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14.12.2007

Marlon Brando

"Spieltrieb" fertiggelesen.

Und obwohl mir trotz meiner ausführlichen Auflistung der Schwächen des Buches entgangen zu sein scheint, dass Juli Zeh auch komplett humorlos ist, dass von ihrer schwerfälligen Explikation von allem (die sehr unnötig ist) seltsamerweise die Figuren ausgenommen sind (bei denen es sehr nötig wäre), dass der Plot buchstäblich ins Leere läuft und darin ständig Dinge passieren, die ohne jegliche erzählerische Konsequenz bleiben, und dass die Autorin schließlich, was vielleicht ein Hauptgrund für manche negative Reaktion sein mag, immer von weit oben herab zu sprechen scheint, als müsste sie einem Kind, das sie für ein bisschen schwachsinnig hält, zum wiederholten Male etwas erklären, obwohl das Kind in Wahrheit alles andere als dumm ist und genau weiß, dass Tante Zehs Ratschläge falsch sind, ätzend wie ihre sauren Küsse; obwohl ich also all dies nun zusätzlich zum bereits beschriebenen Schlechten bemerkt habe, habe ich die letzten Seiten doch in weit friedlicherer und versöhnlicherer Stimmung gelesen als die ersten, ein bisschen vielleicht wie ein gewalttätiger Ehemann, der nach einer Nacht auf der Parkbank wieder ins warme Zuhause gelassen wird, damit es von neuem beginnen kann.

David Niven soll einmal gesehen haben, wie sich Laurence Olivier und Marlon Brando in Vivien Leighs Pool küssten. Wäre ein Tropfen Speichels aus ihren hart und heiß aufeinandergepressten Mündern gefallen und zu einer Anadyomene herangewachsen, hätte er mehr Talent und Relevanz bewiesen als die deutschen Autoren von heute?

Auch Juli Zeh scheint dank ihrer wenigstens in geistiger Hinsicht unzweifelhaft vorhandenen Intelligenz das fast obszön klaffende Nichts zwischen den Buchdeckeln ihrer Kollegen zu spüren und bemüht sich darum einerseits, auf die geschildert gescheiterte Weise eine weltweise und wegweisende Geschichte zu konstruieren, die sich andererseits um genau diese Leere dreht, oder in anderen Worten, wie erstaunlicherweise ihre Figur Smutek einmal bemerkt:

"Dein Problem", brüllte er, die Hände immer noch auf das Porzellan gestützt, das warm zu werden begann und rings um seine Finger beschlug, "ist, dass du das allgemeine NICHTS mit deiner persönlichen LEERE verwechselst."

Wie er, der einzige halbwegs sympathische Charakter in "Spieltrieb", der später auf für den gequälten Leser sehr befriedigende Weise einen der Bösewichte halbtot prügeln darf, kurz vorher ebenfalls völlig richtig sagt, ist die Erkenntnis der Nichtigkeit allen Seins und daraus folgend die kosmische Unwichtigkeit aller Werte, Gesetze und Gebote erstens nichts Neues und zweitens nicht das Ende des Denkens, sondern sein Anfang.

Insofern ist der Versuch der Autorin, breite Leserschichten zu diesem Beginn zu führen, den man Nichts nennen kann oder auch Freiheit oder Tod, trotz seiner Fehler lobenswert, auch wenn der von ihr vorgebrachte Letztgültigkeitsanspruch des Pragmatismus, der sich am reinsten im Spiel zeige, darum "Spieltrieb", verstehste, freilich ebenso im schwarzen Loch verschwindet wie alles andere, denn wenn alles nichts ist, warum nicht gleich jetzt aus Allem Nichts machen, von der Brücke springen oder eine Atombombe zünden oder wenigstens ein bisschen mit der Kettensäge über den Weihnachtsmarkt rennen und alle mit blinkenden roten Mützen blutig enthaupten?

Frohes Fest

Nach dieser angenehmen Phantasie kehrt man aber umso ernüchterter zur kalten Leere der jungen Autoren zurück und wundert sich erneut wie im letzten Eintrag gefragt, warum sie nur nichts und Nichts schreiben können. Aber vielleicht habe ich letztes Mal doch auch schon die Antwort gefunden, ohne sie bereits in ihrer ganzen Tragweite erkannt zu haben:

Sie wissen nichts vom Leben.

Das Foto des schlafenden Babys zur Illustration dieses Befundes ist dabei trotz seiner unwiderstehlichen Niedlichkeit im Nachhinein doch nicht so treffend, wie ich zuerst dachte. Denn ein Säugling mag nicht wissen, wie ein Dieselmotor funktioniert und wie man formvollendet eine Latte macchiato bestellt, aber dass es im menschlichen Leben um etwas geht, nämlich Titten, Milch und Brüllen, das hat er sozusagen ab Werk begriffen, und Juli Zeh, Stuckrad-Barre, Illies und wie sie alle heißen, haben es wieder vergessen. Vielleicht, weil sie als Kinder zuviel Holzspielzeug hatten, vielleicht, weil sie als Teenager die Nachrichten immer bei "logo!" gesehen haben, und vielleicht, weil sie als Erwachsene zu oft "was mit Medien" gemacht haben, über die Gründe ließe sich noch lange spekulieren, und ich werde es auch in Zukunft wohl noch einige Male tun.

Für heute ist mir erstmal eine, meine Generation unheimlich, deren Repräsentanten noch nie geblutet zu haben scheinen, noch nie geweint und noch nie Stella geschrieen und noch nie Laurence Olivier geküsst, im Pool seiner Ehefrau.

Denn was passiert, wenn sie einmal blutet?

5 Kommentare:

  1. Nicht nur die letzten beiden Beiträge...
    Ungewaschene Subjektivität hat das Feuilletonist erst getauft, das Fehlen eines Mindestmaß an Respekt und Anstand. Ja, das war ein konservatives Blatt - aber sind das reaktionäre Werte die in Zeiten des Bloggens nicht mehr gelten oder als Unterwürfigkeit respektive autoritätshörig oder uncouragiert ausgelegt werden.

    Frag dich, würdest du das der Frau Zeh ins Gesicht sagen, Humorlosigkeit, Infantiliät, Belanglosigkeit etc. in deinen starken Worten ? (wie der Phallus im Fleischwolf)

    Im Leben nicht !
    Irgendwo steht, dass im Prinzip ein hassgeladener Hyde hier die Feder führt, während ein sonst ganz netter Kerl (auf den man davon nicht rückschließen dürfe) sich hinter dem Impressum verbirgt.

    Vielleicht darf der hier auch mal in aller Gelassenheit schreiben.
    Gruß

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  2. Ich wüßte manchmal wirklich gerne, wer sich hinter den vielen hier kommentierenden Aliassen verbirgt und ob ich sie schon persönlich kenne, ein kodierter Hinweis würde ja schon reichen.

    Zu Respekt und Anstand gehören für mich notwendig Ehrlichkeit und Offenheit, was Widerspruch, wenn meiner Meinung nach nötig, natürlich beinhaltet.

    Letzten Dienstag war Juli Zeh zu einer Lesung hier in Stuttgart. Ich wäre sehr gerne hin, um ihr zu sagen, daß ich "Spieltrieb" symptomatisch schlecht fand, aber konnte wegen eines Termins leider nicht. Zu Anstand gehört für mich auch, nicht mit zwei Zungen zu sprechen, hier so und da anders. Und Offenheit sollte man nicht mit Unnettigkeit verwechseln.

    Davon unbenommen mag meine bisweilen blumige Ausdrucksweise an einen sanfteren Stil gewöhnten Menschen manchmal extrem vorkommen. Ich finde meinen aber interessanter.

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  3. Ich schließe mich (namentlich bekannt) "Freiherr" allerdings prinzipiell an:
    Würdest Du DAS auch ins Gesicht sagen? Ne, eben.
    Die reduzierte Version "Buch schlecht" ja, das würde ich Dir zutrauen. Aber die blumige Variante? Nö, würdest Du nicht. Zurecht.
    Das zeigt auch Stärke wie Schwäche dieses Blogs: Einerseits nette bis souveräne und oft lustig übertriebene Formulierungen, andererseits leidet der Inhalt durch diese Hyperbeln. Vielleicht kannst Du Deinen schönen blumigen Stil ja auch noch inhaltlich treffender gestalten - das hieße aber, auf manche Extreme zu verzichten.

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  4. Hm. Scheint wieder die Grundfrage dieses Blogs zu sein. Nachdenken.

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  5. Ich find's toll hier...

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