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17.11.2007

Michel Friedman

Ich in Heidelberg

Auf der Baden-Württembergischen Debattiermeisterschaft 2007 im immer schönen Heidelberg gewesen. Dort mit den verlässlichen Teampartnern K. und F. ein bisschen glücklich ins Finale gekommen, aber nach zahllosen Turnieren, in denen wir zum Teil auf der zweiten Nachkommastelle den Einzug in die K.O.-Runden verpasst haben, ist das mehr als in Ordnung. Das Finale selbst haben wir leider, aber nicht unverständlicherweise verloren, und die auf der Website des Turniers erhältliche Audioaufnahme meines Beitrags, ich war vorletzter Redner der Debatte, macht auch deutlich, warum man am Abend vor wichtigen Wettkämpfen nicht bis drei Uhr morgens Mojitos trinken sollte, auch wenn Hemingway das jeden Tag getan hat. Aber was soll's, Finale rocken!

Als Ehrengast war Michel Friedman anwesend und hielt, während sich die Juroren berieten, eine tolle Rede darüber, warum Widerspruch Respekt ist, aber ich konnte mich wie immer, wenn ich ihn sehe, nicht des Eindrucks erwehren, dass um diesen Mann eine tiefe Traurigkeit ist, ein nie gestillter Schmerz. Vielleicht sind es nur seine immer halb geschlossenen Augen und die Linien seines Gesichts, vielleicht sind es die häufigen Skandale, denen er in diesem Land nicht entkommen konnte, vielleicht muss man so sein, wenn fast die gesamte Familie, bis hinunter zum Cousin fünften Grades, zu Asche und Rauch gemacht wurde.

Vielleicht will Friedman den Skandalen aber auch nicht entkommen.

Vielleicht will er dem Schmerz und dem Traurigen begegnen.

Wie anders ließe sich erklären, dass er sich tatsächlich, in der ansonsten auf fast obszöne Weise ihre vollkommene Belanglosigkeit zelebrierenden "Vanity Fair", zum Interview mit Horst Mahler getroffen hat, der ihn gleich zu Beginn, groß in Form, mit "Heil Hitler, Herr Friedman" begrüßt? So wichtig und so nötig die Demaskierung, die Entlarvung der unmenschlichen Fratze des Totalitären in allen ihren Formen ist, warum muss ausgerechnet Michel Friedman sie betreiben, gerade er die Maske herunterreißen, gerade er sich wieder und wieder in und durch das unsagbar Traurige, das unendlich Schmerzende bohren?

Vielleicht ist hier die Frage schon die Antwort.

Und vielleicht wirkt Friedman dann deshalb so traurig, weil das Traurige trotz seiner Mühen immer so traurig und so schmerzend bleibt.

Aber vielleicht wird es, durch ihn, auch ein kleines bisschen weniger traurig.

Hätten wir nur mehr Traurige wie Michel Friedman!

Michel Friedman in Heidelberg

22 Kommentare:

  1. Sorry, aber so wie du deine Fäuste ballst, so macht das nur ein Schattenboxer oder Angela Merkel ;)

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  2. Ich balle beim Reden eigentlich fast nie die Fäuste, das muß ein Schnappschuss zwischen zwei Bewegungen gewesen sein. Aber sieht bescheuert aus, ja :)

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  3. So, wie Du ihn beschreibst, hab ich Friedman eigentlich noch nie gesehen, dafür war er mir immer zu laut und zu sehr auf Posen bedacht. Aber Deine Lesart finde ich nichtsdestotrotz spannend.

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  4. Vorsicht! Dieser „Paolo Pinkas" mag ja seit jenem Koks-Orgien das Schafskostüm über gezogen zu haben, doch das ändert nichts an seiner Unerträglichkeit. Als Gralshüter der Moral war er über uns alle empor geschwungen und (vielleicht gibt es doch einen Gott) so tief gefallen, wie seine Anmaßungen beleidigend waren.
    Und das Argument, dass er schon allein wegen jener bewussten Moralkeule ein besserer Mensch sei, ist lächerlich.

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  5. Das mußte ja kommen. Aber es ist falsch.

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  6. Und da muss mal wieder Rosa herhalten:

    "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern".

    PS: Aber es ist richtig. Und, wann haben wir jetzt erreicht?

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  7. Wir haben festgestellt, daß Du falsch liegst :)

    Wann und wo hat sich Friedman denn jemals als moralisch höher als seine Interviewpartner und Streitgegner dargestellt? Ohne Ironie ist es mir nur sehr schwer erklärlich, wie man darauf kommen kann, daß Friedman sich für etwas Besseres hält. Treffende und bohrende Fragen freilich sollte man nicht für Anmaßung halten, warum auch?

    Im Übrigen ist mein Argument nicht, daß Friedman wegen einer "Moralkeule" ein Vorbild ist, sondern weil er dort hingeht, wo's weh tut, damit es nicht mehr weh tut.

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  8. Dass ausgerechnet Du eine Lanze FÜR Friedmann brichst gehört zu den Überraschungen, wegen derer (und natürlich nicht nur deswegen) es sich immer wieder lohnt, diesen Blog zu lesen.

    Er wirkt schon arg traurig, da stimme ich Dir zu. Was das Moralkeulen angeht, suche ein Fleißigerer als ich die entsprechende Glosse, die vor ca. einem halben Jahr in Zeit Leben stand und ausreichend lustig war, um auch bei inhaltlichen Bedenken gelesen werden zu sollen. (War das jetzt Deutsch?)


    Ach ja: Hör auf Deine Fäuste immer beim Reden zu ballen, das wollte ich Dir schon lange mal sagen!

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  9. Diese Glosse?
    http://zeus.zeit.de/text/2007/26/Martenstein

    So leicht, wie Martenstein glaubt, lassen sich Doping und Koksen nicht vergleichen. Welchen Vorteil hatte Friedman denn durch seine Drogen? Oder hat er Werbespots für "Keine Macht den Drogen" gedreht oder sich gegen Menschenhandel eingesetzt? Fehler und Dummheit kann ich erkennen, Heuchelei nicht.

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  10. Na ja, Martenstein schreibt die Glosse ja nicht um 100%ig damit ernstgenommen zu werden, das eröffnet ihm natürlich argumentative Freiheiten. Aber Witz hin oder her: Die Sache mit dem Glashaus macht schon Sinn. Und die Aussage "Alle sollten sich Gedanken über Heuchelei und über Doppelmoral machen!" ist in ihrer Allgemeingültigkeit halt wirklich ein Kuckucksei.

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    Ich balle
    http://www.tagged.de/BilderFinale/pages/XDscf0032.html
    meine Faust
    http://www.tagged.de/BilderFinale/pages/XDscf0033.html

    Hihi.

    Instant Replay:

    Offen
    http://www.tagged.de/BilderFinale/pages/XDscf0060.html
    Zu
    http://www.tagged.de/BilderFinale/pages/XDscf0065.html
    ;-)

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  11. Und da kommt noch einmal eine Ladung Senf von mir dazu.

    In dem heutigen Spiegel steht in einem Kommentar über Schmidt/Pocher ein Absatz über das Mahler-Friedman-Interview. Darin sinngemäß, es sei fraglich, wer von beiden (Mahler, Friedman) dabei peinlicher agierte. Bin also nicht allein, mit unrecht haben.

    Und bevor ich hier in der Eva-Herman-Ecke lande: die Religion, die man ausübt oder nicht, macht den Menschen weder zu einem besseren noch schlechteren Wesen. Ich mag bei Friedman den Typus des Charakters dahinter nicht.

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  12. Na ja... ich hab ja nichts dagegen, dass Andi widersprochen wird, aber muss man sich dafür auf den Spiegel berufen? Geht nicht gleich die Bildzeitung?

    Das hat nichts mit der Eva-Herman-Ecke zu tun, Friedmann ist ja wirklich leicht unerträglich oder nervend zu finden, aber soweit ich das Interview gelesen habe (halb), besteht da ein dermaßen weiter Unterschied in Argumentationsweise und erst recht Inhalt, dass so ein Vergleich ähnlich sensationsgeil ist wie die Vanity Fair.

    Huhu, ich sage ein Jude argumentiert ähnlich peinlich wie Horst Mahler. Huhu, bin ich ein ungezogenes Printmedium.
    So what?

    Im Interview (Kenntnisstand: Erste Hälfte) kommt zumindest sehr schön rüber, was für ein Typ dieser Mahler ist. Dass Friedmann ihm auch seltener ins Wort fallen könnte, steht auf einem anderen Blatt.

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  13. Das mag ja sein, daß der "Spiegel" und alle außer mir Michel Friedman nicht mögen. Aber ohne Argumente, warum, ist das nicht diskussionsfähiger als die Frage, ob man lieber Vanille- oder Schokoladeneis ißt.

    Ich frage mich zum Beispiel weiter ernsthaft, wie der offenbar extrem verbreitete Eindruck entstehen konnte, daß Friedman eine Art Moralapostel ist. Wo? Wann? Wie?

    Im Übrigen wurde so ziemlich jeder andere prominente Kokser weniger scharf verurteilt als Friedman. Ohnehin halte ich Drogenkonsum für eine Privatsache, die darum auch legal sein sollte. Was die Prostituierten betrifft, hätte er es besser wissen müssen, als Zwangsprostituierte in Anspruch zu nehmen, aber wer ist das Land des Peter Hartz, ihn deswegen zu verurteilen? Wenn es den Leuten um das Wohl der Nutten ginge, würden sie bei ihren eigenen Bordellbesuchen anfangen.

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  14. Ich glaub, der springende Punkt ist, dass es effektiv der Schokolade-/Vanilleeis-Frage entspricht.
    Geht ja hier nicht um eine wissenschaftliche Darlegung von Friedmanns Moralapostelei.
    Ansonsten würde ich natürlich Zitate wie "Alle sollten sich Gedanken über Heuchelei und über Doppelmoral machen!" und dergleichen anführen und belegen, aber wozu...

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  15. Friedman hat ja nun nicht unrecht damit, Heuchelei und Doppelmoral anzuprangern, auch wenn das natürlich ein Gemeinplatz ist. Aber macht ihn das gleich zum Moralapostel? Moralisiert er z.B. ständig in seinen Sendungen? Und macht ihn das gleich so unerträglich, wie ihn offenbar sehr viele finden? Hat er nicht recht?

    Ich frage, weil ich es wirklich nicht weiß. Und bin um jede Aufklärung dankbar.

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  16. Das ich mich einmal mit Alice Schwarzer verbünde...nun gut.

    Interview mit Sandra Maischberger während der "Paolo Pinkel Affäre"

    "Wir haben es hier mit jemandem zu tun, der eine öffentliche Person und eine moralische Instanz ist als stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Zentralrates. Ich hatte Michel Friedman bisher so verstanden, dass gerade er - und auch vor allem in dieser Funktion - dafür kämpft, dass man auch unter widrigsten Umständen Menschen als solche erkennt und sie respektiert. Darum wäre es gerade in dem Zusammenhang wichtig gewesen, auch von der Tatsache zu sprechen, dass es hier um einen Mann geht, der sich bei Zuhältern, bei Menschenhändlern, Frauen bestellt hat. ...
    ... Wenn ich ihm raten würde, würde ich ihm aus zwei Gründen abraten weiter im Fernsehen zu arbeiten: Zum Einen eben wegen dieser Angefasstheit. Zum Anderen, weil mir in den letzten Monaten und vielleicht sogar schon Jahren zunehmend aufgefallen ist, dass er seine Arbeit sehr unprofessionell betrieben hat. Ich fand den Stil zunehmend unerträglich, weil sehr eitel und sehr selbstgerecht."


    Quelle:
    http://www.aliceschwarzer.de/134.html

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  17. Ach ja, Alice Schwarzer. Vielleicht sind Friedman und sie sich weit ähnlicher, als sie glauben mag. Aus Eitelkeit tut auch sie manch seltsam Ding, z.B. Kai Diekmann rimmen.

    Aber sie hat dennoch nicht unrecht. Friedman hätte sichergehen müssen, keine Zwangsprostituierten in Anspruch zu nehmen.

    Trotzdem ist mir der Aufruhr um seine Affäre weithin unerklärlich. Um das Wohl der versklavten Russinnen und Ukrainerinnen ging es dabei offensichtlich nicht, weil sich sonst jeder zweite deutsche Mann erstmal an den eigenen Penis hätte fassen müssen. Zu Prostituierten zu gehen ist ohnehin quasi salonfähig. Und das Kokain, wie gesagt, so what? Ob schließlich ein als aggressiver Interviewer bekannter Vorsitzender des Zentralrats der Juden eine "moralische Instanz" ist oder vielmehr zu einer gemacht wird, ist eine andere Frage.

    Oder doch die, um die es geht?

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  18. Da bin ich wieder.

    Sicher will ich mich nicht hinter Alice Schwarzer verstecken - sie ist mir ja auch nicht immer grün - darum gebe ich nun gerne meine eigene Interpretation über Herrn Friedman zu Protokoll.

    Andi, du fragst Dich, wieso Herr Friedman ein Moral-Apostel genannt wird.
    Sicherlich kann man darüber streiten, inwiefern er durch sein polarisierendes Auftreten ein Moralapostel war. Ich habe ihn damals in den Interviews als scharfen und teilweise persönlich angreifenden Moderator wahrgenommen. Doch hatte ich immer ein gewisses Mindestmaß an Respekt für ihn. Ebenso hatte er durch seine Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Zentralrates eine verantwortungsvolle Position, die er letztendlich durch sein menschliches Fehlverhalten diskreditierte.
    Menschen in solchen Positionen haben gewisse Privilegien, die ich ihnen gerne zugestehe. Im Gegenzug haben sie moralische Verantwortung, um dieses Amt würdevoll begleiten zu können. Und Herr Friedman hat durch sein - zugegebenermaßen durchaus menschliches - Verhalten, dieses Vertrauen in ihm und sein Amt beschmutzt.
    Menschen in diesen Positionen müssen moralisch integer sein. Herr Friedman hat für mich in diesem Sinne ein doppeltes Spiel geführt. Einerseits hat er anderen Menschen in den Interviews ihre Schwächen durch sein rhetorisches Geschick öffentlich aufgezeigt und hat ebenso im Zentralrat der Juden eine verantwortungsvolle Position inne gehabt. Auf der anderen Seite hat er unter einem Decknamen rauschhafte Parties mit Zwangsprostituierten betrieben. Dadurch war und ist er moralisch nicht tragbar.

    Wegen dem begriff "Moralapostel" gebe ich gerne klein bei. Ich habe es eher als moralische Verantwortung gemeint, die er missbraucht hat.

    Muss jetzt mal schlafen gehen. Eventuelle grammatikalische oder Rechtschreibfehler bitte ich zu verzeihen, da angetrunken ich bin. Hicks.

    Aber immer wieder schön hier.

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  19. Das mit der moralischen Verantwortung ist wohl richtig bzw. sehe ich auch so. Aber rechtfertigen seine Interviewtechnik und seine Position im Zentralrat der Juden wirklich den entstandenen Aufruhr? Ist ein TV-Talker und Vorsitzender eines öffentlich-rechtlichen Vereins wirklich so eine hohe moralische Instanz, daß sie so tief fällt?

    Ich kann mich nicht erinnern, daß es bei Jörg Immendorff (elf! Prostituierte und Koks) oder Peter Hartz (von VW bezahlte! Prostituierte und Viagra) einen ähnlichen Aufschrei gegeben hätte.

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  20. Zitat von Andi:
    Aber rechtfertigen seine Interviewtest und seine Position im Zentralrat der Juden wirklich den entstandenen Aufruhr?


    Friedman hat in der Sendung "Vorsicht Friedman!" und auch in anderen öffentlichen Foren Menschen für ihre Fehler direkter und schärfer angegriffen, als jeder andere Journalist in ähnlicher Position. Das kann man gut heißen oder auch nicht, ist aber auch nicht per se zu verurteilen. Doch im Gegenzug ist es nicht ungerecht, wenn er bei eigenem Fehlverhalten stärker in den öffentlichen Fokus gerät, als ein Peter Hartz oder Jörg Immmendorff. Wer mit Steinen wirft, muss damit rechnen, selber von welchen getroffen zu werden

    Nun zu der Position im Zentralrat. Wer dieses Amt begleitet, hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die deutsche Politik. Ebenso muss diese Aufgabe sorgfältig und besonnen betrieben werden, da man ein Mittler zwischen den historisch bedingten schwierigen Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist. Wenn man solche Positionen begleitet, hat man die Pflicht, dass eigene Verhalten stärker zu reflektieren als "normale" Bürger. Das mag auf den ersten Blick ungerecht erscheinen, ist aber notwendig, da eine Vorbildwirkung von Ämtern dieser Tragweite ausgeht. Und Friedman ist in diesem Sinne untragbar.

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  21. Ich sehe das nicht so, daß ein Großkritiker selbst gegenüber Kritik unangreifbar sein muß, seine Kritik wird dadurch nicht falscher oder richtiger. Auch den Zentralrat der Juden sehe ich in keiner höheren moralischen Pflicht als Vorsitzende anderer Vereine.

    Aber wenn das die Mehrheit anders sieht, ist das zumindest eine Erklärung, warum Friedman bei seiner Affäre so angefeindet wurde.

    Ein Teil der Erklärung.

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  22. Du könntest eine Dirk von Lowtzow-Coverband gründen mit deiner Stimme...

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