit in eine etwas kurz Bekannte ging ich, das Frühjahr kam, zur, ich glaube, Geburtstagsfeier eines Freundes, nennen wir ihn Julius, Julius No.

"Oh Gott. In Ordnung, James. Erzähl einfach weiter ..."

Alle zehn, fünfzehn Gäste saßen im Kreis, aßen Chips, tranken Fanta, die Wagemutigen Cola, sprachen über Speicherbausteine, es war eine Informatikerparty, sprachen in Grüppchen von zwei, drei, ich schwieg, dann kam, aus der Küche, sie.

Sie, eins siebzig, schlank, fast dünn, Haut wie Creme, Haare wie Honig, Augen wie Karamell, Worte wie Sahne, im Gespräch mit ihm, Oddjob, nennen wir sie Honey, Honey Ryder. Sie sagte, ich weiß es wie gestern, antisemitischen Schwachsinn, jeder Befehl für Israel werde in New York unterschrieben, was half's, ich war aus fünf Metern, in fünf Minuten, am anderen Ende des Kreises, schon hoffnungslos verliebt, starrte und schwieg. Die Zeit ging, die Informatiker gingen, ich war später gekommen, wollte also noch "ein bisschen" bleiben, sie hatte ein Auto, das Natürlichste der Welt, dass sie mich noch heimfährt, es war doch schon spät, nur, Oddjob, der auch noch "zufällig" da war, musste ebenfalls heim.

Wir fuhren zu dritt, kamen endlich an der Universität heraus, zur Abzweigung, an der wir rechts mussten, um zu seinem Wohnheim zu kommen, aber er sagte nichts, nichts, ich konnte ja nicht erwähnen, dass wir HIER RECHTS REIN müssen, wie ein Kettenhund von einer Anstandsdame, dabei war ich längst beides, aber egal, nur eine kleine, signifikante Episode. Vor meinem Zuhause tauschten wir Mailadressen, ein seltener Gipfelpunkt meiner Traute, und so begann es, alles.

Studium-Generale-Vorlesung, Geschichte der Rauschmittel, interessant, No, Oddjob und ich warten auf sie, sie kommt auf der Rolltreppe aus dem Tunnel, Honey, Eurydike, Oddjob umarmt sie linkisch, ich traue mich nicht mal das, im Hörsaal lässt er erst No in die Stuhlreihe, dann sie, bevor er sich, sein Plan, neben sie setzen kann, schlüpfe ich dazwischen, wir Comicfiguren.

Ich treffe sie zufällig, auf dem Weg zur, sie von der Uni, ihre "Telefonphobie" lässt sie ihre Nummer nicht so einfach herausgeben, ich schlucke es, wie alles, schreibe ihr Mails, Mails, Mails, in die ich mich hineingebe, hineinlebe, hineinblute, Orpheus, aux enfers.

Wir sitzen auf dem Rasen an der Universität, ich greife Grashalme von ihren Schuhen, wir sprechen über Kershaws Hitlerbuch, Reich-Ranickis Lebensbuch, Himmel.

Wir sitzen auf der Bank im Park, es ist flirrender Frühling, die Bäume schneien, meine Augen, Heuschnupfen, brennen, ich nestele Blüten aus ihrem Haar, sie lacht, mein Herz schlägt, aber ich habe gefragt, ob ich ihre Haare berühren darf, ich will nicht scheinen, als wollte ich sie nur, weil sie gerade wenige Monate getrennt ist, ich will sie nicht belästigen, nicht bedrängen, nicht berühren, stehe mir selbst im Weg, wie ein Riese, wie ein Wurm.

Ich treffe meine Freunde vom Bund, morgens ist mein erster Gedanke sie, nach der Sauftour laufe ich zu ihrer Wohnung, pflücke eine Blume aus dem Park, hefte einen Gruß daran, suche nach ihrem Briefkasten, als ich merke, dass er im Hausflur ist, abgeschlossen, ein Moment Verzweiflung, doch der Stapel Samstagszeitungen ist schon da, nur sie liest DER ZEITUNG, Gott bewahre, aber als sie sie am Morgen öffnet, fällt meine, ihre Blüte in ihren Schoß, sie freut sich, sehr.

Ihr Geburtstag, sie sagt, meins sei das beste Geschenk, Lyrik, Heine, mit Widmung.

Sie ist oft nicht erreichbar, nicht am Telefon, nicht per Mail.

Ich stammele, wie sehr es mich freut, Zeit mit ihr zu verbringen, sie sagt, dito, immer das, nur das, dito.

Ich frage, ob ich ihre Hand nehmen darf, ich frage es tatsächlich. Ich darf.

Mir ist nach einer Party, mit Krabbensalat, schrecklich übel, wir bringen sie heim, unsere Hände berühren sich am Geländer vor dem Haus, unsere Blicke, ich hätte sie geküsst, wäre mir nicht so übel gewesen.

Mein letzter Gedanke abends ist sie, ich zittere, meine vergangenen Nichtliebschaften türmen sich schwarz neben, über meinem Bett, über mir.

Lichterfest Stuttgart, zu dritt, No, ihr bester Freund, Honey, ich, danach müssen wir eigentlich in zwei verschiedene Richtungen heim, aber ich gehe mit ihnen, nehme Anlauf, zwei Stunden lang. Vor ihrem Haus, Warten auf mein Taxi, vier Uhr morgens, ich frage sie, ob ich ihr was sagen kann, ja, ich stammele, sage, dass ich mich mit Haut, Haar, hätte ich Federn, auch mit ihnen, in sie verliebt habe, verliebt, verliebt.

Sie hat auch Gefühle für mich, fühlt sich überrascht, sagt, lass es uns am Telefon besprechen, am Telefon.

Sie hat es nie mehr abgenommen.

Fortsetzung folgt ...

23.10.2006

Carmen, Staatsoper Stuttgart, Premiere

Manchmal ist die Oper schwer zu ertragen. Der aufdringlich unnötige Pomp der Häuser. Die wie für ihre letzte Überseefahrt aufgetakelten Fregatten von Großmetzgersgattinnen und ihre ebenso geschmacklos stilbefreit gekleideten Kreditkartenbefüller. Der bleierne Mythos der achsoschweren Kunstform, nur weil man eine schiefe Note physisch eher spürt als einen falschen Gesichtsausdruck oder ein krummes Drehbuch. Und wenn schon. Die spastischen Schauspielgesten der allzuvielen Sänger, die nur Singen gelernt haben und sonst nichts. Die bis zum Schwachsinn platten Libretti. Die Mondpreise für das Programm und die Pausensnacks, die man nur aus Hunger und Geiz nicht den fachsimpelnden Kennern in ihre schwadronierenden Fratzen schmiert, die sich laufend fragen, ob "man" "das" denn "so" zeigen "müsse" und ob "die" Sängerin nicht "mal" "besser" gewesen sei. Die Buhrufe der Bürgerzombies, der untoten, entkernten Gerippe früher vielleicht existenter Tugenden, für nicht in ihren verrotteten Protogehirnen goutierte Inszenierungen.

Solange die Oper, solange das Publikum so ist, kann das neuerdings so vielgeschmähte Regietheater gar nicht überflüssig geworden sein. Es ist bei einigen ja offenbar noch nicht einmal angekommen.

Soviel als Vorrede zur eben gesehenen und gehörten Premiere von "Carmen" in der Staatsoper Stuttgart. Die Primadonna Karine Babajanian in der Titelpartie und Will Hartmann als Don José schlagen sich sehr achtbar, auch wenn sie zumindest auf mich und zumindest vorhin ein wenig müde wirkten. Umso besser Ina Kancheva als eine rührende Micaëla und Vincent Le Texier als komischer Escamillo, und die herausragende Klasse des Orchesters, diesmal unter der energischen Julia Jones, und des von Michael Alber geleiteten Chors muss man ja nicht mehr extra erwähnen. Verdient brandender Applaus für die Musikkünstler.

Viele Buhs aber für die Regie, die sich doch tatsächlich erdreistet, die Handlung aus dem gewohnten Sevilla ganz in Don Josés Inneres zu verlegen und ihn durchaus folgerichtig als passives und unsicheres Würstchen zu zeichnen, dessen aggressive und eifersüchtige Seiten von der armen Carmen zu beider Verderben hervorgeholt werden: Nur in ihrem Tod kann er sie besitzen. Mit einem ständig zwischen den Sängern herumspringenden grünen Schmürz (Christian Brey), vielen wilden Clowns, der sehr eigenwillig zurechtgebogenen Übersetzung und einem groß über dem Tor zum Hintergrund leuchtenden "Passage du désir" gerät Sebastian Nüblings Inszenierung zwar ziemlich plakativ, aber in seiner Erforschung der Psychen des gefangenen Weicheis und der zwangsfreien Zigeunerin sehr spannend und anregend. Und damit auch unendlich wichtiger, unendlich nötiger als die naive Malerei, die sich die Buher und "Bild"-Leser anscheinend so sehnlich wünschen, in starrer Angst vor dem brüllenden Miura der Realität. Aber was werfen sie auch ihre Estoques weg? Heißt es doch: Toréador, en garde! Toréador! Toréador!!

Matador heißt Töter

20.10.2006

Andis Videobox 1

Der Berg kreißte, oh Gott, 67 Takes und gebar dies. Enjoy!

Hier die im Video genannten Artikel Anders als Amerika und Darfur? War da was?

Der Metzger von Grosny

Der Schlächter von Tschetschenien hat Deutschland besucht. Der Blutsäufer des Kaukasus. Der Menschenfresser aus Moskau. Wladimir Wladimirowitsch Putin. War in Dresden, seiner früheren Wirkungsstätte. Seiner früheren Wirkungsstätte als KGB-Agent. Zur selben Zeit, als daheim in Moskau die Journalistin Anna Politkowskaja begraben wurde, ermordet, wohl möglich von seinem hochsympathischen Satrap Ramsan Kadyrow.

Und wo waren die Pazifisten? Die friedensbewegten Millionen des Zweiten und Dritten Golfkrieges? Die vorgeblichen Menschenfreunde? Die Krokodilstränenzerdrücker?

Man kann es wirklich nur mit Davids Medienkritik sagen, dem wir sonst nur bedauerlich selten zustimmen können:

The professional protester class, the Angry Left, the eternally self-righteous, indignant marchers who pose as saviors of the world as their rainbow flags flutter in the wind are nothing but a pack of morally and intellectually bankrupt hypocrites.

Hurrikan Mark

Maf54 (8:03:47 PM): what you wearing
Xxxxxxxxx (8:04:04 PM): normal clothes
Xxxxxxxxx (8:04:09 PM): tshirt and shorts
Maf54 (8:04:17 PM): um so a big buldge
Xxxxxxxxx (8:04:35 PM): ya
Maf54 (8:04:45 PM): um
Maf54 (8:04:58 PM): love to slip them off of you
Xxxxxxxxx (8:05:08 PM): haha
Maf54 (8:05:53 PM): and gram the one eyed snake
Maf54 (8:06:13 PM): grab

Der 52-jährige amerikanische Kongressabgeordnete Mark Foley und mit ihm die Republikaner sind in einen Sexskandal von epischen Ausmaßen verwickelt, gut einen Monat vor den Midterms. Gemütliche zwei Wochen später berichtet die "Zeit" darüber, nachdem die Blogs die Affäre bereits in ihren kleinsten Einzelteilen analysiert haben. Gut, dass ich sie abbestellt habe.

18.10.2006

Dove Evolution

Es mutete mir schon immer etwas seltsam an, dass eine Firma, noch dazu ein Kosmetikhersteller und eine Unilever-Tochter, sich gegen das herrschende Schönheitsideal wenden sollte, schließlich verdient sich mit in und mit sich zufriedenen Menschen kein Geld, womit auch, aber sehenswert ist Doves neuer Werbefilm trotzdem.

Der europäische Eunuch

Al Gore hat einen Film über sein Herzensthema gemacht. Einen so couragierten wie engagierten Film gegen die Bedrohung der globalen Erwärmung. Und wie reagiert der Europäer, der ewig saftlose, jammernde, impotente Eunuch, natürlich, zum Beispiel in der "Zeit": Aber wir haben das doch schon längst begriffen, schon längst! Wozu denn diese durchschaubare Gefühligkeit, dieser rohe, unfeine Patriotismus, diese lächerlich naiven Appelle? Soll dieser kulturlose Scheich, dieser ungehobelte Rüpel, sich doch lieber ein Beispiel an uns nehmen! An uns kultivierten, bescheidenen, sympathischen ...

Nur, der Scheich fickt den Harem. Nicht der Eunuch.

Wie es ein anderer Artikel im selben Blatt eindrucksvoll belegt. Auf derselben Seite. Wie weit geht unser Realitätsverlust noch?

Götz W. Werner

Am 17. März wegen erstaunlichen Andranges in der Johanneskirche am Feuersee zum Ende der Arbeit und dem bedingungslosen Grundeinkommen gehört.

Utopisch und radikal mag der Plan von einer besseren Welt sein. Problematisch, was die Herrschenden eigentlich machen, wenn die Beherrschten frei sind, wirklich frei. Unlösbar vielleicht die Herausforderung, die Zumutung dieser Freiheit. Und ärgerlich, dass einige Zuhörer im dm-Chef sogleich einen Guru sehen, der ihren bisherigen ersetzt, Verödung alter Warzen inklusive.

Richtig aber ist, dass Arbeitsteilung und Rationalisierung unseren Wohlstand und Überfluss geschaffen haben und weiter vergrößern. Dass sie unzweifelhaft weiter am Werk sind und uns damit die Arbeit abnehmen. Die Zukunft kommt, das Licht am Ende des Tunnels, und ob es das Land hinter den Bergen ist oder der TGV Atlantique, entscheiden wir. Worauf also warten wir?

17.10.2006

Chad Vader

Vier Episoden schon. Super!

13.10.2006

Automatix

Er steigt in Feuerbach in die U13 ein. Man ahnt den Körper eines Schmieds unter seinem dicken Pullover und seinem Blaumann. Seine schulterlangen Haare sind dunkelblond und leicht gelockt. Sein dichter Gallierbart lässt seine Mundwinkel traurig scheinen, doch erst die sattblauen Augen unter den schweren Brauen drücken seine tiefe, tiefste Verzweiflung wirklich und erschütternd aus. Er trinkt noch in der Bahn ein kaltes Bier und schüttelt sich ein wenig bei jedem Zug. Unendlich unstillbarer Schmerz spricht aus dem Gesicht des Mannes, der im falschen Jahrtausend geboren wurde.

Those were the days 7

Where were we ...?

Ah: Hier die Teile 1, 2, 3, 4, 5-1, 5-2, 6, 6 1/2 und 6 3/4.

Nach der Schule also. Zwei Monate Nichtstun. Immer noch ungeküsst. Dann zum Bund, Rommelkaserne Dornstadt bei Ulm.

"Warum?"

Das Kreiswehrersatzamt hatte die neuen Rekruten ...

"Du bist so witzig. Warum?"

Warum nicht?

"Das ist Dein ganzer Grund? Bist Du ein bisschen bescheuert? Oder einfach nur naiv?"

Nein wirklich, warum nicht? Ich war schon damals kein Freund der besonders perversen Abart des Antiamerikanismus, die sich hierzulande Pazifismus nennt, fürchtete keine körperliche Betätigung und konnte und kann bis heute pathologisch schlecht lügen, vorgeschobene Gewissensgründe kamen also nicht in Frage. Ich würde schießen.

"Brav, Rambo. Erzähl weiter."

Die Grundausbildung war schön. Jeden Tag voll zu tun, euphorisierender Sport, durch unberührte Natur gleiten, das heißt, in tiefster Gangart mit der Nase mitten durch die warme Erde, totale abendliche Erschöpfung, schwacher Schein des verborgenen Feuers in klarer Nacht im Wald ... Die anderen haben alle gelacht, als ich am Ende, als wir unsere schönsten Momente erwähnen sollten, jenen nannte.

"Dich gibt's wirklich nur einmal, Rambo. Und wahrscheinlich nimmst Du das auch noch als Kompliment."

Danach, in der Fahrschulkompanie, war nicht so viel zu tun, eigentlich gar nichts. Von Pause zu Pause gehangelt, vor dem Spieß versteckt, Eier geschaukelt, Tage gezählt ...

"Ich will ja nicht ungeduldig wirken, aber was haben diese sicher pittoresken Schilderungen eigentlich mit dem Thema ..."

Die Kameraden hatten alle ihre Freundinnen. Nach Dienstschluss, im Halbdunklen unseres Korridors, leuchteten die Displays ihrer damals klobigen Telefone grün, Flüstern erfüllte die Luft. Mittendrin ich, so einsam, wie man in einer Menge von Menschen nur sein kann. Wundert es, dass ich verzweifelt mein Adressbuch durchblätterte, nach Nummern suchte, die auch ich anrufen konnte, und auf der anderen Seite dann im besten Fall Amüsiertheit und ein nettes Gespräch, ansonsten Schweigen erntete? Wundert es, dass ich, als Kamerad H. mich fragte, wieviele ich schon "gehabt" hätte, schwieg, immer noch unfähig zu lügen, aber auch zu feige, die Wahrheit vor ihm, vor mir auszusprechen? Wundert es, dass ich still weinte?

"Manchmal machst Du es einem echt schwer, noch sarkastisch zu sein."

Endlich schrieb ich Belle einen Brief, ich vermisste sie. Sie, der Mensch, der sie war, traf sich mit mir auf einen Spaziergang, freudig, längst hatten wir uns wegen der Gastonne-Geschichte ausgesöhnt, doch hatten wir uns die letzten Monate nicht gesehen. Und während wir so gingen und sprachen, sagte sie mir, auf mein freundliches Stupsen hin, sie habe einen Freund.

"Und Du?"

Ich brachte unser Date hinter mich, wie es eben ging, mehr Automat als Mann, lief heim, laute Musik, lautere Verzweiflung, ich habe sie nie mehr gesehen. Das ist heute acht Jahre her.

"Dir war wirklich nicht zu helfen, oder? Ist Dir vielleicht irgendwann einmal aufgegangen, wie verletzend es ist, wie eine heiße Kartoffel fallengelassen zu werden, nur weil man einen Freund hat, wie verletzend es ist, als pures, pures Mittel zum Zweck benutzt zu werden? Ist das so schwer zu verstehen? Warst Du wirklich so vernagelt, so versperrt, so dumm, Du?"

...

"Ich hoffe nur für Dich, dass Du weißt, was Du ihr sagen wirst, wenn Du sie je wiedersiehst. Sieh Dich vor, man trifft sich immer zweimal."

Interessant wär's ja ... Nach dieser Episode war aber nicht mehr viel, und trotz mehreren Discobesuchen mit den Kameraden verließ ich schließlich das Militär im Sommer des nächsten Jahres genauso unberührt und liebesdurstig, wie ich im Herbst zuvor gekommen war. Mein nächstes Ziel: die Fakultät Informatik.

"Selbst wenn man wollte, könnte man Dein Leben nicht satirischer erfinden. Ich kann mir genausogut noch eins wie noch tausend Kapitel dieser Serie vorstellen und weiß nicht, ob ich darüber weinen, bitterlich weinen oder lachen soll, aus vollem Herzen lachen. Hör nur nicht auf, bevor es zu Ende ist."

12.10.2006

Deutschlandreise, Teil 3

Hier Teil 1 und Teil 2.

Man kommt tatsächlich für drei Euro mit dem Bus von Maastricht nach Aachen, mitten gleichsam durch die unverdienten Früchte des Friedens. Weniger erfreulich aber ist der Thalys nach Köln, der für französische Renommiertechnik typisch das einschüchternde Äußere eines TGV-Bastards mit muffig-klaustrophobischem Inneren verbindet. Auch der ICE in Köln missfällt, indem er weder fahren noch klimatisieren will und ich so zum dritten Mal auf dieser Reise eine Stunde an einem Bahnhof harren muss. Schließlich komme ich aber doch noch an meinem letzten Ziel München an und gehe mit Freund M. ein so leckeres wie preiswertes, nur in diesen Tagen nicht fragen, warum, Schnitzel essen und danach leicht anschickern.

Im röhrenden Suff blubbert meine alte Idee nach oben, doch einmal den guten, so unverständlichen wie glasklar brillanten Jürgen Habermas zu besuchen, der heute bekanntlich in Starnberg bei München wohnt und sich sogar mit kompletter Adresse im Telefonbuch finden lässt. Am nächsten Tag irren wir also zuerst zwei Stunden auf der Suche nach dem übrigens hervorragenden "Die postnationale Konstellation" durch die königlich bayrischen Buchläden, um eine Ausrede zum Signieren zu haben, und dann noch eine halbe Stunde an den Bürgerpalästen Starnbergs vorbei, auf der Suche nach Habermas' unauffälliger Hausnummer vor seinem ansonsten durchaus überraschend auffällig avantgardistischen Heim. Leider teilt uns seine skeptische Frau wahrhaft oder nicht mit, der Professor sei unterwegs und auch am Abend nicht da, und so bleibt uns nur, in den allerdings sehr schönen See zu gehen.

Ich ohne Habermas

Nach einer außergewöhnlich leckeren Brotzeit mit Maß in einem Biergarten muss ich schließlich auch München verlassen und nehme zufrieden Platz im Intercity nach Stuttgart.

Neben einem herrenlosen Rucksack.

Gegenüber einer Gruppe mittelalter Frauen, die anscheinend, schauder, von einer Reise auf Commissario Brunettis Spuren geradenwegs aus Venedig kommen und sich mit entsprechend angeregter Fantasie nach und nach in die absurd narzisstische Vorstellung hineinplappern, der böse schwarze Mann mit dem Turban wolle sie an einem Mittwoch spätabends zwischen Geislingen und Göppingen in die Luft sprengen, nur sie und die drei anderen Passagiere. Sie rufen, schreien bald nach Herrn Buchholz, ihrem Leiter und Babysitter, aber das Schlimme, das wirklich Schlimme ist, dass ich mich selbst nicht traue, den Rucksack zu öffnen, von der hysterischen Stimmung für einen Moment nur angesteckt. Endlich beendet Held Buchholz den Spuk, indem er das Ding auf die Ablage wuchtet, bis es schließlich einige Minuten später ein gemütlich buchhalteriger Nerd lächelnd abholt. Grübelnd gehe ich nach Hause. Und das ist Urlaub?

11.10.2006

Fall Ferres, Fortsetzung

Veronica Ferres' Büro hat mir geschrieben, "nach Rücksprache mit", jetzt sind es schon mehrere, den Anwälten und, oha, Ferres selbst.

Sie verzichtet auf die 10.000.

Puh. Doch kein Ende in der Gosse. Doch nicht mit manisch flackerndem Auge aus verlaust zotteligem Vierfarbenbart und einer krampfhaft mit krummen, gelben Fingern festgehaltenen Flasche gluckernden Pennerglücks Passanten wildeste Obszönitäten nachschreien und immer wieder wie besessen "Demmokrazie schtonk! Free spraken schtonk! Schtonk! Schtonk!! Schtooooooooonk!!!" brüllen müs-

Ich auf der Straße

Oh Moment. Der Satz geht ja noch weiter.

Sie verzichtet auf die 10.000, wenn ich die Anwaltskosten zahle.

Weil sie, was verständlich ist, nicht für meine Angriffe finanziell geradestehen wird und mir bereits weit mehr entgegenkommt, als sie muss. Womit sich die Ferres als unerwartet cool herausstellt, ich auf ihren fairen Vorschlag dankbar eingehen und hernach nimmermehr an sie denken werde. Wir sind quitt.

Nicht so cool ist aber, dass die Rechnung wohl vierstellig sein wird. Weil die Kosten für den Anwalt sich, wie geschrieben, am Streitwert bemessen. Festgelegt vom Anwalt. Plus Mehrwertsteuer. Und zweimal zwanzig Euro "Telekommunikationsentgelten". Und für all das Geld habe ich bisher noch nicht ein Stück Papier in Händen gehalten, nicht eins.

Nun ja. Man erntet, was man sät.

08.10.2006

Gute Spiele 2

Teil 1 hier.

Szene aus Final Fantasy VI

"Final Fantasy VI".

Oder der absolute Höhepunkt der Square-Formel, mitten hinein ins pochende Herz eines Nerds. Bilder, von denen die Augen übergehen. Zutiefst menschliche Helden und Heldinnen in höchster Gefahr und mit größten Gefühlen, auch füreinander. Die Rettung der ganzen Welt, natürlich. Musik zum Niederknien, Nobuo Uematsu. Dutzende Stunden nie langweiliges Spiel von den verschneiten Minen des Nordens bis zur Einsamkeit einer tropischen Insel und zurück. Und der beste, beste Bösewicht aller Zeiten.

Kefka.

General. Folterer. Terrorist. Massenmörder. Brutus. Clown. Gott.

Kefka Palazzo

Spielen!

Tosca

Man kann diese Oper ja gar nicht kaputtmachen. Mord, Selbstmord, Raserei, Revolution, Puccini ... Über den wie für Tenöre anscheinend üblich maximal 1,30 m hohen Cavaradossi (Ki-Chun Park), damals waren die Menschen doch alle kleiner, kann man noch genauso hinwegsehen wie über die eher plumpe und wenig attraktive Tosca (Francesca Scaini), vielleicht ist sie nur deshalb so eifersüchtig, weil sie, immer verlacht, nie Liebe gekannt hat und nun manisch, panisch fürchtet, wieder allein zu sein, nur sie und ihre süße, süße Schokolade? Wenn man die Augen schließt, geht es ganz gut, auch weil Opernsänger aus Tradition keine Kurse für ihr Schauspiel zu belegen oder es im Multiplex abzuschauen scheinen, was der einzige Nachteil der zweiten Sitzreihe ist. Das Orchester unter dem exzellenten Constantinos Carydis jedenfalls leistet Hervorragendes, und die Sänger auch, wie immer.

Aber warum wuchert die Oper nicht mit diesen Pfunden? Warum ist die Inszenierung so kreuzbrav konventionell, komplett mit zeitgenössischen Kostümen, dass sie fast wieder hinten als Ironie herauskommt? Obwohl sich in "Tosca" doch geradezu banal offensichtliche Interpretationen anböten, Scarpia als Schäuble, Angelotti als al-Masri, oder Tosca als Marilyn, Cavaradossi als Miller ... Stattdessen trägt er, goddammit, sogar eine Weste! Hat das etwas mit der Heidenreich zu tun, der Hohepriesterin des Trivialen, des Erzengels der Reaktion, der Abgöttin des Ignorance is Strength? "Lasst uns doch einfach mal genießen", indeed! Gefühl statt Verstand. Instinkt statt Überlegung. Herde statt Kunst. Es hängt wohl wirklich alles zusammen. Ob Teisiphone auch heiser wird?

We now return to our regularly scheduled programming

Durch die Nacht Neufundlands zu fahren heißt nicht, dass der Kapitän nicht im Großen Ballsaal tanzen kann. Fragt sich nur, ob ich Edward John Smith heiße.

05.10.2006

Das Thing

Sed et de reconciliandis invicem inimicis et iungendis adfinitatibus et adsciscendis principibus, de pace denique ac bello plerumque in conviviis consultant, tamquam nullo magis tempore aut ad simplices cogitationes pateat animus aut ad magnas incalescat.

Bei Tacitus heißt es, die Germanen besprächen am ersten Abend ihrer Versammlungen bei einem Gelage Feindschaft, Ehe und Fürstenwahl, endlich Krieg und Frieden, "gleich als meinten sie, dass zu keiner Zeit der Sinn so sehr für einfache Gedanken erschlossen sei oder sich für große erwärme". Beschlüsse aber würden erst am nächsten Morgen gefasst, mit leiser Stimme und einem bedächtigen, riesigen Kater:

Deliberant, dum fingere nesciunt, constituunt, dum errare non possunt.

"Sie beraten, wenn es ihnen nicht gelingt, sich zu verstellen, und beschließen, wenn sie nicht irren können." Kein schlechtes System.

Ein Thing

Wenn nun in Bloggersdorf der Häuptling und der Knappe, der Weise und der Narr, der Krieger und der Lahme, alle aus metverklebtem Barte, ihre Meinung ins Rund röhren, je nach Temperament mehr oder weniger freundlich, mehr oder weniger besonnen, klingeln dem, um dessen Sache, dessen Ding es unter anderem geht, erstmal gehörig die Ohren, und er fragt sich, ob es überhaupt richtig war, den Rat zu rufen. Aber am nächsten Morgen klart es auf, und aus dem Rausch wird Erkenntnis, aus dem begrenzten Eigenblick erweiterte Außensicht, falsch und richtig Verstandenes treten neu zutage. Also:

Nein, die noch vereinzelt im Internet auffindbare Version meiner Äußerungen über Veronica Ferres ist nicht die abgemahnte.

Ja, ich habe veranlasst, diese Version entfernen zu lassen, aber ich kann natürlich keine Beiträge anderer in von mir nicht moderierten Foren sofort weghexen.

Was unterscheidet die neue von der alten Fassung?
Was unterscheidet mich von dem Andi, der Moviebazaar gegründet hat?
Vielleicht wäre die Antwort kürzer, wäre die Frage, was mich nicht von ihm unterscheidet.
Ich aber bin weniger zornig. Weniger zynisch. Weniger rauh.
Viel glücklicher, auch wenn ich nie Cheer Bear sein werde.
Vielleicht auch ein besserer Autor, eine keckere Tippse.

Macht das die alte Version ungeschehen? Weniger horrend plump, erschreckend frauenfeindlich, und das von mir, mir, und ausführlich schlecht? Weniger beleidigend?

Natürlich nicht. Das Ghetto, die Nacht, Vietnam ist immer eine Biegung entfernt, auch wenn man im Cabrio, unter Konfetti, kreischend bejubelt an einem strahlenden Sonntag um zwölf die Fifth Avenue entlanggefahren wird. Ich habe nicht, nie behauptet, dass Amelungs Abmahnung ungerechtfertigt ist.

Aber, nochmal, die im Internet noch auffindbare alte Version ist nicht die neue. Die neue aber wurde abgemahnt. Und wie. Mit einem Erdbeben begonnen sozusagen. Und das hat mich einigermaßen getroffen, dachte ich doch bisher, ein Titel wie "Meine Hasslinge", direkt unter "Meine Lieblinge", mache mehr als deutlich, dass es sich weder um wirklichen Hass noch um Tatsachenbehauptung handelt, und genösse insofern eine weite Freiheit der Meinung. Das heißt wiederum nicht, dass die Abmahnung ungerechtfertigt ist. Wenn Veronica Ferres sich privat getroffen sieht, werde ich sie wie geschrieben um Entschuldigung bitten und anbieten, eine gewisse Summe einem von ihr zu nennenden guten Zweck zukommen zu lassen bzw. habe es heute mit drei Briefen und drei Mails an die Adressen auf ihrer Website erneut gebeten und angeboten, nachdem ich im letzten Monat keine Antwort erhalten hatte. Es gibt immer Möglichkeiten, und man ist kein Unmensch.

Und das ist das, worum es geht: Man ist kein Unmensch.

Kein Bittsteller, der Achtstundenfristen einhalten und im Gegenzug bis Sankt Nimmerlein zuwarten soll. Kein Untertan, der die Bezahlung einer halben Arbeitsstunde in purem Gold aus den blanken Rippen schwitzen muss. Kein Vasall, den man zwingt, unter einer unmittelbar existenzgefährdenden Drohung zu erzittern. Kein Sklave, der ausgepeitscht wird, weil er einen Fehler begangen hat. Kein Dreck, sondern ein Mensch.

Das ist das Ding.

Und das ist alles.

04.10.2006

Veronica Ferres will 10.000 Euro von mir

Der Abmahntsunami rollt auf Deutschbloggersdorf zu. Und ganz vorne am Strand, im Wortsinne avantgardistisch, wie es meine Leser wünschen, stehe ich und sehe zu, wie sich das Meer zurückzieht, immer weiter, und Atem holt.

Veronica Ferres will 10.000 Euro von mir. Ja. Die Ferres. Und ihr Anwalt, Ulrich Amelung, selbst auch kein Unbekannter mehr, 1512 und ein paar Zerquetschte Abmahngebühren. Für zwei E-Mails und ein bisschen Gegoogle.

Doch holen wir ein bisschen weiter aus, noch nimmt auch die See ihren tiefen Zug. Veteranen meiner Webpräsenz werden sich erinnern, dass ich mal mit Moviebazaar begann, einer Seite mit Filmkritiken, allerlei Filmspecials und ein paar weiteren Extras. Unter "Meine Hasslinge" nun standen und stehen bis heute meine Hassschauspieler, obwohl ich die Liste genauso mal wieder aktualisieren sollte wie die meiner Lieblingsspieler unter "Meine Lieblinge".

Platz drei bis eins meiner Hasslinge war Veronica Ferres. Mit ausführlichen Aussagen über ihr Aussehen, ihre Karriere, ihre Stimme und ihr Talent garniert, die, die Veteranen erinnern sich, nicht freundlich waren, wohl auch beleidigend, darunter unter anderem ein Vergleich der Ferres mit William Shatner. Nackt.

Vor einigen Wochen hat Ulrich Amelung, der ständig Veronica Ferres in Sachen des Persönlichkeitsrechts vertritt, die Aussagen entdeckt und mir mit einer, böse Menschen würden denken, absichtlich unmöglichen Frist von acht Stunden eine Mail geschrieben, dass ich die Inhalte entfernen soll, oder sonst! Weil ich meine wirkliche Mailadresse aber nicht im Internet veröffentliche, ist seine Nachricht in meiner Spamgruft geendet, aus der ich sie erst eine Woche nach Ablauf der Frist exhumiert habe.

Meine Reaktion beim Öffnen kann man sich vorstellen.

Ich habe die Aussagen entfernt und nur noch die Fotos der Ferres belassen sowie einen Vergleich ihrer Stimme mit einem Musikinstrument und eine Aussage über die Größe ihres Talentes, im naiven Glauben, eine als "Meine Hasslinge" betitelte Seite sei ein hinreichend klarer Hinweis darauf, dass es sich dabei um meine nunmehr nicht mehr beleidigende Meinung handelt. Dann habe ich Amelung geantwortet, was ich vielleicht nicht hätte tun sollen, um wenigstens ein ordentliches Einschreiben abzuwarten, aber das "oder sonst!!1", die kurze Frist und der einschüchternd imposante Briefkopf hatten eindrücklich auf mich eingewirkt.

Eine Abmahnung habe ich so oder so erwartet, wer würde sich schon nicht bücken, wenn er im Bach hinter der Mühle einen Klumpen Gold fände, so groß wie der eigene Kopf? Nicht aber die Forderung einer "Geldentschädigung" von 10.000 Euro wegen der "Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung" und meiner "Hartnäckigkeit". Nicht aber Abmahnkosten in Höhe von 756 Euro und noch einmal 756 für die Unterlassung. Kosten für den Anwalt, versteht sich. Bemessen am Streitwert, versteht sich. Festgelegt vom Anwalt, versteht sich. Böse Menschen würden denken ...

Ich habe Amelung geschrieben, dass ich keine 10.000 Euro habe, außer mit einem Minus davor, was wirklich wahr ist, das Geld war bei uns zuhause lange knapp. Ich habe der PR-Agentur der Ferres geschrieben, dass wir sicher eine alle zufriedenstellende Lösung finden können, ohne mich kurz vor meinem Studienende ruinieren zu müssen. Ich habe ihr angeboten, mich persönlich bei ihr zu entschuldigen. Ich würde auch ihrem Präventionsverein gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen Power-Child e.V. beitreten oder ihm die Abmahnkosten spenden ... Es gibt immer Möglichkeiten. Immer. Aber ich warte seit drei Wochen auf Antwort.

Ich warte und stehe am Strand. Und der Ozean hält den Atem an.

02.10.2006

Deutschlandreise, Teil 2

Am nächsten Morgen zurück am Welthauptbahnhof lasse ich mir widerwillig gleichsam in hier ungenannte Körperöffnungen leuchten, um untertänigst mein Gepäck abgeben zu dürfen, und treffe hernach Freundin M. zu einem schönen Mittag zwischen Alex und East Side Gallery und später auch Freunde M. und E. Viel Amüsement und Konsternation über eine bestimmte, sensible deutsche Schauspielerin, ihren Anwalt und ihren teuren Zorn auf mich, über den noch so oder so zu bloggen sein wird. Endlich steige ich, nach der Zusicherung des Schaffners auf meine unpräzise Frage hin, es gäbe noch "was", in den Nachtzug nach Lüttich, im glorreichen Gedanken, mir so eine weitere schlaflose Nacht in einer schlechten Jugendherberge mit lieblosem Frühstück ersparen zu können.

Leider gibt es, lazy man's pun, nach Liège keine einzige Liege mehr, sondern nur noch Abteile, und ich setze mich zu zwei wohl nach Paris fahrenden Mädchen. Später steigt ein ebenso junges Pärchen zu, sie knuffig, er schlaksig, und versucht bald auf unglaublich niedliche Weise, sich auf den engen Sitzen in halbwegs erträgliche Schlafpositionen zu verrenken. Nachdem wir nach längerem Aufenthalt Dortmund verlassen haben (Ich: "Wie lange steht der Zug noch?" - Schaffner: "Bis er liegt, huahuahua!"), sind wir nur noch zu viert, das Pärchen, das rothaarige Mädchen, auf Bouguereaus-Cupido-Weise attraktiv, und ich, und so kann ich, wenngleich picassohaft verkrümmt, endlich auch schlafen.

Bouguereaus Cupidon

Ich erwache zwei Stunden später, kurz vor fünf, und öffne, um frische Luft zu schnappen, das Fenster am Gang, als wir eben durch schlafende belgische Dörfer fahren, und bin überraschend ergriffen von der ursprünglichen Eisenbahnromantik dieses Bildes, beginnende Morgendämmerung auf dampfenden Wiesen, dunstige Lampen über schwarzen Straßen, dunkle Häuser im Mittelgebirge, und nur wir ratternd, leuchtend, lebend in Bewegung, im kühlen Wind.

Endlich nach noch einem verspäteten Umstieg mit dem außen pompösen, innen klapprigen belgischen Bahnsystem in meinem Ziel Maastricht angekommen, werde ich gleich von einem zitternd alten Zeugen Jehovas angesprochen, der zwar kaum Englisch spricht, aber natürlich auch für diesen Fall eine übersetzte Broschüre bereithält, die mich fragt, ob ich mich nicht auch frage, ob Gott ... Selbst als ich mein Nichtinteresse bekunde, bleibt er fröhlich und wünscht mir sogar einen schönen Tag, und es wird mir wirklich schwer, ihn nicht auch zu mögen.

Bei Freundin A. schließlich falle ich in einen zwar unverdienten, aber trotzdem erholsamen, dringend nötigen Schlaf. Vor und nach dem Abendessen erkunden wir das schöne Maastricht, in dem es sich zwischen wunderbar erhaltenen Backsteinbauten, romantischen Gässchen und dem deutschen Grenzfluss der Maas so schön wie entspannt leben lässt. Nachts, immer eher Q als Bond, unterhalten wir uns, was den Alpha ausmacht und was den Omega. Kann das Philosophenzitat den Waschbärbauch kaschieren? Würde Schwarzenegger ein eigenes Blog führen, gar mit krude selbstgemachtem Logo? Ist "Ähh ...(bibber) ...vielleicht- Handynummer?", selbst gehört, oder "Poppen?" die erfolgversprechendere Anmache? Und wer zum Teufel hat eigentlich als erste, als allererste Assoziation beim Anblick einer hübschen Rothaarigen, dass sie wie Bouguereaus Cupido aussieht? Wir lachen unglaublich viel. Und that's Urlaub, Baby!

Fortsetzung folgt ...

Islam-Konferenz

Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass ihr of all people Wolfgang Schäuble vorsitzt, aber ich wünsche ihr alles Gute. Und andererseits konnte ja auch nur Nixon nach China gehen.

Zeit Klassik-Edition Band 1

Lord Yehudi Menuhin war ja f'ing genial. F'ing. Warum hat mir das nicht früher jemand gesagt? Und habe ich schon mal erwähnt, dass es unglaublich cool ist, tatsächlich, in echt, "Lord" genannt zu werden? Lord Lazar, Beherrscher der Gläubigen. Lord Lazar, Präsident der Welt. Lord Lazar, James Bonds Erzrivale! Ach ja ...

01.10.2006

Mit Darts Hauptstädte finden

Welche Note bekommt Ihr?

Deutschlandreise, Teil 1

Der Plan: Um zehn nach einem Glas Milch mit Honig und dem Nachtgebet mit leisem Tschaikowski und den frisch manikürten Händen auf der gebügelten Bettdecke friedlich einschlummern, um zehn Stunden später aufzuwachen und zwölf Stunden später den Zug nach Berlin zu nehmen.

Die Wahrheit: Nach ausschweifendem Gezeche, Gelagen und dem Gewinn und anschließenden sofortigen Verlust von 10.000 Euro und einem Goldzahn in der Spielbank, so zumindest meine undeutliche Erinnerung, zwei Stunden nach Abfahrt des Zuges mit regelmäßig hinter meinen Augen pochenden Vorschlaghämmern erwacht. Langsam berappelt, zum Bahnhof gekrochen und, Spontaneität der BahnCard 50 sei Dank, in den nächsten ICE nach Norden gestiegen.

Ich liebe ja, nicht unbedingt aber auf der ereignislosen Rennstrecke Stuttgart-Mannheim, Bahnfahren, unsere so schnellen wie eleganten und sauberen ICE und die Deutsche Bahn an sich, deren Qualität wir Deutschen, worüber noch zu schreiben sein wird, gar nicht richtig zu schätzen wissen. Das Zugheftchen "DB mobil" jubelt mit mir und versorgt mich mit interessanten Informationen über Hartmut Mehdorns weiße Flaggschiffe: 300 Stundenkilometer! 180.000 Reisende pro Tag! 300.000 verkaufte Märklin-ICE! Ganz berauscht komme ich in Mannheim an und verpasse prompt meinen Anschluss, da mein Flaggschiff zehn Minuten Verspätung hat. So bummele ich, nachdem ich, meiner viel zu spät auslösenden Mobiltelefonkamera sei Undank, vergeblich versucht habe, eine abfahrende Dampflokomotive zu fotografieren, des nächsten Zuges harrend durch den Bahnhof und halte vor der Auslage des lokalen Zeitschriftenladens, in dem eine passionierte Verkäuferin eine Reihe "Emmas" zum Venussymbol arrangiert hat. Folgender Dialog entspinnt sich:

ANDI
(skurril)
Verzeihung, wo finde ich denn die "Emmas"?

VERKÄUFERIN
(zeigt es)
Hier.

ANDI
(sucht)
Aha, hm, die, die ich suche, ist leider nicht dabei.

VERKÄUFERIN
(freundlich)
Welche hätten Sie denn gerne? Ich kann sie Ihnen
aus der Auslage holen, wenn Sie möchten.

ANDI
(schämt sich ein bißchen)
Die mit dem zu frühen Sex.

VERKÄUFERIN
(greift unbeirrt in die Auslage)
Hier die, "Zu früher Sex?"

Zu früher Sex

ANDI
(leicht verlegen)
Ähm, ja genau.

VERKÄUFERIN
(nunmehr an der Kasse)
Sechs fünfzig. Möchten Sie noch eine Autogrammkarte von der Schwarzer?

ANDI
(strahlt)
Ja gerne!

Ein Autogramm von Alice Schwarzer

Neugierig lese ich, nun wieder nach Berlin unterwegs, das Blatt und finde nicht nur wie im Vorurteil bestätigt, dass es vor allem ihr Blatt ist, buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite, inklusive fast schon satirisch suggestiver Interviewfragen ("Sexualität muss ja auch in der Heterosexualität nicht immer der Koitus sein"), eigenem Bushbashing und genießerisch langer Houellebecqbeschimpfung durch Dritte, sondern wie vermutet auch, dass ihr Blatt ein verdammt gutes ist, preaching-to-the-converted-Bonus schon abgezogen. Feine, diverse, tiefe, oft lustige Inhalte, richtige Worte zur richtigen Zeit, interessante Gespräche ... Alice Schwarzers Editorial zu den viel zu früh und in so großer Unwissenheit wie Einsamkeit miteinander vögelnden Kindern bleibt nur hinzuzufügen, dass das darin von ihr gepimpte Dossier sich wirklich zu lesen lohnt. Kaufen, wenn's noch irgend geht!

Zwischen zwei dünnen Würsteln mit einem Mickerbrötchen und Senf für zwei achtzig zerrinnen die Stunden. Endlich Berlin Hauptbahnhof.

Berlin Hauptbahnhof

Germania Welthauptbahnhof, zum Imponieren erschaffen, nur einen Steinwurf von der Großen Halle Kohls Waschmaschine entfernt. Ich weiß nicht, ob ich fliehen oder staunen soll, kaufe erstmal hungrig ein paar Nudeln, doch verspeise sie erst einige Minuten und Meter weiter auf den vertrauten Stufen des Reichstagsgebäudes, sinnloses Geprotze auch es, aber wenigstens nicht so penetrant neo-alles, haha.

Ewig nach der Juhe Mitte suchend, komme ich endlich weit nach Mitternacht an, nur um zu erfahren, dass kein Zimmer mehr frei ist. Der geschätzt über 60-jährige Herbergsvater hilft mir weiter, indem er seinem Kollegen in Tegel auf leicht beunruhigende Weise durchtelefoniert, dass gleich ein "Mann, groß, blond, blauäugig, sehr sympathisch" vorbeikomme, wofür ich schließlich aber doch noch, der Entfernung geschuldet, fast eine Stunde brauche. Todmüde falle ich bzw. quetsche mich ins Guantánamo-Kingsize-Bett und räkele mich auf seiner ganzen Halbmeterbreite, nur um vom konzertanten Schnarchen meiner mittelalten Zimmergenossen aus einer Gruppe reisender Mindersozialisierter bis zum Morgengrauen wachgehalten zu werden. That's Urlaub, Baby!

Fortsetzung folgt ...