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27.11.2007

Mogadischu Fensterplatz

Nach langer Zeit mal wieder im Theater gewesen.

Unbenommen der professionellen Inszenierung, der angenehm verschwenderischen Requisite und der präzisen Schauspieler, die man freilich in einem richtigen Theater auch erwarten darf, wurde ich allerdings auch diesmal ein wenig enttäuscht, wenn auch nicht so stark wie beim letzten Bühnenbesuch.

Dass die Entführten an Körper, Seele und Geist zutiefst leiden - geschenkt. Dass die Regierung mauschelt, trickst und schmiert, um die Geiseln freizukriegen - bekannt. Dass die Entführer für obskurste Ziele nur die Gewalt perpetuieren, die ihnen angetan wurde - gewusst. Dass Terror und Staat miteinander einen Totentanz feiern - hey, selbst gebloggt, und sogar zweimal. Und dass schließlich etwas in einem für immer stirbt, wenn man mit Alkohol übergossen wird und in zehn Minuten verbrannt werden soll - in diesen Worten noch nicht gehört, aber einleuchtend folgerichtig.

Wenn aber der Inhalt eines Stückes geschenkt ist, und bekannt, und gewusst, und beschrieben, und leicht verstanden, und also eingängig ist, gut konsumierbar, vertraut, endlich wohlig, was unterscheidet es dann von "Pretty Woman" oder "Love Actually"? Was tut es, außer seine Zuschauer zu unterhalten? In welche tiefere Ebene der conditio humana dringt es vor? Was ist sein Wert? Warum es sehen?

Oder ist das nur wieder der übergebildete Flagellant in mir, der ums Verrecken nicht einsieht, dass ein Werk, das seine Konsumenten nicht mindestens zu einem guten Teil unterhält, von keinem gesehen wird und entsprechend auch niemandem noch so "tiefe Ebenen" zeigen kann, was soll das überhaupt heißen? Schließlich hat der gute alte Steffen Spülzwerg mit seinem Blick auf "Schindler's List" ja im Gegensatz zu mir nur recht, lest dort oder gleich hier:

ZEIT: Und doch ist der Holocaust eine Geschichte von unvorstellbarer Vernichtung. "Schindlers Liste" hingegen ist eine Geschichte über das Überleben. Mit einer klassischen Katharsis.

Spielberg: Ich habe den Holocaust nicht verfälscht, nur weil ich "Schindlers Liste" ein optimistisches Ende gab. Schindler hat 1200 Juden gerettet und ihnen die Chance gegeben, Kinder und Enkel zu bekommen. Aus 1200 Überlebenden wurden 6000 Nachkommen. Das war einer der wenigen Lichtblicke in der Geschichte des Holocaust. Natürlich hatte ich die Wahl: Erzähle ich die Geschichte der Überlebenden, oder erzähle ich die Geschichte derer, die in den Ofen kamen und zu Asche wurden? Hätte ich die Geschichte der Toten erzählt, hätte niemand diesen Film sehen wollen. Keiner wäre im Kino sitzen geblieben. Und der Film wäre schnell vergessen worden.

ZEIT: Wie stehen Sie zu Claude Lanzmans "Shoah"?

Spielberg: Der fehlende Einfluss von "Shoah" hängt damit zusammen, dass es ein Dokumentarfilm ist. Damit bekommt man kein Publikum, und schon gar nicht im Kino.

ZEIT: Glauben Sie nicht, dass manche Inhalte auch eine bestimmte Form erfordern? Sie selbst haben mit Ihrer Shoah Foundation den Dokumentarfilm "The Last Days" produziert. In diesem Film werden die Erzählungen von Holocaust-Überlebenden in kleine Schnipsel zerteilt und mit rührseliger Musik unterlegt. Unfassbares Leid wird konsumierbar in melodramatischer Form.

Spielberg: Ich muss Ihnen widersprechen. Für mich ist "The Last Days" der beste Dokumentarfilm, der je über den Holocaust gedreht wurde. Ich habe die Form nie als melodramatisch empfunden. Der Film erzählt von fünf Überlebenden, die zurück nach Budapest gehen, an den Ort, wo sie interniert wurden und ihre ganze Familie verloren. Es ist einer der meistgesehenen Dokumentarfilme überhaupt.

ZEIT: Publikumserfolg ist etwas Schönes. Aber ist er wirklich Ihr wichtigstes Kriterium?

Spielberg: Nein, aber ein entscheidendes.

ZEIT: Sie haben allein mit Jurassic Park 2 fast 300 Millionen Dollar verdient. Ein Drittel der 30 erfolgreichsten Filme aller Zeiten wurde von Ihnen produziert oder gedreht. Da könnten Sie sich doch mal einen Film ohne Happy End leisten. Oder auch einen Holocaust-Film, der nicht unbedingt erfolgreich sein muss.

Spielberg: Vielleicht ist Erfolg das falsche Wort. Es geht mir um Wirksamkeit. Nennen Sie es ruhig Massenwirksamkeit. "Schindlers Liste" und "The Last Days" führten dazu, dass sich 52000 Überlebende bereit erklärten, ihre Erinnerung an den Holocaust auf Video aufnehmen zu lassen. Dadurch öffneten sich die Türen für sieben weitere Dokumentationen. [...]

Ist es also, solange man nicht offensichtliches Schindluder mit Fakten und Figuren treibt, immer besser, die Grausamkeiten und das Leid der Welt leicht konsumierbar zu machen, damit sie gesehen, damit sie als ungerecht gesehen, damit sie der Änderung nötig gesehen, damit sie geändert werden? Immer besser, zu unterhalten, dadurch zu informieren, damit womöglich aufzurütteln, statt selbst an den Menschen zu rütteln, auch wenn es manchmal noch so nötig scheint? Oder, um mit Mary Poppins zu sprechen:

That a spoonful of sugar helps the medicine go down,
the medicine go dow-wown,
the medicine go down.
Just a spoonful of sugar helps the medicine go down
in a most delightful way.

In gewissem Sinne ist das, wieder und immer noch, die Grundfrage dieses Blogs, eine der Grundfragen meines Lebens. Und Steven Spielbergs und Mary Poppins' Antwort anzunehmen, sei sie noch so richtig, hieße, in beidem meinen Kurs wahrnehmbar zu ändern, in Richtung auf einen neuen Horizont.

Habt Geduld, wenn die "Enterprise" nicht so schnell drehen kann.

Der Flugzeugträger.

5 Kommentare:

  1. Hans im Glück gefälllt mir auch besser als eine Broschüre über Altersvorsorge. Und ist "Saving Private Ryan" nicht ein Streifen der auf eine morbide Art und Weise unterhält, aber seine Aussage besser unterstreicht als jede Statistik ?

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  2. "Saving Private Ryan"? Dieser Heile-Welt-Streifen? Dieses Feelgood-Movie? In dem am Ende alles gut ausgeht, Hauptsache, Private Ryan ist gerettet? Das ist genau-

    Das ist genau auch so ein Fall?

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  3. Ich habe den Film gesehen, da war ich gerade so 16, und es war für mich das schlimmste Leinwanderlebnis.
    Ich rede von der ersten viertel Stunde die die Landung darstellt, wo's eben keine Helden gibt, wo gar nichts gut ist. Später gibt's noch ein paar ähnliche Szenen, und auch wenn dann alles zusammengerührt wird mit Freiheitspathos und Huldigungen am Grab sind mir dann doch andere Stellen im Film im Gedächtnis geblieben. Er hat schon mehrere Facetten, dieser Film.

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  4. "Saving Private Ryan"? Ich sag nur "Drecksfilm"! Basta!

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  5. Der Anfang am "Omaha Beach" war gut, ja. Aber der Rest, naja. Trotzdem sollte ich vielleicht nochmal über den Film nachdenken und ihn womöglich auch sehen, im Lichte meines neuen Kurses.

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