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22.04.2021

Warum entscheiden Politiker:innen immer schlechter?

Irgendwas scheint ganz grundsätzlich nicht (mehr) bei Entscheidungen von Politiker:innen zu stimmen, nicht nur in der Coronakrise.

Und wir müssen etwas tun, sonst wird es nur noch schlimmer.

Ich bin wohl naiv. Aber wenn ich davon ausgehe, dass Politiker:innen nicht nur gewählt werden wollen, um wiedergewählt zu werden, sondern um politisch zu gestalten, gehe ich davon aus, dass sie für Entscheidungen 1) Informationen beschaffen und 2) diese interpretieren müssen.

1) Wie beschafft man Informationen? Zum Beispiel indem man
  • Liest: Bücher, Paper, Zeitungen, Veröffentlichungen parlamentarischer wissenschaftlicher Dienste, das Internet usw.
  • Sieht: Nachrichten, Dokus, Wissenschaftssendungen usw.
  • Zuhört: Gespräche mit Expert:innen, Mitarbeitenden, Bürger:innen ...
Zum Beispiel könnte man erwarten, dass der Bundesminister für Gesundheit zu Entscheidungen über die Eindämmung der Pandemie u.a. Virolog:innen, Aerosolforscher:innen und Mediziner:innen befragt, aber auch z.B. Ökonom:innen über wirtschaftliche Auswirkungen, neue Papers liest usw. Barack Obama hat berühmterweise jeden (!) Abend einen dicken Ordner zum Lesen erhalten und dazu einen Stapel weiterer Ordner mit Hintergrundinfos und auch gelesen. Vom Präsidenten eines der wichtigsten Länder der Welt würde man nicht weniger erwarten.

Und in Deutschland? Da berichtet die Virologin Melanie Brinkmann, dass sich bei MinisterpräsidentInnenkonferenzen einige Teilnehmende nicht mal die Mühe gemacht hätten, ihr für drei Minuten (!) zuzuhören. Ein großer gesellschaftlicher Aufschrei blieb jedoch aus.

2) Fast noch wichtiger als Informationen zu beschaffen ist es aber, diese zu interpretieren. Zum Beispiel:
  • Die Seriosität der Informationen an sich beurteilen
  • Die Seriosität und die Interessen der Quellen beurteilen
  • Die Informationen gewichten, kurz- und langfristig
  • Modellierungen und Szenarien hinterfragen usw.
Eine grundlegende natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche, aber auch u.a. kulturelle Allgemeinbildung ist dabei hilfreich, Informationen einzuordnen. Zum Beispiel:
  • Was sind die Eigenschaften von Exponentialfunktionen?
  • Wie werden Medikamente hergestellt und zugelassen?
  • Wie ist es, zu ersticken?
  • Motiviert es Menschen mehr, durch den Nebel zu stochern oder ein klares, wenn auch schweres Ziel vor Augen zu haben?
  • Wie ergeht es Gesellschaften, die ihren Politiker:innen nicht mehr vertrauen?
  • Was sind die wichtigsten Ziele des Grundgesetzes?
  • Usw.
Das muss nicht nur Buchwissen sein: Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock hat nach eigener Aussage u.a. deshalb viel Impfstoff für das Vereinigte Königreich bestellt, gegen die Empfehlung seiner Berater:innen (!), weil er zufällig gerade den Film "Contagion" gesehen hatte.

Was wären die Alternativen dazu, vor Entscheidungen 1) Informationen zu beschaffen und 2) diese zu interpretieren?
  • Ganz uninformiert zu entscheiden (Modell Trump)
  • Auf Grundlage der letzten erhaltenen oder zufällig gemerkter Informationen zu entscheiden (wieder Trump)
  • Korrupt zu entscheiden (Modell Scheuer)
  • Mal so und mal so zu entscheiden, weil man Informationen nicht interpretieren kann, z.B. keine Exponentialfunktionen versteht (Modell Laschet).
Es sollte klar sein, dass das keine guten Modelle sind, zumal in so stürmischen Zeiten.

Doch in der deutschen Politik scheint etwas grundsätzlich nicht mehr zu stimmen, denn diese vier schlechten Modelle nehmen überhand, und sinnvolle Entscheidungen wie z.B. "NoCovid" oder viel härtere Klimaschutzmaßnahmen werden nicht getroffen oder auf die lange Bank geschoben. Meine These ist nun, dass das nicht nur an Lobbygeld, Angst vor Abwahl, vermeintlich harte Entscheidungen abstrafenden Wähler:innen usw. liegt, sondern auch an schlechten Informationsbeschaffungs- und Interpretationsprozessen von Politiker:innen.

Warum ist das so? Einige Erklärungsansätze:
  • Zu viele oder zu wenige, zu homogene Berater:innen
  • Zu wenig Zeit, sich gründlich zu informieren
  • Schlechte Kenntnisse in Quellenkritik
  • Mangelnde vor allem natur- und sozialwissenschaftliche Bildung, bei Jurist:innen z.B. Iudex non calculat.
Lösungsansätze könnten so zum Beispiel sein:
  • Breiter aufgestellte Beratung
  • Lesezeit statt z.B. Besuchen beim lokalen Schützenfest
  • "Wie informiere ich mich"-Seminare für Abgeordnete
  • Mehr Repräsentant:innen mit anderen als juristischen/akademischen Hintergründen.
Und was denkt ihr?

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