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31.10.2011

Those were the days 8 1/2, Retardierung und Dénouement

Die früheren Teile dieser Serie sind hier: 1, 2, 3, 4, 5-1, 5-2, 6, 6 1/2, 6 3/4, 7 und 8. Dies ist, unglaublich aber wahr, der letzte Teil.

"Hallo? Ist da jemand? Andi? Hallo?! Das ist so hell hier, ich kann gar nichts-"

Ich dachte, ich räume die Bühne meines vergangenen Lebens mal leer, um einen unverstellten Blick auf die aus ihm erwachsene Erkenntnis zu ermöglichen. Und Du musst ja nicht gerade mitten in den Scheinwerfer blicken.

"Hm. Retardierung? Dénouement? Bühne Deines Lebens? Erwachsene Erkenntnis? Offenbar ist Dir noch nicht erwachsen, dass solcher Obskurantismus Dich zu lesen alles andere als leicht macht. Ich höre mich ja selbst schon wie Du an!"

Niedlich. Aber wenn Du erlaubst, lass uns doch mit der Geschichte aus dem letzten Teil fortfahren.

"Hmpf. Klar."

Sie hat das Telefon also nie mehr abgenommen. Und auch auf Mails, Karten, Briefe ... nicht reagiert. Besuchen wollte ich sie nicht, um sie nicht mit meinem Dasein zu überfallen, wirklich wahr. Ich verstritt mich inzwischen mit No, der, warum auch immer, partout nicht glauben wollte, dass Oddjob mehr als nur Freundschaft mit Honey wünschte, und mich einen Stalker genannt hatte. Er spricht bis heute nicht wieder mit m-

"Halt mal. Stalker?"

Ich habe mich nicht in den Büschen vor ihrer Wohnung versteckt oder sowas. Aber ich verstummte und starrte, wenn wir uns zu mehreren mit ihr begegneten, sah andere, die mit ihr sprachen, böse an, hatte im Kopf nur mehr sie, sie, sie, rief sie an, umso öfter, je weniger sie erreichbar war ... Du weißt, dass ich keinem Käfer den Panzer krümmen würde. Aber das war alles andere als gesunde Verliebtheit, wenn das kein Oxymoron ist. In meiner absoluten Hingabe, meiner absoluten Aufgabe und ihrem absoluten Mysterium, ihrer absoluten Unklarheit hatten sich wirklich zwei gesucht und gefunden, a match made in hell, wie wir Pseudoangelsachsen sagen. Die Katastrophe war so unausweichlich wie in einer griechischen Tragödie, und wie in jener hat jeder Versuch, sie abzuwenden, ihre Folgen nur noch schlimmer, die Götter nur noch zorniger gemacht. Wie immer haben die ollen Hellenen auch hierin und hierzu schon alles gewusst und gesagt, vielleicht verstehst Du ja jetzt, warum ich sie so mag.

"Man sucht und findet sich, nicht wahr? Man versucht davonzurennen und läuft doch nur im Kreis, gerät immer wieder an dieselbe, für einen mehr als schlechte Sorte Mensch ... letztlich sind das ja nur Versuche, vor sich selbst davonzulaufen, die natürlich scheitern müssen."

Gut, Unbewusstes, ich habe Dich viel gelehrt. Wir wollen an dieser Stelle nicht spekulieren, wie es kam, dass ich war, wie ich war, wer kann das schon ganz ermessen, und manches soll selbst in diesem Rahmen privat bleiben, es reicht hier, zu sagen, dass mehrere unglückliche Umstände zusammenkamen, endo- und exogene, wichtig aber und einer der Gründe, warum diese Serie entstanden ist, neben der Selbsterkenntnis des Schreibens und der Unterhaltung, natürlich, ist, wie immer auf unserer Soapbox, die Belehrung und die Besserwisserei, am allerliebsten durchs Megaphon.

"Dann megaphone mal."

Gern und gleich, mein Baby. Aber zuerst: Irgendwann hat sie sich doch wieder gemeldet, schrieb, dass sie, ich weiß es nicht mehr genau, glaube aber, die "Freundschaftsverwirrungen" oder so leid war und sich einfach eine Zeitlang ausklinken wollte, und mit keinem Wort erwähnte sie mein Liebesgeständnis. Die Welt ging inzwischen unter, es war der 11. September 2001, acht Tage vor meinem Geburtstag. Auch an jenem Tag rief und rief ich sie an, vergebens.

"Glaubst Du, Du hattest ein Anrecht auf Antwort?"

Nein, und das ist vielleicht eine der schwersten Lektionen, die man lernen muss, dass es manchmal nicht mal für einen selbst Antwort gibt. Man öffnet sich wie nie zuvor im Leben für einen Menschen, mit grützeweich zitternden Knien, und statt einer Reaktion, irgendeiner, die einem zeigt, dass man am Leben ist, dass man da ist, und wenn es Hass ist, kommt- nichts. Das ist hart, in einer Konstellation wie meiner doppelt und dreifach, aber im All hört Dich keiner schreien.

"Du willst darauf hinaus, dass man sich selbst vergewissern muss, dass man am Leben ist? Dass man selbst da sein muss, für sich da sein?"

Vielleicht ist das mein Mantra. Narziss verliebte sich in sein Spiegelbild, weil er sich selbst nicht erkannte, und er warf sein Leben in den See, vegetierte leer, eine tote, glotzende Hülle. Und auch, wie Freundin K. uns lehrt, soviel Weisheit aus so schönem Munde, selbst wenn sie gesagt hätte, sie liebte mich, sie hasste mich, das sind so große, schwere Worte für so kleine, leichte Menschen, es ist hier wie dort: Das Absolute gibt es nicht, sondern das Leben. Oh, und wie es das gibt, oh, Baby! Warum sich dieses herrliche, dieses im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare Dasein durch Angst, durch Minderwertigkeitsgefühl, durch schwaches Selbstbewusstsein verderben lassen? Umarme Dich selbst, und die Welt wird Dich umarmen!

"Schön, Guru, schön. Das sagt sich so leicht, alles so leicht. Was aber soll jemand, der jetzt so ist, wie Du einst warst, tun?"

Ja, heimleuchten ist einfach, aber dem Licht folgen muss man doch selbst. Nachdem sie sich wieder gemeldet hatte, war ich einen Moment eifersüchtig auf einen weiteren Freund, der mir etwas von ihr zu wollen schien, was über drei Ecken zuerst No und dann sie mitbekamen, worauf sie in einer Mail an mich vor Wut fast explodierte, von ihrer und jedes anderen Warte aus muss ich auch reichlich wahnsinnig erschienen sein, und sie brach den Kontakt erneut ab, nachdem sie zuvor schon wieder weniger erreichbar geworden war. Ich sah sie zufällig einige Monate später in der Stadt, stotterte etwas und sie schwieg, und absichtlich noch einige Monate später, ich war zwei Stunden von mir zuhause zu ihr zuhause gegangen, eine Rose in der Hand, sie versprach, sich bei mir zu melden, hinein ließ sie mich nicht, gemeldet hat sie sich nicht, nie mehr. Im Mai jenes Jahres, es waren mittlerweile fast zehn Monate, seit ich ihr gesagt hatte, dass ich sie liebte, hatte ich den ersten und einzigen Nervenzusammenbruch meines Lebens, auf der Feier eines ehemaligen Mitschülers im Waldheim musste ich vor der fröhlichen, glücklichen, grinsenden Menge erst auf den Fußballrasen und dann nach Hause fliehen, aus Liebeskummer flennend durch die laue Nacht. Es ging mir noch zehn Monate schlecht danach, die triste Informatik und die tristeren Informatiker taten ihr Übriges, und mein Talent, mein unseliges zum Selbstmitleid, konnte sich voll entfalten.

"Und dann? Wie bist Du auf die Straße nach Damaskus gekommen?"

Ich wünschte, ich könnte voller Stolz und Würde berichten, wie mich Jesus, Scientology, Schlangenöl auf den Highway zur Selbstliebe und Erleuchtung geführt haben, doch der Pfad war noch lange steinig und eng, und die guten Menschen, die ich endlich traf und die ihn mit mir gingen, hatten bisweilen mit ihm und mir zu kämpfen, auch wenn alle meine Konflikte natürlich kein Vergleich mit existentiellen Dramen zum Beispiel missbrauchter Frauen oder terrorisierter Männer waren. Das machte mein Erleben aber natürlich nicht weniger schmerzlich. Schließlich ging es, langsam, aber stetig aufwärts, die Zeit heilte, ich gewann Selbstbewusstsein, ich küsste, ich hatte endlich Sex, ich wechselte, unter turbulenten Umständen, ohne die geht es bei mir nie, mein Studium, ich kam aus dem Tal der absoluten Illusionen ans goldene Licht der Realität und streckte meine Glieder zur Sonne, meine Nase. Ich war glücklich geworden, hatte einen Partner fürs Leben gefunden: mich.

"Ja, aber WIE DENN?"

Meinst Du nicht, ich wäre längst mit dem Schlangenöl zur Selbstliebe reich geworden, wenn es das nur gäbe? Selbst wenn The Man nicht alles täte, um es sofort nach Erscheinen zu verbieten und zu vernichten, wer würde denn noch seine dicken Autos fahren, seine teuren Pelze kaufen, seinem feisten Führer gehorchen müssen, wenn er doch sich selbst hätte, immer sich selbst und seine Liebe? Wahre Liebe, umso mehr von einer anderen Person unabhängige, macht unendlich frei, das ist die Lösung dieser hier gestellten Hausaufgabe, nur sechseinhalb Jahre verspätet.

Man wird so wenig leicht von einer traurigen, bleichen Raupe zu einem strahlenden Schmetterling, wie jene es selbst wird. Die Chrysalis zu spinnen verlangt das ganze Können des Wurms. Aber sie wird schön, golden schön, und aus ihr schlüpft ein herrliches, leuchtendes Wesen. Weil die Larve das tut, worin sie gut ist.

"... ... ...Und das war's? Der große, fulminante Abschluss der längsten und bedeutendsten Serie Deines Blogs ist der Rat, sich in einen Kokon aus Material einzuspinnen, das man aus seinem Arsch gepresst hat? DAS WAR'S?"

Ich fürchte ja. Etwas enttäuschend, oder?

"ETWAS?!?"

Dann ist die Wirklichkeit enttäuschend. Die unspektakuläre Realität des Sichliebenlernens, der Anerkennung seiner Stärken, der Arbeit an seinen Schwächen, des stetigen Zens der Weltversenkung. Sicher, James Bond braucht das nicht, er nicht. Aber jeder Mensch.

"...So schließen wir, richtig?"

Ja.

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