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18.02.2007

Arthas

Ich habe in meinem Leben noch nicht eine Minute "Warcraft III" gespielt, obwohl ich damit laut übereinstimmenden Zeugenaussagen etwas verpasse. Aber als weitreisende Menschenkriegerin in "World of Warcraft", worüber noch zu schreiben sein wird, ist es geboten, sich mit den Völkern und der Geschichte seiner Welt auseinanderzusetzen, besonders der ihrer dunkelsten Stunden.

Maivven

Arthas Menethil war der Kronprinz von Lordaeron, der Stolz seines Vaters und der Lieblingsschüler seines Lehrers, und als die Dämonen und die Untoten in das Reich des Königs kamen, stand er an vorderster Front, um sein Volk zu schützen.

Doch es war schon zu spät, und die Bewohner einer Stadt hatten bereits von der vergifteten Saat gegessen, die auch sie bald in Untote verwandeln sollte.

Und Arthas ließ sie töten, die Männer, die Frauen, die Kinder, alle bis zum letzten Tier.

Auf der Jagd nach dem Dämon, den er für das vergossene Blut verantwortlich glaubte, fand er im eisigen Herzen des nördlichsten Kontinents ein verwunschenes Schwert: Frostmourne. Er rief, er werde alles geben, jeden Preis zahlen, wenn das Schwert ihm nur helfe, sein Volk zu retten, und Frostmourne kam aus dem Kristall frei, in seine Hand, und fing an, in seinem Kopf zu flüstern.

Und der Prinz ermordete seinen eigenen Vater, den König.

Nach weiteren Untaten, weiteren Greueln, weiterem Blut, das die Klinge des Schwertes rot färbte, kehrte Arthas zu den Gletschern Northrends zurück und erklomm den höchsten und größten von ihnen, Icecrown, die verblassenden Stimmen seiner ehemaligen Freunde und Lehrer im Ohr, und stand schließlich vor dem Gefrorenen Thron, dem Gefängnis des Lichkönigs.

Der Lichkönig, einmal ein Orkschamane, hatte Frostmourne erschaffen, hatte Arthas' verführbaren Geist von dem Moment an, in dem er den Griff des Schwertes umschloss, nach und nach vergiftet und war nun, endlich, endlich an seinem Ziel, Freiheit, Allmacht, Rache. Ein vorletztes Mal sprach er in Arthas' Gedanken:

Return the blade ... Complete the circle ... Release me from this prison!

Mit einem gewaltigen Schrei zerschlug der Prinz das Eis, das den Thron umgriff, und er nahm den fürchterlichen Helm des Königs und setzte ihn auf, und als er seine Augen aufschlug, hörte Arthas Menethil mit diesen Worten auf zu sein:

NOW, WE ARE ONE!

Der neue König der Untoten sitzt auf seinem kalten Thron und befehligt seine Heere mit seinem gottgleichen, unbeugsamen Willen, von unendlichem Unleben beseelt, unendlich mächtig, unendlich rachsüchtig, unendlich einsam.

Warum nun diese Nacherzählung einer allerdings ziemlich coolen Storyline, die man aber auch ohne Weiteres an den einschlägigen Orten nachlesen könnte?

Ich werde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass Arthas mir etwas zu sagen hat.

Sollte ich vielleicht davon absehen, meine weisen Lehrer abzuschlachten?

Sollte ich in Zukunft keine runenverzierten Klingen mehr aufsammeln, die nachts heiser zu mir sprechen?

Oder ist es doch wieder nur, dass es eben schwer ist, ein Mädchen zu finden, wenn man hinter "Lieblingsfilm: Casablanca" und "Lieblingsessen: Austern im Kerzenlicht" schreibt, "Lieblingsuntote: Liches", und weder erklären müssen will, was Liches sind, noch es nicht erklären müssen will? Nerds sind schlimm.

Ich stand vor einem Werbeplakat. Im neugierdehalber für eine halbe Stunde heruntergeladenen Second Life, der letztgültigen Travestie des Kapitalismus, vor einem Werbeplakat für den Kauf eines Penis, stand mit meinem Avatar "Arthas Renoir" davor und dachte nach.

Über "Moby-Dick".

Forehead to forehead I meet thee, this third time, Moby Dick!

Bei meinem letzten Wikipediaanfall - man kennt das, will "kurz" einen Begriff recherchieren, folgt im entsprechenden Artikel zwei, drei weiteren Links und schaltet Stunden später im Morgengrauen mit viereckigen Augen den Computer aus, mit Halbwissen vom Hölzchen bis zum Stöckchen übervoll - war ich auf ein hochinteressantes Paper gestoßen, das belegt, dass das Spermaceti-Organ von Pottwalen als effektiver Rammbock bei Paarungskämpfen dienen kann.

Und ich dachte, wie recht der alte Ahab doch hatte.

Und ich dachte, wer weiß heute schon seit seinem 15. Lebensjahr wie ich, dass Pottwale ein Spermaceti-Organ haben und warum Spermaceti Spermaceti heißt?

Und ich dachte, wer findet schon Paper über die Funktion dieses Organs als Rammbock faszinierend, nachdem er Bio nach der elften Klasse abgewählt hat?

Und ich dachte, wer merkt sich schon über "Second Life" zuallererst, dass man dort Penisse kaufen kann wie Rüben, und geht gleich nach seiner virtuellen Inkarnation einen suchen, nachdem er überlegt hat, ob er sich Arthas, Sephiroth oder Vader nennen soll, irgendetwas haben die drei doch gemeinsam?

Und ich dachte, wer hat überhaupt Lieblingsuntote, und dann auch noch Liches? Und findet es ausgesprochen lustig, dass Liches und orthodoxe Juden beide sogenannte Phylakterien nutzen, erstere für ihre Seelen, letztere für Torahverse? Ist ja für beide irgendwie auch dasselbe.

Welche platonische Hälfte, und das ist auch wieder so ein Begriff, nicht wahr, formt mit meiner eine Kugel?

Mind you, ich schreibe das in einem antizyklischen, also ziemlich zufriedenen Moment, aber der Sklave, der im Augenblick des Triumphes den Lorbeerkranz über den Kopf des Cäsars hielt, flüsterte ihm auch memento mori ins Ohr, bedenke, dass Du sterblich bist.

Arthas hätte einen solchen Sklaven gut gebrauchen können.

Ahab erst recht.

Faszinierende Figuren sind sie trotzdem. Oder deswegen.

Aber auch einsame.

3 Kommentare:

  1. Was für ein geiler Eintrag.

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  2. ja gut geschrieben!

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  3. /jubeln
    /froh
    /zwinkern

    Andi ohne deine Seite und deine genialen Artikel würde mir was im Netz fehlen. Die sind einfach legendary ;-)

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