-->

09.12.2006

Coldplay

Ich saß auf meinem Bett und hörte Coldplay, diese lächerliche tränige gutmenschliche Knutschmusik, die nach bleichen Engländern, schlecht geheizten Lofts und fair gehandeltem Kaffee riecht, und fühlte mich wie jemand, der Coldplay hört.

Did I listen to pop music because I was miserable?
Or was I miserable because I listened to pop music?

Und da taucht er im Augenwinkel auf, mein innerer Mephistopheles, ohne den es nie geht, mein Geist, der stets verneint, mein advocatus diaboli, und bellt, und zurecht, dass ich, des vonderleyenschen Idylls mit Job, Haus, Frau, Kinder- und Hundeschar ansichtig, doch augenblicklich Anlauf nähme, um mit der größten Ramme dagegen anzurennen, und wahrscheinlich auch zurecht, aber ich entgegne ihm, dass lächerlicher als der Spießer in seiner Blase scheinbarer Seligkeit, weit lächerlicher doch ein alter Rainer Langhans ist, der tatsächlich noch andere Spießer nennt, seine Enkelinnen in der Disco begrabscht und allein sterben wird, an seinem Grab nur der Pfarrer, ausgerechnet, und Rudi aus der Eckkneipe.

Recht, ruft Mephisto, recht, die normative Kraft des Faktischen eben, der große Gleichmacher eben, in der grünen Hölle scheiden sich die Revolutionäre eben, die Buddhas, die Pol Pots, die Maos, die, die so oder so in die Erinnerung eingehen, von denen, die es nicht tun, spätestens dann, wenn es kein Bananenblatt mehr gibt, um den braunen Arsch auszuwischen, spätestens dann geht es ins Geschichtsbuch oder ins Massengrab.

Und ist es nicht das, schreit er und führt einen Stoß, was Du willst, auf die Titelseiten und die Denkmäler und die Lippen der Menschen, aber Du willst auch nicht Dein Scheißpapier weggeben, die Freude an der Uni, die Freiheit, zu lassen, was Du willst, willst Dich auch nicht mit der Hand auswischen, willst Anerkennung und Bewunderung und Liebe, ohne einen Finger zu krümmen!

Er atmet angestrengt und fährt fort, warum wertest Du Dich selbst so ab, die Arbeiter sagen Dir doch selbst, dass sie lieber länger studiert hätten, die Gesichter der Verheirateten werden von Jahr zu Jahr länger, Mao hätte die Augen von Neugeborenen ausschlürfen können und wäre nicht wesentlich unsympathischer geworden, Denkmäler baut man für Stalins und Kim Jong-Ils, Du weißt doch, Du weißt doch, dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist und nichts unbewundernswerter, nichts unliebenswerter als Heulen und Klagen und Neiden, statt zu tun, was man für richtig hält und sich selbst zu lieben, bist halt ein Langzeitstudent, so what, bist halt weltweit unbekannt, so what, kriegst halt keine acht Jahre Beziehung zustande, so what the fuck, bist trotzdem, unabhängig davon ein Mensch, ein wertvoller, warum wertest Du Dich selbst so ab und das, was Du angeblich verachtest, so auf, warum gibst Du etwas auf Ideale, die Du ablehnst, auf Meinungen, die Du bekämpfst, auf Menschen, die nichts auf Dich geben, warum eiferst Du ihnen heimlich nach, warum?

Geht doch meistens auch gut ohne, nur ab und zu muss ich Dich halt mit dem Schwert bezwingen, mit dem Lichtschwert, lass es weiter selten sein, sagt er und verschwindet.

Und er hat recht.

Und ich mache Coldplay aus und gehe schlafen.

Und im Dunkeln glüht das Schwert nach.

Und verlischt, als der Morgen kommt.

1 Kommentar:

  1. 15 Jahre, nachdem ich diesen Eintrag geschrieben habe, und in einer nun mehr als achtjährigen Beziehung sehe ich hier manches anders.

    AntwortenLöschen