-->

15.07.2009

Neues aus dem Maschinenraum

Neu:
  • Eingebettetes Kommentarformular. Gefällt und funktioniert es?
  • Hellere Hintergrundfarbe. Ich suche noch nach einer besseren Alternative ...
  • Einige neue Links
  • Werbung. Hässlicher Verrat? Büttel des Schweinesystems? Weitere Meinungen?
Noch zu tun:
  1. Labels
  2. ???
  3. PROFIT!!!

10.07.2009

Death to Spreeblick

Ich bin wirklich brav zurzeit. Ob es draußen 25 Grad hat oder 35, bräunende oder streichelnde Sonne, ob die norwegischen oder die schwedischen Synchronschwimmerinnen vor der Tür kostenlos Eis und Massagen verteilen, ich sitze im Computerpool der Universitätsbibliothek und schreibe meine Diplomarbeit über Blogs und Politik in den USA. Ich komme gut voran und liebe Amerika mit jedem Tag mehr.

Heute habe ich aus Neugier nach langer Zeit mal wieder geschaut, womit sich die größten Blogs in Deutschland beschäftigen.

Großer Fehler.

Dieser Eintrag im Top-5-Blog Spreeblick ist von so einer durchdringenden Perfidie, Pseudoabgeklärtheit, Ignoranz, Bräsigkeit, Konsenssucht, Wohlstandsselbstkasteiung und endlich reaktionären Unoriginalität, dass man den Autor Johnny Haeusler nicht zum ersten Mal gewaltsam schütteln und ihm mit voller Kraft aus nächster Entfernung dies ins verkniffene Irgendwas-mit-Mediengesicht brüllen möchte:

Hör auf, so gott-fucking-verdammt deutsch zu sein!!

Okay. Zwei Pillen und ein Schluck Wasser aus dem Hahn. Systolisch 173, wieder ganz normal also. Zurück an den Computer und alles nochmal ganz langsam von vorn.

Worum geht es?

Das Mitglied in mittleren Rängen der Piratenpartei Bodo Thiesen ist durch fragwürdige Äußerungen zum Holocaust aufgefallen, 2008 auf der Mailingliste der Partei und offenbar schon früher im Usenet, wie einige Blogger herausgefunden haben, und weswegen jetzt offenbar eine Kontroverse hochkocht.

Ahaha, das gute alte tote Usenet.

Mein grausamer, mein geliebter, mein bester Lehrmeister für Diskussionen im Netz.

Schauen wir uns also an, was Bodo Thiesen im Usenet geschrieben hat, aber weil wir nicht so viel Zeit haben, Diplomarbeit, remember, gehen wir nur ganz oberflächlich drüber, zum Beispiel durch Gruppen wie de.talk.tagesgeschehen oder de.soc.politik.misc, gedacht als Anlaufpunkte für gesittete Diskussionen über aktuelle oder fortlaufende Politik, tatsächlich Sammelbecken für Antisemiten, Paranoiker und Wortdiarrhötiker aller eitergrünen bis schwarzbraunen Schattierungen, aber that's the Internet for you. Also, nur ein paar Auszüge.

Bodo Thiesen im Thread "Simon Wiesenthal Center fordert Buchzensur", 28. Februar 2003:

> Ich kaufe Bush diese Rhetorik nicht ab.

Ich auch nicht. Es geht um Öl. Nicht mehr, und nicht weniger.

> Blair und die CDU/CSU stimmen
> ihm zu.

Klar, wer will sich schon die USA und die ##### zum Feind machen?

Gruß, Bodo
--
PS: ##### ist eine freiwillige Selbstzensur, um mich vor juristischen
Atakken von der ######### Seite zu schützen.

Fast alle Einträge von Bodo Thiesen im Thread "Wird Friedmann als Quotenjude geopfert?" aus dem Jahr 2003, zum Beispiel am 13. Juni, am 18. Juni und gleich ein-, zwei-, dreimal am 24. Juni.

Und schließlich Bodo Thiesen im Thread "Geschichte kann auch Strafe sein", 7. Juli 2003:

>> Geschichte kann auch Strafe sein.

>Strafe, die selbst verursacht wurde.

Es gibt Theorieen, die besagen, daß die deutschen Main-Stream-Medien von den
[WARNING in zensoring.c: SENTENCE ABORTED: §130StGB Compliance not assured]

[...]

>> Zeigt man denn anderswo auf andere Länder?
>> Zeigt man auf Russland, England, USA oder Japan?

>6 Mio. Menschen wurden umgebracht. Das dauert nun mal bis das vergessen ist.

Zu den 6 Mio. Menschen, kann ich nur sagen, daß ich da so meine
[WARNING in zensoring.c: SENTENCE ABORTED: §130StGB Compliance not assured]

>Unsere Vorfahren hätten sie ja nicht umbringen müssen.

Meine Vorfahren haben keinen umgebracht. Ich kann für Deine nicht sprechen.
Vor allem aber habe ICH keine umgebracht.

>Die verordnete Humanität ist auch in der Bevölkerung nicht so ganz
>angekommen.

Wenn "verordnete Humanität" mit "bitte zahlt mal hier und dann bitte noch
da, ach ja, dies hier hätten wird ja fast vergessen, und natürlich auch
noch ..." gleichzusetzen ist, dann kann ich da auch nichts positives drin
sehen.

>Unsere Straßen sind Luxuspisten während die Scheißhäuser unserer Schulen
>schon lange nicht mehr zu benutzen sind.

Ich habe da meine Beobachtungen gemacht. Wenn ich die hier nennen würde,
würde mich das zu einem Antisemiten oder wenigstens zu einem Nazi machen,
daher lasse ich das jetzt.

[...]

>Man muss sich nicht menschlich nennen sondern auch so handeln.

Klar, das geht aber nicht, indem man fortan auf 12 Jahren "deutscher"
Geschichte rumhackt, und dabei 1000 Jahre vergisst, in denen Deutschland
vom Ausland (vorzüglich F) gegängelt wurde.

Gruß, Bodo

Ich bin seit über zehn Jahren im Internet unterwegs, viele, viele Jahre davon auch im Usenet. Ich erkenne einen Judenhasser und Naziapologeten, wenn ich einen sehe. Ich rieche sie. Die Affinität zu vergifteten Foren. Das obsessive Zergliedern einzelner Wörter. Die Pseudowissenschaftlichkeit und die Pseudoselbstdistanzierungen. "Juden sind auch Menschen", oder anders gesagt, "I have black friends too". Die "clevere" Vermeidung von Justiziabilität. Und über allem der überwältigende Wunsch, fragen zu wollen, was um Himmels Willen Bodo Thiesens Problem ist, wieso er sich in so, so starker Weise mit den Juden und den Nazis befasst.

Ich weiß es. Ich fühle es in meinen Knochen. Aber ich kann es nicht beweisen. Bodo Thiesens Aussagen sind geschickt genug, seine Punkte gültig genug, um alles glaubwürdig genug abstreiten zu können, und darum schreibt er ja auch, wie er schreibt. Nein, ich bin kein Nazi, aber haben die Polen uns nicht zuerst den Krieg erklärt? Nein, ich bin kein Verschwörungsspinner, aber sind die Umstände von Möllemanns Tod nicht seltsam? Nein, ich hasse keine Juden, aber sollten sie nicht besser zusammenpacken und abhauen? Nein, nein, nein ... aber?

Es gibt für mich keinen Zweifel, dass Bodo Thiesen extreme rechte Ansichten zum Dritten Reich, zum Holocaust und zu Juden hegt. Ansichten, die ich für widerlich, anstößig und absurd falsch halte. Und ich verstehe die Piratenpartei, wenn sie sich überlegt, ob sie so einen Menschen weiter in ihren Reihen behalten will.

Aber, und das ist der Punkt dieses Eintrages, und warum ich es so hasse, dass eine so prominente Plattform, eine so großartige Möglichkeit zur Förderung des Wahren und des Guten wie Spreeblick Beschränkungen der Meinungsfreiheit das Wort redet, ich würde bis zum Blut dafür kämpfen, dass Bodo Thiesen seinen Scheiß, seinen Müll, seinen menschenhassenden Eiter von jedem Dach brüllen darf.

Weil die Freiheit der Rede die erste Voraussetzung einer freien Gesellschaft ist.

Dass jeder mit gleichem Recht sagen darf, was er will.

Dass nicht einige Redner oder Reden gleicher sind als andere.

Nur in dieser grundlegenden Gleichheit bestehen für mich Freiheit und Demokratie.

Wo ist die Grenze dieser Gleichheit, dieser Freiheit?

Erst ganz, ganz nah vor der Nase des anderen.

Alles andere erscheint mir undemokratisch, ungleich, unfrei.

Also: "Feuer!" im geschlossenen, übervollen Kino schreien? Verbieten. "Tötet diesen Bastard, den da hier!" - Verbieten. "Diese Hure hier klaut aus der Kasse!" - Vielleicht verbieten. "Schröder, der Bock, schläft mit Maischberger, der Schlampe!" - Nicht verbieten. "Es gab keinen Holocaust!" - Nicht verbieten. "Tod den Juden!!" - Nicht verbieten.

Im Zweifelsfall, gültig wie immer: Lasst. Euch. Eier. Wachsen.

Tut selbst was gegen abstoßende Rede, widerlegt sie zum Beispiel oder redet lauter.

Und hört endlich, endlich auf, nach der Amme Staat zu rufen.

Ihr gottverdammten Deutschen.

03.07.2009

Nerd

Tage und Tage im Computerpool, tippen und tippen von neun bis neun. Je später die Zündung, desto mehr Schub ist nötig, um schnell in den Orbit zu klimmen. Aber es ist gut, am Abend kann ich die Sterne sehen.

Wer Sonnenuntergangszeiten für Stuttgart googelt, ist doof.

Ein Nerd, den ich aus meinen Italienischkursen kenne, ist auch fast jeden Tag da. Er spricht auch Französisch, zu einem Mädchen einen Computer entfernt, wie sein Italienisch grammatisch und vokabularisch richtig, aber seltsam künstlich, trocken, wie ohne Seele. Er trägt schwarze Schuhe und schwarze Socken, hat dünne weiße Beine in schwarzen Shorts, ein gestreiftes Poloshirt, eine Brille und Haar wie blonde Stahlwolle. Seine Stimme ist eher hoch, und manchmal springt er auf und hilft.

Er hilft Mädchen, sich einzuloggen.

Er hilft Mädchen, sich auszuloggen.

Er hilft Mädchen, Dokumente zu drucken.

Er hilft Mädchen mit USB-Sticks und mit Laptops, mit Büchern aus der Bibliothek und mit schweren Tragetaschen.

Er hilft, Mädchen.

Und nach jeder Hilfe ist es, als dehnte er sich ein bisschen aus, für eine Weile nur.

Nimmt einen Schluck aus seiner Colaflasche, wie Siegeschampagner.

Wirft ein Blatt Papier in den Müll, wie Jordan.

Sieht sich um in seinem Revier, wie König Simba.

Er sieht sogar ein bisschen aus wie Simba.

Wie das Löwenjunge Simba.

Der Nerd im Pool

Ein Mädchen kommt, blumengemustert ihr Kleid, rot ihr Haar, in ihrer Art ein wenig wie Chloë Sevigny, killer legs, butter face, was denn, ich bin nur ehrlich, ich liebe doch Chloë Sevigny, wie kann man auch nicht, jedenfalls sind alle Plätze belegt, und sie setzt sich auf die Wartebank, und kaum eine Minute später dreht der Nerd sich zu ihr um.

Zu schnell.

Don't do this, boys.

Der Nerd dreht sich so schnell um, wie der studiVZ-Gründer Ehssan Dariani sich in diesem Fremdschämfilm in der Berliner U-Bahn umdreht, um zwei große Blondinen in sein OnanierVideoarchiv zu bannen, und dabei sogar eine der Frauen anrempelt. Ach, Fakebook-Dariani. Röntgen wäre nicht erleuchtender.

Der Nerd fragt, was Chloë braucht, und sie sagt, sie müsste nur was drucken, und er überlässt ihr mit einer in seinen Gedanken weltmännischen Geste seinen Account und tut so, als läse er ein Buch, während sie sich bedankt und ein paarmal klickt, noch vor Sekunden lag seine Hand auf derselben Maus!

Sie ist fertig und bedankt sich nochmal, und wahrscheinlich, damit sie weiß, welches Benutzerkürzel sie am Drucker auswählen muss, reißt er ein Stück Zettel ab und schreibt etwas darauf, vielleicht sein Kürzel, vielleicht seine Nummer, vielleicht eine Zeichnung ihrer Vulva, und gibt ihn ihr, und sie bedankt sich ein drittes Mal, und als sie an meinem Platz vorbei zum Drucker geht, spielt sich das wunderbarste Schauspiel in ihrem Gesicht ab, Verwunderung, Ekel, Dank, Erleichterung und Verstehen, auf mehrere Weisen Verstehen in einer Viertelsekunde.

Ich möchte Regisseur sein, und wie Sergio Leone nur Großaufnahmen von Gesichtern vor überwältigenden Naturpanoramen drehen. Vollkommene Kunst, vollkommenes Leben ...

Im Gesicht des Nerds stehen Ausdehnung und Zufriedenheit und nur ein bisschen Sehnsucht.

Das erste vergeht nach ein paar Minuten.

Das zweite später, am Nachmittag.

Nur das dritte wächst.

Tage und Tage.