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01.07.2007

Guter Journalismus

Ich bin ja kein Journalist. Und ich finde es weitgehend gefährlich, Sachen und Taten nach laienhaften Maßstäben zu beurteilen, weil man dann schnell mit dem "gesunden" Volksempfinden und "Die sollen doch einfach..." statt mit Vernunft und Verständnis zur Hand ist. Zumindest ein wenig Huhn sollte man sein, wenn man ein Ei beurteilen will.

Dennoch kann man, dies vorausgesetzt, auch als Amateur sagen, ob es einem schmeckt oder nicht, und auch warum. Und wenn in der deutschen Medienbatterie epidemisch sklavische Agenturhörigkeit, Recherchetiefen selbst unter günstigsten Bedingungen von null, hündisches Kuschen vor den Mächtigen, den Herausforderungen und den Wahrheiten, demagogische Hetze, abstoßende Hinterhofprostitution für die allerdreckigsten Werbekunden, aufgeblasenes Nichtssagen in 5000 Zeilen und die sorgsame Vermeidung jeder noch so klitzeklein fundierten eigenen Meinung vorherrschen, riecht der Karton bei mir nach Schwefel.

Und zwar brechreizerregend.

Warum muss ich erst aus dem "Economist" erfahren, dass Hartmut Mehdorn vielleicht doch nicht der Totengräber der Deutschen Bahn ist? Oder dass es nicht nur an der jüdischen Gier der bösen Manager liegt, dass Profite und Löhne sich entkoppelt haben? Oder dass diese gemeinen polnischen Klempner doch nicht die Vorboten der Apokalypse, sondern ein Vorteil für unsere Wirtschaft sind? Oder dass der "Krieg gegen Drogen" zutiefst verlogen ist? Oder dass in Sierra Leone Dinge passiert sind, die Günther Beckstein sofort indizieren würde, wenn er wie ein Mensch Mitleid empfinden könnte? Oder dass diese Dinge bis heute im Sudan passieren? Oder dass es überhaupt einen Ort namens Swasiland gibt? Oder klare, beißende Meinungen zur Unsinnigkeit des Verbots der Holocaustleugnung oder über Putins Liebling, den tschetschenischen Räuberfürsten Ramsan Kadyrow hören, hier ist noch eine? Usw. etc. pp., und dann habe ich noch gar nichts zu den vielen, vielen, vielen, wirklich sehr vielen weniger politischen und hauptsächlich informativen, manchmal auch herrlich skurrilen, liebenswert menschlichen oder sehr berührenden Artikeln gesagt, die fast alle deutschen Redaktionen äußerst alt aussehen lassen.

Wenn guter Journalismus heißt, die wesentlichen Fakten herauszufinden - wie wäre ein gutes Urteil ohne Kenntnis der Fakten möglich, auch wenn sie nicht alles sind und längst nicht allein die Welt erklären, wie mir jetzt T. ins Ohr brüllen würde, meine immer weise, nie diplomatische Allerliebste - und die aus ihnen je nach Weltanschauung erwachsenden Konsequenzen fundiert, meinungsstark und knapp auch gegen Werbekunden und andere Widerstände zu vertreten - was heißt freies, mutiges und überzeugendes Denken sonst -, und guter Journalismus für eine gute Demokratie überlebensnotwendig ist - wie soll man informierte Entscheidungen treffen, wenn man nicht informiert ist -, was heißt es dann für unser Land, wenn ein britisches Wochenmagazin unsere gesamte Presse, von Funk und Fernsehen ganz zu schweigen, derart leichthin vorführen kann?

Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Aber bis dahin bleibe ich, weil mir Deutschland am Herzen liegt, beim "Economist".

2 Kommentare:

  1. Ich finde es gefährlich, wenn es jemand gefährlich findet, Sachen und Taten als Laie zu beurteilen.
    Das zielt mir etwas auf die Expertokratie.
    Lieber habe jeder seine Meinung zu allem als zu nichts. (Bitte wenn möglich im Bewusstsein, dass es noch Inhalte gibt, die sich seinem Wissen entziehen... aber das betrifft ja nicht nur Laien.)

    Insofern: Schön, dass Du Laie darüber schreibst.

    Zum eigentlichen Inhalt kann ich jetzt nicht wirklich viel Sagen, da ich kein Economist-Premium-Kunde bin. Tja, schade. Aber ich glaub Dir mal 50%. Sicherheitshalber.

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  2. Es gibt manchmal einen Free Day Pass, wenn man auf die "Economist"-Seite klickt. Einfach oft genug draufgehen...

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