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29.12.2006

Notfallpraxis

Husten, der vor allem und ausgesprochen nervig kurz vor dem Einschlafen in die Lunge und die Stirnhöhle explodiert, als wäre ich neunzig Jahre alt und würde im Hafen von Batavia syphilitisch zerfressen mein Restleben rasselnd aushauchen, während mich meine achtundvierzig schwarzen und gelben Kinder beweinen und der javanische Schamane die Zukunft aus angenagten Hühnerknochen liest. Keines der üblichen Mittel, Schröpfen mit Egeln, Opfern mit Kleintieren, Sex mit Jungfrauen hilft, es kommt sogar noch ein arger Schnupfen hinzu, diese Rotzkinder von heute putzen sich auch nie die Nase, und so fahre ich vor dem Wochenende in die dramatisch klingende Notfallpraxis der Stuttgarter Ärzteschaft im Marienhospital.

Und bin augenblicklich begeistert, weil es darin genauso aussieht, wie man es sich aus Ärzte- und Polizistenserien vorstellt, genau so: verblichen lachsfarben bezogene Sitzgruppen, überdimensioniert Trost spendende Tropenpflanzen, halb indirektes Neonlicht, hetzende Ärzte, sanfte Krankenschwestern, blinkende Aufzüge, und einmal wird sogar der Weihnachtsmann zur Beinoperation vorbeigefahren, der Arme.

Aber am Besten, am Lustigsten, am Allerfarbigsten sind die Notfälle, die Patienten, das "Krankengut", wie es auf Informationstafeln zur Schwierigkeit laparoskopischer Cholezystektomien bei morbid Adipösen heißt, sie sind offenbar nicht schwerer als bei Normalgewichtigen, wenn man nur einmal fünf Pfleger gefunden hat, die das Krankengut auf den OP-Tisch wuchten. Gute Nachrichten also für die niedliche Transferempfängerfamilie auf der anderen Seite der Sitzgruppe vor mir, Babar der Elefantenkönig, Medizinball, Kind, und für den jungen, langsam ansetzenden Rocker mit Tätowierung und Totenkopfmütze, der seine wohl magenverstimmte Freundin zärtlich streichelt, der große Gleichmacher eben, auch für den Begleiter der stadtbekannten obdachlosen Punkerin, der sie, die mindestens eine Lungenentzündung zu haben scheint, am Ende rührendst auf Händen zu den Ärzten trägt, mit schlackerndem Tupac-Shirt und klingendem, riesigem Bling-Bling. Von den, Entschuldigung, aber Hunter Thompson hat auch nie gezögert, Sozialpädagogenlesben, die ihre nicht mehr gehfähige Freundin mit Galgenhumor aufmuntern, es gibt tatsächlich einen Bestatter direkt gegenüber des Krankenhauses, just-in-time delivery for the win, und dem ältlichen Ehemann, der seiner Frau ein Magazin aus dem entfernten Ständer holt, wenn auch sonst in der Ehe nichts und niemand mehr geht, gar nicht erst zu schreiben: Ich gehe höchst vergnügt und wenig hustend zur Behandlung.

Meine Ärztin ist Oma Duck. Im Kessel von Stalingrad muss sie ein wunderbarer letzter Anblick für zahllose zerfetzte Soldaten gewesen sein, das Alter hat ihrer Schönheit bis auf die üblichen Fältchen und Linien wenig anhaben können, ihr Dutt sitzt fest und doch nicht unlocker, und hätte sie ihre randlose Brille an, wäre ich mit Freuden Franz Gans, am Tag auf dem Felde schlafend Kraft sammelnd für den Abend, denn sie gehört tatsächlich noch zur Generation der abhörenden Ärzte, und der kompetenten. Vielleicht wäre ein Handkuss zur Verabschiedung besser gewesen, aber seit ich von der Masche erfahren habe, dabei mit der Zunge zwischen den Zeige- und Mittelfinger zu lecken und der Frau dann zu sagen, sie solle sich vorstellen, das seien ihre Schenkel, kann ich irgendwie nicht mehr unschuldig handküssen, und so gebe ich ihr nur die Hand und gehe zur Nachtapotheke zehn Straßen weiter, pfeifend.

In der Türjalousie der Apotheke ist tatsächlich eine Klappe, und der Apotheker hat tatsächlich einen unausgeschlafenen Zweitagebart und muss sich tatsächlich bis zum Wirbelsäulenschaden vorbeugen, um durch die Klappe sprechen zu können, nur sein nichtendenwollender Sermon, wie genau ich die Medikamente einzunehmen habe, vielleicht ist er froh, mal mit jemandem sprechen zu können, und natürlich die Mondpreise für die Zuzahlungen passen nicht ganz ins Klischee, vielleicht hätte ich zum Ausgleich mit verschwörerischer Stimme noch ein paar Noppenkondome ordern sollen, aber die letzten drei Jungfrauen hatten sich so beschwert und gleich von ihren Eltern abholen lassen.

Die Klappe geht wieder zu, und ich fahre gesundend heim. Ein schöner Abend.

2 Kommentare:

  1. Schön, dass du gesund bist.

    Vor allem aber danke für diesen wunderbaren Text.

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  2. Was ich an Erlebnissen der letzten Tage zu berichten habe, ist vielleicht weniger spektakulär, doch nicht minder ergreifend:

    http://myblog.de/danielnaftaly/art/47932292/Zitat_des_Tages_

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