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20.08.2008

A Streetcar named Desire

Zum ersten Mal "A Streetcar named Desire" gesehen. Und Gott, ist das ein großartiger Film. Die archaische, animalische Wucht des jungen Marlon Brando und der klassische, potemkinsche Habitus der späten Vivien Leigh treffen unter Elia Kazans perfekter Regie unvergesslich aufeinander. Gott.

In diesem Kontext mit Freundinnen A. und I. vor dem Ausgehen lecker gegessen und, der letzten "Neon"-Ausgabe ansichtig (Titel: "Diesmal zahle ich! Die Liebe und das Geld - warum eine Beziehung klare Finanz-Regeln braucht"), gemeint, dass das Magazin sich an Fünfzigjährige im Körper von Dreißigjährigen wende. An geistige Frührentner und im Laufrad glückliche Hamster. Auf Unverständnis gestoßen und konsterniert gewesen und gedacht, was ist mit mir los?

Ich weiß, dass Geld ein Faktor in Beziehungen ist. Dass man ihn zur Zufriedenheit aller Beteiligten lösen sollte. Und dass die meisten Menschen für Rat und Hilfe in dieser Frage dankbar sind, was nicht nur die "Neon"-Leser, sondern auch die Autoren und die Anzeigenkunden glücklich macht, ich weiß und ich verstehe das.

Aber trotzdem, was hat so ein Titel auf einem Magazin für junge Erwachsene zu suchen? Warum diese gedankenlose Affirmation, diese leidenschaftslose Asepsis, diese Selbstrelegation in die Trivialität? Ist das größte Problem der jungen deutschen Erwachsenen wirklich, ob Ole-Kevin das Spüli zahlt oder Lisa-Lisa? Bewegt unsere, meine Generation wirklich nichts mehr als das Klein-Klein in unseren privaten Lebensblasen, heute schillern sie blau und morgen grün, weil öko ist ja jetzt in? Und warum kaufen wir dann nicht gleich "Frau mit Herz" oder FHM, da lernen wir auch noch, wie wir uns in nur fünf Wochen durch Powersticken einen Waschbrettbauch zaubern?

Ist es zuviel verlangt, ist es so utopisch, andere Geschichten zu erwarten? Zum Beispiel, wie man in einer Dreierbeziehung das Geld aufteilt? Oder wie man ganz ohne Geld zusammenleben kann? Oder was wir tun müssten, um nicht unser ganzes Denken, unser ganzes Sein vom Kapitalismus durchseuchen zu lassen, so nützlich er ist? Oder wie wir für mehr Gerechtigkeit auf der Welt sorgen könnten, Gerechtigkeit und Freiheit und Wohlstand, damit auch Abubakar und Lin Lin bald keine größeren Sorgen mehr haben, als wer den von zuviel Spülen gesprungenen Teller ersetzen soll? Weil wir Menschen sind und auf der Welt, um anderen Menschen zu helfen und ansonsten, um das, was ist, zu hinterfragen, ob es nicht besser ginge, damit es uns besser ginge? Ist diese urtümliche Botschaft, dieses göttliche Gebot noch heute zu radikal, um gedruckt zu werden? Und wenn, wieso steht dann in jedem Haus ein Neues Testament, und unsere Helden sind Gandhi und Martin Luther King Jr.?

Ist es so seltsam, auf all das hinzuweisen? Bin ich so seltsam, lieber mit Brando und Vivien Leigh in einer winzigen Wohnung im unerträglich schwülen New Orleans Teller an die Wand und Radios aus dem Fenster werfen, als in Ole-Kevins großzügigem Loft eine Excel-Tabelle für Lisa-Lisas Ausgabenentwicklung der letzten 120 Tage erstellen zu wollen, weil ersteres trotz aller Wunden Leben ist, blutendes Leben, und zweiteres null Kelvin? Oder ritzen sich nach dieser Logik auch Emos, "um etwas zu spüren", und ich muss nur mal zu Dr. Lecter in die Praxis?

Und ist es nur eine Flucht vor meiner Ohnmacht, nur eine verbale Kompensation meiner Inertie, wohlfeil Revolution zu fordern, Revolution und Mitgefühl, wo doch das Volk mit dem Status Quo zufrieden scheint und "Neon" kauft? Gibt es kein Publikum für Aktivismus und Änderung außer im Amnesty-Anzeiger, und will ich nur nicht erkennen, dass der Horizont der meisten Menschen scheinbar am Rande ihrer Blase endet und sie damit nicht nur zufrieden sind, sondern sogar glücklich, und ich ihnen unzulässig reinredete, wenn ich sie zum Weitersehen zwingen wollte, wie ich auch kein Oktroi meiner Lebensgestaltung wünsche und es sogar bitter bekämpfe?

Und trotzdem, und trotzdem, und trotzdem.

Und trotzdem will ich wider den Stachel löcken.

Und trotzdem will ich nicht schweigen.

Und trotzdem will ich, zuerst, dagegen sein.

Denn das ist meine Sehnsucht.

1 Kommentar:

  1. 13 Jahre später habe ich eingesehen, dass Geld in einer Beziehung wirklich wichtig ist! Mein Embourgeoisement ist fast komplett.

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