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29.01.2009

Andreas' Baader

Vor fünfeinhalb Jahren habe ich den "Großen Deutschen RAF-Film™" gefordert. Ich träumte von einem gewaltigen Epos, das von Strömen von Blut umflossen wird wie die Île de la Cité von der Seine, von hellem Blut aus Benno Ohnesorgs Hinterkopf zu den Klängen der "Zauberflöte", die der Schah von Persien in jenem Moment hörte, bis zu dunklem Blut aus Hanns Martin Schleyers Kopf im stillen Wald. Ich träumte von Ulrike Meinhofs Fenstersprung in Zeitlupe und flitzenden Kugeln in der "Landshut", D-ABCE. Ich träumte, dass bis in die kleinste Rolle die besten Schauspieler aufgeboten würden, die Deutschland zu bieten hat. Ich träumte, also, von einem großen, großen Film.

There are two tragedies in life. One is not to get your heart's desire. The other is to get it.

Die Details in "Der Baader Meinhof Komplex" sind von einer sehr erschreckenden, sehr zufriedenstellenden Pedanterie. Vom weiterrollenden Wagen Siegfried Bubacks über den Einschuss unter Petra Schelms linkem Auge und den Originaldreh im siebten Stock von Stammheim bis zum vollen 70er-Jahre-Schamhaar sitzt alles, und man möchte vor den autistischen Geschichtsnerds in der Ausstattungsabteilung ehrfürchtig in die Knie sinken. Weich werden selbige, wabbelnd sind die Überleitungen wie John McCains Beine, durch Johanna Wokaleks intensive, aufregende Darstellung von Gudrun Ensslin, hinter der sich aber auch Martina Gedeck als Ulrike Marie Meinhof und Nadja Uhl als Brigitte Mohnhaupt nicht verstecken müssen, und auch Vinzenz Kiefer als hübschere Version von Peter-Jürgen Boock und Bruno Ganz als Horst Herold machen ihre Arbeit gut, auch wenn ich bei Letzterem nun für immer den Führer höre, wenn er spricht. Moritz Bleibtreu dagegen scheint hauptsächlich das zu spielen, was er immer spielt, einen sympathischen Kleinkriminellen also, weswegen ihm Baaders Lieblingswort von den "Fotzen" nicht allzu überzeugend über die Zunge rollt, aber man zieht in den Krieg mit der Armee, die man hat usw. In den Nebenrollen schließlich kann man von Tom Schilling über Hannah Herzsprung bis Sandra Borgmann ununterbrochen Schauspielerraten spielen, und in zweieinhalb kurzweiligen Stunden wird der Bogen tatsächlich von schießenden Polizisten in Berlin zu schießenden Terroristen im stillen Wald gezogen, und kein Ereignis bleibt außen vor.

Ist dieser unglaublich aufwendige "Baader Meinhof Komplex" nun aber ein guter Film?

Nein.

Und der Grund dafür ist, dass dieser Film naive Malerei ist, ein röhrender Hirsch des Kinos. Mag er einen auch so realistisch von seiner Lichtung anschauen, dass man sein Röhren fast zu hören scheint, so hat er doch keine Aussage außer der tatsächlichen, keine Tiefe außer der der Leinwand, keine Reflexion und keinen Horizont. Es ist eins, die Geschichte getreu wiederzugeben, ein anderes aber, ihr Bedeutung zu verleihen; dazu muss man die gesicherten Pfade verlassen, um zu interpretieren, zu kontrastieren, zu imaginieren und endlich zu fantasieren, Qualitäten, die den produzierenden Geschichtsbuchhaltern schmerzlich abzugehen scheinen. Wieso gibt es, zum Beispiel, keine Gegenüberstellung der tatsächlichen, lächerlichen Kleinkriminalität Baaders mit der völlig überzogenen, Wolfgang Schäuble bis heute nächtlich feuchte Träume bescherenden Reaktion des deutschen Sicherheitsapparates, die RAF knackt einen Zigarettenautomaten, und vier Stunden später knattern Hubschauber und rollen Panzer durch einen Kreis mit 50 Kilometern Radius, in dessen Mitte drei Schachteln Marlboro von 2000 Polizisten mit entsicherten Maschinenpistolen bewacht werden? Warum keinen Vergleich der drogenbenebelten Mordträume der zweiten Generation mit den drogenbenebelten Exekutionsträumen Franz Josef Strauß'? Kein Verweilen der Kamera mit Ulrike Meinhof in der Einzelhaft, bis selbst die Zuschauer Klaustrophobie empfinden? Keine stilisierte Zeitlupe einer Schießerei im Vordergrund, während im Hintergrund eine schwäbische Hausfrau die Kehrwoche macht, oder irgendetwas, das gezeigt hätte, wie lächerlich die Idee einer Guerilla in Deutschland ist, f'ing Deutschland, wo Revolutionen hingehen, um zu sterben? Selbst die Gespräche zwischen Schleyer und seinen Entführern hätten wie im viel schöneren "Die fetten Jahre sind vorbei" schon einiges zur Bereicherung dieses flachen Baader-Meinhof-Tableaus getan, mussten aber, weil für einen eigentlich notwendigen Mehrteiler offenbar die Eier gefehlt haben, wohl weggelassen werden, von der noch viel notwendigeren echten Auseinandersetzung mit diesem Teil unserer Geschichte ganz zu schweigen.

Verpasst ist diese Gelegenheit.

Verpatzt ist dieser Film.

Zerstoben mein Traum.

Sehr schade.

3 Kommentare:

  1. Der Spruch ist von Shaw, oder?


    Ich habe den Film nicht gesehen.
    Deine Kritik allerdings verschafft mir schon eine Vorstellung vom Film - doch bin ich mir nicht sicher, wie ich das jetzt einordnen soll. Zu groß ist meiner Ansicht nach die Gefahr, dass das, was Du im Film vermisst letzten Endes nicht der defizitären Darstellung dort geschuldet ist, sondern Deinen verqueren Wahrnehmungen... Zum Beispiel: Die Lächerlichkeit einer Guerilla in Deutschland. Klar, unterschreib ich sofort, das Unternehmen RAF schafft eigentlich die Fallhöhe für einen ganzen Witzeband. Aber eben aus heutiger Perspektive. Fünfunddreißig Jahre früher ist das einfach nicht so witzig, denn eine Lächerlichkeit, die Menschenleben kostet, verliert ihren Status als Lächerlichkeit.

    F. J. Strauß als Parallel-Bösewicht auf staatlicher Seite - nichts wunderbarer als das und gleichzeitig ein Plakativitäts-Niveau, das für die BILD-Titelseite qualifiziert. Dass der Typ mit seinen "Exekutionsträumen" (auch diese Formulierung geht - vielleicht satirisch angemessen - zu weit) ganz jenseitig war, mag sein. Aber dass das grundlegende Dilemma ein relevantes ist, würde in Deiner Darstellung verloren gehen.
    Wie gesagt: Ich habe den Film noch nicht gesehen. Aber Deine feuchten Träume einer letzten Endes hollywoodeskeren Darstellung lassen bei mir das Bruckheimer-Glöckchen schrillen, so dass das Lesen dieses Eintrags begleitet von einem cineastischen Tinnitus war.

    Es gibt bessere Träume.

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  2. Vgl. übrigens "Elephant" - "naive Malerei"?

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  3. "Elephant"? Das ist impressionistische Kunst :)

    Ja, der Spruch ist von Shaw.

    Natürlich hat die RAF Menschenleben gekostet, ein paar. Aber das rechtfertigt nicht die apokalyptische nationale Hysterie. Andererseits ist es beim heutigen Terror leider nicht anders ...

    Und schließlich soll der Film hollywoodesker sein, klar, sonst schaut ihn sich doch keiner an. Aber eben auch tiefer und mutiger.

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