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27.12.2006

Vom Wolf

Der Beta

Wir hatten es hier ja erst zuletzt von ihm. Heute hat Vater W. eine interessante Geschichte vom Wolf erzählt.

In dem Dorf, in dem er aufwuchs, lebte ein Mann, den alle nur Farkasölõ nannten.

In dem Dorf in den Ostkarpaten.

Farkasölõ heißt Wolfstöter.

Ein Wolf fiel Farkasölõ an, von hinten, im Wald in den Karpaten. Doch Farkasölõ nahm den Wolf in den Schwitzkasten und presste ihm seine andere Faust tief, tief in den heißen Rachen. Er erstickte den Wolf und ging zurück ins Dorf, um seinen verletzten Arm vernähen zu lassen, und die Bewohner gingen in den Wald und fanden den Wolf und nannten den Mann Farkasölõ, das heißt Wolfstöter.

Sagt, in diesem Zusammenhang, Rosa von Praunheim, in einem Interview in "Zeit Campus":

Ich hätte jedes Mal kotzen können, wenn ich am Anfang eines Semesters in die satten Gesichter der Studenten geschaut habe. Die kommen alle aus bequemen, bürgerlichen Elternhäusern und haben keine Notwendigkeit, kreativ zu sein.

Sie haben einfach kein Thema. Wenn ich frage: "Was interessiert dich im Leben?", da kommt eigentlich nichts außer Privatleben.

Die meisten langweilen sich in irgendwelchen längeren Beziehungen und träumen davon, eine spießige Familie zu haben. Sie haben so wenig Leidenschaft.

Lesen wir weiter hinten im Heft von Ulrike Meinhof und ob und wie sie heute als Studentin vorstellbar wäre, und endet der Artikel mit den Worten:

50 Jahre später kann man sich die Studentin Ulrike Meinhof überraschend leicht auf einem heutigen Campus vorstellen. Die Studentin, wohlgemerkt. Die Terroristin nicht.

Und das ist der Moment, in dem wir das Heft hinschmeißen und tief grollen und die Autorin und ihren Chefredakteur und ihre ganze Generation von hinten anfallen und ihnen mit messerscharfen Raubtierzähnen den Nacken durchbeißen wollen.

Denn das ist das Problem, genau das Problem. Dass man sich die Terroristin nicht vorstellen kann. Dass man nicht verstehen kann, warum die Hochbegabte in Berlin aus dem Fenster springt und damit ihre Kinder verlässt und ihr Leben und buchstäblich in die Wüste geht. Dass man so satt und so bequem ist, dass man noch nicht eine Narbe erlitten hat, noch nicht einen Funken Leidenschaft gezündet, noch nicht einen Moment gelebt.

Noch nicht einen Moment mit dem Wolf gekämpft hat.

Und darum auch nicht weiß, dass zum Leben das Sterben gehört und das Sterben und das Töten manchmal nötig sind.

Ja, Ironie Supreme, heute morgen 82 untrainierte Kilos um den weißen Arsch, im Ikea-Drehstuhl quakend wie eine Kröte, wohlig beheizt und mit viel zuviel Freizeit, als gut für uns ist, über die verfettete Welt bloggend, mit jedem Finger, der auf die anderen zeigt, zeigen drei auf mich zurück. Und trotzdem.

Ja, die Baader-Ensslin-Bande und Meinhof haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, wie Lehrbücher, und als sie in der Wüste von Jordanien nackt sonnenbadeten, im Lager der Fatah, ausgerechnet im Lager der Fatah, als Deutsche, vor den Fedajeen, die in ihrem Leben noch nie eine nackte Frau gesehen hatten, hätte der Kommandant sie erschießen lassen sollen, alle und zurecht, und danach durch den Dreck schleifen lassen, und der Welt wäre einiges erspart geblieben. Und trotzdem.

Ja, es ist gut, dass man beim Spaziergang im Wald nicht mehr vom Wolf angegriffen wird und mit ihm um sein Leben kämpfen muss und stattdessen satt und bequem werden kann, es ist gut. Und trotzdem.

Und trotzdem heißt Leben Hunger. Heißt Leben Leidenschaft. Heißt Leben Sterben.

Heißt, den Wolf nicht zu vergessen.

Den Wolf im Nacken.

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