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23.10.2006

Carmen, Staatsoper Stuttgart, Premiere

Manchmal ist die Oper schwer zu ertragen. Der aufdringlich unnötige Pomp der Häuser. Die wie für ihre letzte Überseefahrt aufgetakelten Fregatten von Großmetzgersgattinnen und ihre ebenso geschmacklos stilbefreit gekleideten Kreditkartenbefüller. Der bleierne Mythos der achsoschweren Kunstform, nur weil man eine schiefe Note physisch eher spürt als einen falschen Gesichtsausdruck oder ein krummes Drehbuch. Und wenn schon. Die spastischen Schauspielgesten der allzuvielen Sänger, die nur Singen gelernt haben und sonst nichts. Die bis zum Schwachsinn platten Libretti. Die Mondpreise für das Programm und die Pausensnacks, die man nur aus Hunger und Geiz nicht den fachsimpelnden Kennern in ihre schwadronierenden Fratzen schmiert, die sich laufend fragen, ob "man" "das" denn "so" zeigen "müsse" und ob "die" Sängerin nicht "mal" "besser" gewesen sei. Die Buhrufe der Bürgerzombies, der untoten, entkernten Gerippe früher vielleicht existenter Tugenden, für nicht in ihren verrotteten Protogehirnen goutierte Inszenierungen.

Solange die Oper, solange das Publikum so ist, kann das neuerdings so vielgeschmähte Regietheater gar nicht überflüssig geworden sein. Es ist bei einigen ja offenbar noch nicht einmal angekommen.

Soviel als Vorrede zur eben gesehenen und gehörten Premiere von "Carmen" in der Staatsoper Stuttgart. Die Primadonna Karine Babajanian in der Titelpartie und Will Hartmann als Don José schlagen sich sehr achtbar, auch wenn sie zumindest auf mich und zumindest vorhin ein wenig müde wirkten. Umso besser Ina Kancheva als eine rührende Micaëla und Vincent Le Texier als komischer Escamillo, und die herausragende Klasse des Orchesters, diesmal unter der energischen Julia Jones, und des von Michael Alber geleiteten Chors muss man ja nicht mehr extra erwähnen. Verdient brandender Applaus für die Musikkünstler.

Viele Buhs aber für die Regie, die sich doch tatsächlich erdreistet, die Handlung aus dem gewohnten Sevilla ganz in Don Josés Inneres zu verlegen und ihn durchaus folgerichtig als passives und unsicheres Würstchen zu zeichnen, dessen aggressive und eifersüchtige Seiten von der armen Carmen zu beider Verderben hervorgeholt werden: Nur in ihrem Tod kann er sie besitzen. Mit einem ständig zwischen den Sängern herumspringenden grünen Schmürz (Christian Brey), vielen wilden Clowns, der sehr eigenwillig zurechtgebogenen Übersetzung und einem groß über dem Tor zum Hintergrund leuchtenden "Passage du désir" gerät Sebastian Nüblings Inszenierung zwar ziemlich plakativ, aber in seiner Erforschung der Psychen des gefangenen Weicheis und der zwangsfreien Zigeunerin sehr spannend und anregend. Und damit auch unendlich wichtiger, unendlich nötiger als die naive Malerei, die sich die Buher und "Bild"-Leser anscheinend so sehnlich wünschen, in starrer Angst vor dem brüllenden Miura der Realität. Aber was werfen sie auch ihre Estoques weg? Heißt es doch: Toréador, en garde! Toréador! Toréador!!

Matador heißt Töter

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