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05.03.2007

Third Rate in Second Life

Die Berichterstattung der "Süddeutschen" habe ich noch ignoriert.

Über den "Second Life"-Artikel in der "Zeit" habe ich schon die Stirn gerunzelt.

Auf dem Titel des "Spiegels" aber hat die Epidemie ihren Höhepunkt erreicht.

Der Spiegel über Second Life

Zeit, ihr Einhalt zu gebieten.

Das Magazin vom 17. Februar also gekauft und aufgeschlagen, um gleich auf der Hausmitteilungsseite den ersten Schock zu erleiden: Rebecca Casati, meine ganz besondere Freundin, schreibt für den "Spiegel", sie? Und dann gleich über "Second Life", sie mit ihrer fundierten technischen Ausbildung?! Und was um Guccis Willen hat sie auf ihrem Foto eigentlich für eine grottenhässliche Fantasieuniform an, sie, Rebecca Casati?!? Überflüssig zu erwähnen, dass der protofaschistische Matthias "Ich bin Deutschland" Matussek und das One-Trick-Pony Moritz von Uslar als am folgenden Schwanengesang des kompetenten und recherchierenden deutschen Journalismus mitschuldige "Redakteure" Casati nur zu gut ergänzen.

Hastig zum Artikel weitergeblättert, der natürlich mit allerdings virtuellen, aber dicken Titten aufmacht, und würgend die ersten beiden noch viel dickeren Klöpse geschluckt: die "erste echte Millionärin aus 'Second Life'", Ailin Gräf alias "Anshe Chung", und die Benutzerzahl von "3,5 Millionen", nach "Spiegel"-Rechnung mittlerweile also über vier Millionen.

Nun bin ich kein Journalist und habe nicht eine Minute der harten und lehrreichen Ausbildung durchlaufen, die ein "Spiegel"-Mitarbeiter zweifellos aufweist, den Schiffsjungen lässt man ja nicht ans Steuer des Flugzeugträgers. Auch von Wirtschaft verstehe ich nicht mehr als ein wenig interessierter Laie, sicher so gut wie nichts verglichen mit den ausgewiesenen Experten, die der "Spiegel" jederzeit zur Verfügung haben kann.

Selbst einem Protogehirn wie Matussek sollte also, wenn schon nicht selbst, so doch durch Zuarbeit seiner Schergen und Wasserträger auffallen, zum Beispiel mit zwei Klicks, zwei f'ing Klicks und zehn Sekunden Denken auf der "Second Life"-Website, dass "eine Million" keine Million ist, wenn das tägliche Börsenvolumen eine Viertelmillion kaum übersteigt und liquide und immobile Werte der Spielwirtschaft zusammen nur grob zwanzig Millionen umfassen (Links nicht mehr aktuell).

Für die Casatis dieser Welt noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Wenn ich auf einem riesigen Goldwürfel hockte, in den ein Zwanzigstel allen je geförderten Goldes auf der Welt geflossen wäre, dieser Klotz wöge dann über 7.000 Tonnen und hätte eine Kantenlänge von etwas über 7 Metern, wäre ich dann reicher als Bill Gates oder wenigstens Gott, wenn ich ihn verkaufte?

Mein Goldwürfel

Nein.

Weil mein Würfel jede Börse der Welt sprengen und den Wert des Goldes tief in den Abgrund reißen würde. Denn zuviel Angebot zerstört den Preis, meinen Preis. Mir bliebe daher nur, Stück für Stück des Kolosses abzuhobeln, nach und nach zu verkaufen und zu hoffen, den Preis nicht auf Dauer zu ruinieren. Einfacher Reichtum sieht anders aus.

Ich schäme mich, dem "Spiegel" erklären zu müssen, was ein Zehnjähriger im Wirtschaftsunterricht lernt.

Aber es geht ja glatt so weiter. Auf die gleiche Weise unhinterfragt verbreitet Deutschlands "führendes" "Nachrichten"magazin Benutzerzahlen, die sich mit denselben zwei Klicks wie zuvor, denselben zwei Klicks als absurd aufgeblasen entlarven: Von über vier Millionen im Spiel Angemeldeten hat sich gerade mal jeder Vierte während des letzten Monats eingeloggt, jeder Hundertste einen bezahlten Account gekauft und jeder Dreihundertfünfzigste mehr als ein winziges Taschengeld verdient. Sieht man sich dazu auf der "Second Life"-Homepage die Zahl der gleichzeitig aktiven User an, die kaum je 30.000 überschreitet, und zieht von den zuletzt Eingeloggten die nicht unbeträchtliche Anzahl derer ab, die diesen überfrachteten und unbedienbaren 3-D-Chatroom einmal ausprobiert und für ungenießbar befunden haben, ist es wohl fair zu sagen, dass "Second Life" zur Zeit auf etwa 300- bis 500.000 wiederkehrende Spieler zählen kann. Es wächst, stark sogar, aber keinesfalls um "600 Prozent", wie der "Spiegel" jubelpersert, und es bleibt zu sehen, wie lange die Expansion nach dem Abebben des Jubeljournalismus andauern wird. Eine Revolution sieht anders aus.

Ich schäme mich, dem "Spiegel" zeigen zu müssen, dass sie ihre Recherche auf der f'ing "Second Life"-Website selbst hätten durchführen können.

Fast verzeihlich erscheint es angesichts dieser für jedes mecklenburgische Dorfblättchen unverzeihlichen Böcke, dass Matussek seitenlang über Masken, Avatare und Baudrillard masturbieren darf, obwohl nichts rauskommt, dass die 36-jährige Casati offenbar und absolut erschreckenderweise weder weiß, was "lol" heißt, noch, dass "hun" eine Abkürzung für "honey" ist, also soviel wie "Schatz" oder "Liebling", Rebecca, Liebling, dass der zwischendrin interviewte "Medientheoretiker" Peter Weibel vor allem ein großer Praktiker der Absonderung möglichst heißer, übelriechender und vorverdauter Luft ist, und dass kein Wort, kein einziges Wort über die eigentlich interessanten Aspekte des Phänomens verloren wird, zum Beispiel die Fragilität der "Second Life"-Wirtschaft, in der jeder zehnte an der Währungsbörse gehandelte Spielgeldschein ein von der Betreiberfirma frischgedruckter ist, um den Kurs des "Linden" zum US-Dollar stabil zu halten. Muss ich hinzufügen, dass auch diese Information für alle lesbar auf secondlife.com steht?

So man denn die Grundrechenarten beherrscht.

Ich schließe das Heft und schäme mich.

Schäme mich für ein Land, dessen journalistisches Flaggschiff abgesoffen ist, mit Mann und Maus abgesoffen.

Und auf dessen Deck trotzdem weitergefeiert wird.

Nie mehr von meinem Geld.

Ich bin Matthias Matussek!

6 Kommentare:

  1. Hallo!
    Irgendwas läuft hier falsch, denn ich lese die ganze Zeit, dass Du "ein mieser bilderklauender DIEB" bist. Und das, obwohl doch die Bilder offensichtlich von "andreas-lazar.de" kommen!?

    Da scheint irgendeine Einstellung nicht korrekt zu sein. Ich schicke Dir gerne 'nen Screenshot, wenn Du einen brauchst.

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  2. Hmm, seltsam. Funktioniert's jetzt?

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  3. Das mit dem "miesen bilderklauenden DIEB" hatte ich vor drei Jahren oder so schon einmal auf Moviebazaar gehabt.
    Hatte damals auch Andi geschrieben, doch nur ich hatte anscheinend damals diese merkwürdigen Anzeigen. Sah mir nach dem Werk eines ambitionierten Hackers aus, sofern ich das mit meinem gefährlichen Halbwissen einzuschätzen vermag.
    Zum Trost: irgendwann hatte sich das dann wieder von selbst gegeben.

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  4. Mir ist gerade eingefallen, woran's liegen könnte.

    Das "Dieb"-Bild soll Bandwidthklau verhindern und erscheint, wenn andere Websites die Bilder auf meinen Sites einbinden.

    Das wäre auch der Fall, wenn mein Blog in Eurem Browsercache, im Cache Eures Providers oder in Eurem Feedreader aufgebaut wird. Nennt mir die URL Eures Feedreaders, und ich baue gern eine Ausnahme in meine .htaccess-Datei ein, die das mit dem "Dieb"-Bild steuert. Ansonsten sollte erneutes Laden helfen.

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  5. Jetzt klappt's! :-)

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  6. Gratulation zur überfälligen Entscheidung, künftig auf "die Bild des gehobenen Mannes" (Enzensberger) zu verzichten.

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