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27.07.2007

Evas Exegese Eins

Wie versprochen.

Mein Kampf

Bücher sind lebend gespeicherter Geist. Sie wandeln und winden sich unter dem Auge des Lesers, und was als fester Vorsatz eines völligen Verrisses beginnt, wendet sich unversehens zu bloßer Abneigung, dann zu vorsichtiger Indifferenz und am Ende gar, in einem kurzen Moment der Schwäche, zu etwas wie widerwilligem Einverständnis. Wir wollen also sehen, was am Ende dieser Serie unter dem Striche stehen wird. Wohlan!

"Das Eva-Prinzip" ist ein mutiges, überzeugendes Buch, das das Leben jeder Frau ändern wird - und vielleicht auch das einiger Männer.

Schon der letzte Absatz des Klappentextes macht keinen Hehl aus Hermans Heilsversprechen. Scheinbare Utopien waren schließlich schon immer die Spezialität größenwahnsinniger Paranoiker aller Zeiten: "Mein Kampf" ist ein mutiges, überzeugendes Buch, das das Leben jedes Deutschen ändern wird! Stimmte ja auch.

"Unter Mitarbeit" ihrer Ghostwriterin Christine Eichel und einer mysteriösen "Elisabeth, Urkönigin der Weiblichkeit" gewidmet, wovon noch zu schreiben sein wird, hebt das hastigst auf Billigpapier gedruckte knallpinke Werk mit einem "Prolog" an, in dem nicht nur die im Folgenden unglaublich krampfig in jede nur unmögliche Stelle hineingezwängte Adam-und-Eva-Metapher eingeführt, sondern auch die scheinbare Idylle der Moderne brutal demaskiert wird: Im "Supermarkt der Wünsche" gibt es kein Glück zu kaufen. Doch, natürlich: "Wer solche Fragen laut stellt, bricht ein Tabu." Wie gut, dass es eine wie Eva gibt, die sich einmal traut, dem Jud' hinter den Feindmächten in sein böse funkelndes Auge zu blicken! Eine Brecherin eines scheinbaren Tabus, die uns aus der Wüste der Wirklichkeit in das Gelobte Land des Eva-Prinzips führt, zu unser aller Heil! Klar, dass eine so mutige Prophetin von den powers that be mitunter persönlich angegriffen wird:

Das war nicht immer angenehm.

Aber Eva, ist es denn wirklich gar nicht angenehm, sich als heroische Kämpferin einer gerechten Sache zu gerieren? Sag selbst:

Aber die Sache ist zu wichtig, um mich einschüchtern zu lassen. Zu wichtig, um einfach so weiterzumachen wie bisher. Denn es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft unserer Kinder, um den Fortbestand unserer Gesellschaft. Werden wir aussterben, wird unser Land in wenigen hundert Jahren brachliegen?

Wird der Türke, der Türke mit seiner verlausten Kinderschar zwischen den Ruinen des Reichstages spielen, den Überresten unseres Landes, unseres deutschen Volkes? In wenigen Äonen schon gar, in the year 2525? Hilf Eva, hilf! Kämpfe für uns, schreie, was wir nicht einmal zu flüstern wagen!

Offenbar war ausgesprochen worden, was viele denken, aber nicht zu sagen wagten.

So ist es, Schwester, man wird doch wohl noch mal sagen dürfen! Aber was ist das, man wirft Dir hässlich Heuchelei vor?

Eine Frau also, die alle Vorteile der Frauenbewegung für sich genutzt hatte und sie nun öffentlich mit Füßen trat?

Mach sie fertig, Mädchen, posiere als Ulrike Meinhof, Du kleine, liebe Hochstaplerin, und lenke so ganz charmant von der Tatsache ab, dass Du die Frage überhaupt nicht beantwortest:

Nicht trotz meines Berufes schrieb ich diese Bestandsaufnahme, sondern genau deswegen. Gerade als Journalistin werde ich ständig mit den Missständen unserer Gesellschaft konfrontiert, mit Themen wie Vereinsamung und Vernachlässigung, mit Problemen wie zerrütteten Familien und überforderten Frauen. Die Bilanz unserer gesellschaftlichen Entwicklung ist ernüchternd und beängstigend [...] Und ich versuchte herauszufinden, woran das lag.

Ja, woran? Was ist Dein Schlüssel, der die Welt eröffnet, Deine epochale Entdeckung der wirklichen Verhältnisse, Dein ewiger Jude?

Einige typische Feministinnen

Schließlich erkannte ich, dass wir Frauen umso weniger Kompromisse eingehen können, je stärker wir uns dem Prinzip der Selbstverwirklichung zuwenden. Nicht jeder Mann ist in der Lage, nachsichtig und großzügig darauf zu reagieren; und so muss man sich eingestehen, dass neben anderen Faktoren die viel gepriesene Emanzipation durchaus ihren Teil zu einer höheren Trennungsrate beiträgt.

So ist es, nur so, Wasser ist flüssig, der Papst ist Katholik, mehr Selbstverwirklichung bedeutet weniger Kompromisse, und an allem sind die Emanzen schuld, diese keifenden Hexen mit Latzhosen und Haaren unter den Armen! Und die Männer? Die sind halt so, wie sie sind und Punkt, und fertig gefügt ist Evas kleine Welt.

Doch wie kam sie zu dieser eines Religionsstifters würdigen Erleuchtung? Was ist ihre Höhle Hira, ihr Gabriel, der zu ihr sprach?

Erst als ich schwanger wurde, begann sich mein Weltbild zu verändern. Immer klarer wurde mir vor Augen geführt, dass ich nicht der Mittelpunkt war, für den ich mich gehalten hatte. Mein Blickfeld erweiterte sich, Empfindungen wie Empathie und Einfühlungsvermögen gewannen zunehmend an Raum.

In diesem ergreifenden Versuch eines einfachen Gemüts, komplexe Prosa zu schaffen, sehen wir schon den Keim künftiger Größe. Bekanntlich war ja auch Schicklgruber zu Anfang nur ein kleiner Gefreiter, und wohin hat er es endlich gebracht? Er behielt eben immer unbarmherzig seinen großen Feind im Blick:

die meist unverheirateten Feministinnen

In diese verschlüsselte Formulierung, die uns in leichten Abwandlungen im Verlaufe des Buches noch öfter begegnen wird, müssen wir nicht viel Interpretationswillen investieren, um zu erkennen, daß unsere Eva von den "unverheirateten" Frauen auf seltsam besessene Weise fasziniert scheint, und im Zusammenklang mit der eingangs zitierten Widmung für die "Urkönigin der Weiblichkeit" fällt uns so der erste, noch zarte Schlüssel zu Evas Welt in die Hand, geformt wie ein großes "L". Ziehen wir ihn auf unseren Bund.

Fortsetzung folgt...

25.07.2007

Andis Namen bei Starbucks 4

Wenn Bücher, Filme, Stücke, Geschichten an sich nur eine gemeinsame Botschaft haben, eine einzige, ist es die, sich von der Meinung anderer zu lösen, sich selbst zu erkennen, in sich selbst sein Glück, sein Ziel zu finden. Und weil das als "Diogenes" doch ein wenig auffällig gewesen wäre, habe ich es eben als "Alexander" über die Kaffeetheke verkündet. Schmeckt gut.

Kluges, Schönes, Witziges

Warum wir so gerne Celebrity-Klatsch konsumieren. Übrigens: Britney ist wieder in ihrer manischen Phase und wischt Welpenscheiße mit Chanelkleidern auf, während Lindsay besoffen und zugekokst ihrer Assistentin mit dem Auto hinterherrast. Was macht eigentlich Paris?

Wenn aber Hässliche sterben, sieht keiner hin.

Warum sind die meistbesuchten deutschen Blogs oft so kreuzlangweilig und doch die meistbesuchten deutschen Blogs? Weil sie die meistbesuchten deutschen Blogs sind.

Apropos Blogs: eine großartige Bildinterpretation.

Die Logos terroristischer Organisationen. Ob sie dafür einen Praktikanten nehmen?

Und Social-Networking-Spacken schreiben verkorkste Nachrichten an junge Frauen.

Die Selbstzwangsprostitution des Online"journalismus". Mehr Klicks, Olga!

Neuer Sport: Fremdwörter erfinden.

Und schließlich: Women in Film. Wer ist für Euch die Schönste?

20.07.2007

Diogenes und Alexander

Diogenes und Alexander

Diogenes der Hund saß in Korinth vor seiner Tonne und blickte in den strahlenden Tag. Da kam zu ihm Alexander, König von Makedonien, seit eben Oberbefehlshaber aller Truppen Griechenlands, bald Schah von Persien, Pharao von Ägypten, Herrscher fast der gesamten bekannten Welt, der mächtigste Mensch, der je gelebt hatte, und sprach zum Philosophen, was immer er sich wünsche, was immer, er, Alexander, werde es für ihn erfüllen.

"Geh mir nur", antwortete dieser, "ein wenig aus der Sonne."

Und Alexander, fast die gleiche Größe wie sein Gegenüber beweisend, rief, wahrlich, wäre er nicht Alexander, er wollte wohl Diogenes sein, Diogenes in der Tonne.

Ich habe, in diesem Zusammenhang, diesen enttäuschend schlechten Artikel vom sonst eigentlich recht verlässlichen Adam Soboczynski gelesen und mich des studiVZ-Aufruhrs erinnert und nochmal an Ariadne von Schirach gedacht und dass sie tatsächlich interessant zu finden scheint, was in Paris Hiltons Sexvideo passiert, das aber trotzdem ihre Karriere gestartet hat, und ich habe diesen meinen Eintrag wiedergelesen und diese tolle Story im Web gefunden, angelsächsische Journalisten merken einfach früher, wohin der Hase läuft, weil sie ihn im Gegensatz zu den geistes- und körperverfetteten deutschen Schanden ihrer Zunft noch selbst jagen können.

Und, im Bergwerk meines Blogs, im tiefsten Schacht des Internets, ruhend über meine Spitzhacke gebeugt, streichend durch meinen Bart in Gedanken, flackernd die Kerze auf meinem Helm, dachte ich, das sind doch Ausläufer einer Ader, einer einzigen Ader, glitzern immer die gleichen Quarze darin, tragen immer die gleichen Mengen Erz, führen alle ins Herz des Berges.

Graben wir uns, also, vor.

Richtig, in nie gekannter Weise exhibitionieren sich die Menschen im weltweiten Web, der letzte Beziehungsstatus, das jüngste Feierfoto, der scheinbar intimste Gedanke in Nullen und Einsen, für alle sichtbar. Richtig, auch offline öffnen die Männer und die Frauen willig ihre schmuddeligen Trenchcoats für Paybacks, Supernannies und nahtlose Bräune. Und natürlich auch richtig, der Antichrist möchte am liebsten alle bundesdeutschen Arschlöcher mehrmals am Tag bis auf den Grund durchwühlen, um darin den bösen braunen Terrormann zu finden, und ändert dafür die Gesetze, bis, ich würde wirklich nicht auf den folgenden Link klicken, wenn ich meine Arbeit, meinen Partner oder meine Katze behalten wollte, bis der Goatse-Mann der beste Musterbürger ist.

In den Händen Schäuble O'Briens, eines gründlichen Personalers, einer neidischen Nachbarin oder auch einer Frau, die ich liebe, was wird aus all dieser Information, all dieser Offenheit, all dieser Nacktheit?

Wie haben Sie den Bundesminister des Innern auf Lebenszeit gerade genannt?

Wie, Sie möchten für die EU arbeiten, die Sie mal für impotent gehalten haben?

Wie, Se hend zu meim Haus "Anne Franks Versteck" gsecht?

Wie, Du hattest mit fast 22 noch nie ein Mädchen geküsst?

Ja.

Ja und?

Ich sehe in die Höhle, die sich hinter diesem letzten Schlag meiner Spitzhacke weit aufgetan hat, und weiß nicht, was in der Dunkelheit wartet. Aber im Lichte meiner Kerze stehe ich erleuchtet, und ich weiß, dass es gut ist, wie ich bin.

Und aus der Schwärze kommt eine Brise, die nach Moos duftet, nach Stein und nach Meer. Nach Freiheit.

Denn wenn jeder mehr über jeden weiß, wird es egaler, wie jeder ist. Wenn wie nach einer Flut aus jedem Keller vermeintlicher Unrat und Tand nach oben schwemmt, wer mit Anstand wollte noch den ersten Stein werfen, aus den Fäden eines öffentlichen Lebens anderen einen Strick drehen? Und wie wollten sich selbst die mit Macht diesem Schwall entziehen?

Wenn jeder mehr über jeden weiß, gibt jeder sich weniger Illusionen hin. Und lernt vielleicht früher, hinter das Gloria der Fassade und die Verteufelung der Macken zu sehen, den Menschen zu sehen, der gut ist, wie er ist.

Wenn man wegen seiner öffentlichen Wehrhaftigkeit und Korrektheit nicht eingestellt wird, wird es gleißend klarer als zuvor, wer auf der Seite des Lebens steht und wer nicht, und gegen wen man das Schwert zischend aus der Scheide ziehen muss.

Wenn wir nicht in die angebliche Norm und die vorgebliche Form passen, müssen nicht wir uns der Form, sondern die Form sich uns angleichen, das Verlinkte ist so ziemlich der beste einzelne Comicstrip, den ich in meinem Leben je gelesen habe.

Wenn wir sind, wer wir sind, sind wir glücklicher.

Ich höre schon, wie die Stimmen sich erheben und mir, nochmal danke für die Verlinkung, Naivität vorwerfen, Idealismus, Blütenträume, die Tatsache, dass die ohne Anstand und die mit Macht immer Wege und Mittel finden werden, ihre Leichen möglichst tief und wasserfest zu verscharren, jedem anderen aber lautstark seine vermeintlichen Verfehlungen vorzuwerfen und ihn nicht einzustellen, ihm keine Wohnung zu geben, ihn nicht zu lieben. Und das stimmt, natürlich.

Aber die Frage, die einzige, ist:

Wer. Bestimmt. Mein. Leben?

Diogenes, und, mit gänzlich anderen Zielen, auch Alexander haben ihre Antwort gefunden, und es war die gleiche, rein und glasklar, wie Wahrheit ist.

Tun wir es ihnen nach.

Seien wir so frei!

Was soll ich bloggen?

First of all habe ich dafür zumindest in den nächsten Wochen aber sowas von keine Zeit, dass ich eigentlich ältere Einträge für gebrauchte Stunden einlösen müsste. Doch auch ansonsten scheint es mir, als hätte ich zu allem, was aktuell geschieht, schon ein- oder mehrmals in anderen Zusammenhängen alles Nötige gesagt, und darum konzentriere ich mich lieber auf Themen und Geschichten, zu denen hier noch nichts steht, selbst wenn das heißt, dass neue Einträge länger brauchen und etwas seltener kommen. Dafür sind sie auch länger.

Aber Andi, der Schäuble ... will Konzentrationslager errichten? Hat die Geschichte vergessen und dass Terror "Angstmache" heißt? Will auf kaum glaublich dreiste Weise seinen weißen Arsch retten und sonst nichts, wenn es zu einem Anschlag kommt? Alles schon bekannt, alles schon da gewesen.

Aber Andi, die Atomkraftwerke ... wären mit Homer Simpson als Sicherheitsinspektor noch gut bedient gewesen? Alles schon gehört, alles schon da gewesen.

Aber Andi, der Bösebush ... Zzzzzzz.

Überrasche mich wieder, Welt!

09.07.2007

Andi gegen die Fliege

Die Fliege

Hier geht es zum Verdruss meiner entomologischen und auch meiner cineastischen Leser weder um das nervige Insekt noch um den gruseligen Horrorfilm mit Jeff Goldblum, sondern um die dafür noch viel nervigere und gruseligere Fliege aus dem Fernsehen, die Fliege Jürgen.

Da war ich also im Mai auf einem Kolloquium zur "Religion und Integration in Europa" bei der Theodor-Heuss-Stiftung in Stuttgart, und nach der Begrüßung durch die Organisatoren mit klingenden Namen, Ludwig Theodor Heuss und Beatrice von Weizsäcker, sprachen zuerst die diesjährigen Theodor-Heuss-Preisträger Rita Süssmuth und der Reis-ul-ulema Mustafa Cerić, der Großmufti von Bosnien und Herzegowina, zum Publikum.

Es ist immer interessant, Prominente einmal "in Wirklichkeit" zu sehen. Außer dem kleinen, beruhigenden Schock, dass sie tatsächlich echte Menschen sind und keine Roboter oder Hologramme, ist es für mich ausgesprochen spannend, sie einmal aus der Nähe beobachten und vielleicht dahinterkommen zu können, was sie ticken lässt. In Rita Süssmuths Fall scheint es selbst (unter Helmut Kohl?) erfahrene Ausgrenzung zu sein, die sie für in anderen Zusammenhängen gleich Behandelte eintreten lässt, und der hochgebildete, bewundernswert klar denkende und sprechende Großmufti wird offenbar von einem gerüttelten Maß Sendungsbewusstseins und Eitelkeit getrieben:

I thank you for those kind words of welcome.
It is good that my wife is here with me today so she can for once hear who I am.

(Lachen)

Unübertroffen und unübertrefflich in Eitelkeit, Narzissmus und Vanitas aber ist der als nächstes das Podium enternde multimediale Tausendsassa Jürgen "Stuben" Fliege. Braungebrannt, mit öligem Lächeln und bekannt samtener Stimme setzt er zu seiner Rede an, die man über sich rauschen lassen kann wie einen sanften karibischen Wellengang am feinsten Strand im schönsten Urlaub seines Lebens.

Die Fliege aus der Nähe

Oder man kann hinhören.

Und sich die Ohren freipopeln. Und die Augen rotreiben. Und den Unterkiefer vom Boden aufsammeln und das flüchten wollende Hirn durch die Nase zurückdrängen, weil man nicht glauben kann, was dieser scheinbar harmlose Fernsehonkel da sagt.

Wir Deutschen schrecken vor Gefühlen zurück, wegen dieser braunen Nazis.

Darum trauen wir uns nicht, leidenschaftliche Gottesdienste zu feiern.

Darum gehen wir nicht mehr in die Kirche.

Darum zeugen wir zuwenige Kinder.

Weil, so Prof. Dr. Fruchtfliege, nur Gläubige Kinder zeugen.

Und darum werden wir "weggezeugt", von diesen turbantragenden Muselmanen.

Schon mehr als "50%" Braune in manchen Schulklassen!

Deutschland erwache!!

Mein Stift bricht in meiner zur Faust verkrampften Hand fast entzwei, und ich überlege noch, ob ich jetzt zuschlagen oder nur buhen soll, da geht es leider schon weiter, und ein informativer Professor Bade aus Osnabrück und der eben eingeflogene Cem Özdemir berichten aus ihren Erfahrungen, bevor es nach einer halben Fragestunde in die Pause geht.

Kuchenstreusel versprühend und Kaffeeduft verbreitend, lasse ich mich dort gegenüber der derlei Ausbrüche gewohnten, mich erstaunlicherweise aber immer noch zu mögen scheinenden Freundin S. aus, wie unglaublich es ist, dass eine solch widerwärtige Demagogin, eine solch niedere Geistesmade, eine derartig perfide Hetzerin und Aufwieglerin wie die Pferdebremse auf Jahre unbemerkt in der Glotze und zwischen Buchdeckeln ihr Unwesen treiben kann, nur weil niemand von einem evangelischen Pfarrer mit wohligem Timbre Böses erwartet. Wie kann es sein, dass keiner aufsteht und der Fernsehfigur sagt, dass ihre sogenannten Gedanken nicht nur höchst zweidimensional und schwarzweiß sind, sondern auch und besonders schädlich für die Gesundheit?

S. weiß auch keine Antwort, aber schlägt vor, dass ich das doch dem Fliegenmenschen selbst sagen soll, in jener der drei anschließenden Arbeitsgruppen, in der er sitzen wird. Aber aus Rücksicht auf mein bekannt schwaches Herz, und weil ich in der Gruppe auch wirklich arbeiten will und nicht nur nach einem unbedachten Moment vom SEK BW auf den Boden gedrückt werden, und weil ich nicht glaube, einem so in seinem eigenen Spiegelkabinett verirrten Wesen wie Musca domestica noch heraushelfen zu können, und auch, weil zwanzig tatsächliche Zuhörer weniger sind als sechs Milliarden mögliche Leser, gehe ich in die Gruppe mit den Professoren Süssmuth und Bade.

Dort kann die geschätzte ehemalige Bundestagspräsidentin zwar auch nicht die mir seit längerem eher rätselhafte Frage beantworten, warum Integration und Migration politisch nicht richtig vorankommen, wenn die Probleme doch weitestgehend bekannt und in einigen Fällen sogar bis auf die Detailursache hinab wissenschaftlich untersucht sind, meine Vermutung ist ja, dass es mal wieder an der hierzulande so beliebten Ideologie liegt, die immer meilenweit vor jeglichem Pragmatismus kommt, aber die Arbeit ist trotzdem interessant, unterhaltsam und produktiv, und Klaus Bade erzählt sogar aus dem Nähkästchen, wie Rita Süssmuth von den Schergen eines gewissen Otto-Katalog unehrenhaft aus der nach ihr benannten Zuwanderungskommission gemobbt wurde. Die große Politik ist auch nur ein kleiner Sandkasten, wie alles.

So verlasse ich nach dem Schlussplenum den Tagungsort doch noch zufrieden, und mir bleibt nur ein leichtes Unbehagen, nicht genug gegen den braungebrannten Brandstifter aus dem Nachmittagsprogramm, die Fliege Jürgen getan zu haben.

Sei dies hiermit erledigt.

Die Fliege am Ende

07.07.2007

ITMFA

Wer die vierteilige "Washington Post"-Serie über US-Präsident Cheney noch nicht kennt, sollte dies dringend nachholen.

Westdeutschlandreise, Teil 3

Ziemlich übermüdet bei der Konfirmation von Kusine A. in Schwäbisch Hall angekommen, setze ich mich nach der Begrüßung meiner lieben Verwandten und meiner liebsten Familie in der recht modernen Kirche in eine der hinteren Reihen und hoffe auf eine aufgeweckte Predigt, haha. Doch was ich höre, lässt mich nach und nach entgeistern.

Die Pfarrerin "hofft", dass die Konfirmierten in der Gemeinde verbleiben. Sie "bittet" die Gäste, aufzustehen. Sie zeigt, wo die Liedtexte im Programm stehen. Ja, sie spricht sogar das übrigens ziemlich endlose Glaubensbekenntnis vor.

Kurz, die evangelische Kirche ist völlig eierlos geworden.

Whatever happened to "Wenn Ihr die Kirche jemals verlasst, schneidet Euch der Satan den Pillermann ab. Das gilt für Dich, Marvin! Und erst recht für Dich, Marvin!!" Oder dem selbstverständlichen Auswendiglernen der Liturgie? Oder der Predigt auf Latein und der tridentinischen Messe, die Benedikt XVI. übrigens gerade eben wieder erlaubt hat? Ist es wirklich schon so weit, dass man dem heutigem Publikum erklären muss, wozu der kleine runde Fladen am Altar dient?

Kopfschüttelnd kehre ich mit den anderen in einem Restaurant ein, wo ich an einem weiteren Buffet meine Kunst zeigen und am Nebentisch zugleich studieren kann, wie ich nie werden will, so stumpf stiert selbst der Säugling jener Großfamilie vor sich hin. Dagegen erscheinen selbst die seit Jahrzehnten gleichen Witze von Onkel L. plötzlich wie wahre Erfüllung. Zum Nachmittagskaffee bei A.s Familie zuhause berichten Tante I., die respektgebietende Kitchen-Skillz hat, und A.s Mutter A. meiner Schwester A., das sind aber drei verschiedene Namen, wie schwer es ist, eine bestimmte, extrem leckere Torte zu backen. Mit erneuerter Ehrfurcht beiße ich umso herzhafter rein und schlummere auf der anschließenden Heimfahrt sehr müde, aber auch sehr satt und sehr froh ein, während Vater W. steuert.

Ich habe in fünf Tagen fast 1000 Kilometer zurückgelegt, mehr oder weniger einfach so, Menschen getroffen, die ich mag und die mir am Herzen liegen, und getan, was ich am liebsten tue, vorwiegend essen, labern und lachen.

Die meisten Menschen auf der Erde kommen in ihrem Leben auch heute nicht so weit.

Geschweige, dass ihre Reisen so frohen Anlass haben wie meine.

Vergesst dies nicht.

06.07.2007

Videoabend 6

Zuerst ein bisschen Musik. Neben den fast gleich guten "White & Nerdy" und "Time 4 Bed" ist vor allem Sir Mix-a-Lots "Baby got Back" in seiner geradezu feministischen Ode an die weibliche Form bemerkenswert. Oh my god Becky, look at her butt!

Dann ein wenig Kindheitsidole-Ikonoklasmus. Außer den in der Wirklichkeit scheiternden Super Mario und Calvin und Hobbes sind hier die wirklichen "Cartoon All Stars" im Kampf gegen Drogen. Woher weiß Simon Seville, wie Marihuana riecht?

Und schließlich noch etwas Bildung: Der unübertreffliche Oliver Kalkofe zeigt uns die Abgründe des deutschen Fernsehens und die charmante Pornodarstellerin Kellemarie die nackten Tatsachen des Webs. Lehrreich!

02.07.2007

Westdeutschlandreise, Teil 2

Nach einem sehr großartigen Abend mit der unbeschreiblich wunderbaren A. und ihren ausgesprochen sympathischen Freunden F. und J., warum gab es in meiner ersten Fakultät nie so tolle Menschen, verabreden wir uns am nächsten Tag zum Shopping in der Maastrichter Innenstadt.

Zum Power-Shopping.

Mir schwirrt noch ganz der Kopf von der unglaublichen Unzahl an Kleidungsstücken und Schuhen, von denen ich kaum glauben kann, dass sie irgendjemand klaren Verstandes designen und herstellen, geschweige denn kaufen würde, und andererseits der verwirrenden Vielfalt kleiner und kleinster Details und Accessoires, die Outfits erst ihren Reiz und ihre Schönheit geben, zumal an so ausgezeichnet charmanten Trägerinnen wie A. und F., da ist es schon Abend, und wir stolpern bzw. ich stolpere und A. geht in einen der berühmten Holländer Coffeeshops, in denen Drogen so betont nüchtern und trocken sachlich verkauft werden wie sonst nur Knarren und Dildos. Nach dieser interessanten Erfahrung vergeht der Abend rauch-, rede- und weingeschwängert ausnehmend angenehm, und schweren Herzens sage ich der lieben A. am nächsten Morgen auf Wiedersehen. Wollte, ich lebte auch an der Maas.

An meiner nächsten Station Köln angekommen, habe ich kaum Zeit, den tatsächlich noch nie von mir gesehenen, gewaltigen Dom zu bewundern, sondern muss in die Einkaufsmeile eilen, um für das Abendprogramm des bevorstehenden Debattierturniers noch einen neuen schwarzen Anzug zu kaufen, da mein alter sich auf die Dauer doch als zu eng erwiesen hat. Beckenknochenzerdrückend eng.

Die rheinisch direkte Verkäuferin liefert mir mit dem lachenden Hinweis auf mein "Bäuchelchen", das für die Spannung über dem zweiten Knopf sorge, einen weiteren Grund, so langsam vielleicht doch mal über ein wenigstens kleines Abo für die Muckibude nachzudenken, da macht mich ein Blick auf die Uhr zum Turnierort hetzen, den Rollkoffer hüpfend im Schlepptau. Im Turnier selbst schneiden Teampartner J. und ich im Gegensatz zu sonst aus mehreren Gründen weder richtig gut noch richtig schlecht ab, aber solche Phasen muss es auch mal geben, und bei der abendlichen Pisse in Reagenzgläsern, die die Menschen hier statt Bier trinken, ist meine Stimmung wieder so gehoben, dass ich mich zum Ende des Turniers mit meinem neuen Anzug und einer kurz geliehenen Brille sogar zu einem sogenannten "Spaßfoto" hinreißen lasse. Achtung, die Betrachtung kann zu gravierenden und irreparablen Schäden am Zwerchfell führen!

Spaß!!

Mag ich das Turnier auch nicht gewonnen haben, zeige ich meine wahren Fähigkeiten doch am Finalbuffet, das ich wie immer als einer der ersten plündern kann. Derart gestärkt, mache ich mich später auf den Heimweg in die Jugendherberge, um vor der Fahrt zu meinem letzten Ziel Schwäbisch Hall wenigstens noch ein bisschen zu schlafen. Unser dritter Mann M. folgt mir, doch wird bald von passierenden Kölnern in ein freundliches Gespräch verwickelt. Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn eifrig mit einem hübschen Mädchen aus der Gruppe reden, das ihn eben, wie ich später erfahre, eingeladen hat, doch noch mit ihnen mitzukommen. Ich beschließe, ihm nur noch zu sagen, daß ich schon vorgehe und wie der Weg zur Jugendherberge ist, falls er ihn nachher überhaupt noch gehen will, zwinker zwinker, doch der Seppel nimmt meine faktisch-forsche Art für einen Befehl, läuft mir hinterher und lässt das arme Mädchen verdattert stehen.

Weil ich so lachen muss, dass mein Freund lieber mir gehorcht, statt Sex zu haben, kann ich nicht schlafen und verpasse, nachdem ich die Juhe wie ein richtiger Geschäftsmann im Anzug und mit Koffer mitten in der Nacht verlassen habe, für einen Moment eingenickt fast meinen Anschlusszug. Wären Männer nur schwanzgesteuerter!

01.07.2007

Guter Journalismus

Ich bin ja kein Journalist. Und ich finde es weitgehend gefährlich, Sachen und Taten nach laienhaften Maßstäben zu beurteilen, weil man dann schnell mit dem "gesunden" Volksempfinden und "Die sollen doch einfach..." statt mit Vernunft und Verständnis zur Hand ist. Zumindest ein wenig Huhn sollte man sein, wenn man ein Ei beurteilen will.

Dennoch kann man, dies vorausgesetzt, auch als Amateur sagen, ob es einem schmeckt oder nicht, und auch warum. Und wenn in der deutschen Medienbatterie epidemisch sklavische Agenturhörigkeit, Recherchetiefen selbst unter günstigsten Bedingungen von null, hündisches Kuschen vor den Mächtigen, den Herausforderungen und den Wahrheiten, demagogische Hetze, abstoßende Hinterhofprostitution für die allerdreckigsten Werbekunden, aufgeblasenes Nichtssagen in 5000 Zeilen und die sorgsame Vermeidung jeder noch so klitzeklein fundierten eigenen Meinung vorherrschen, riecht der Karton bei mir nach Schwefel.

Und zwar brechreizerregend.

Warum muss ich erst aus dem "Economist" erfahren, dass Hartmut Mehdorn vielleicht doch nicht der Totengräber der Deutschen Bahn ist? Oder dass es nicht nur an der jüdischen Gier der bösen Manager liegt, dass Profite und Löhne sich entkoppelt haben? Oder dass diese gemeinen polnischen Klempner doch nicht die Vorboten der Apokalypse, sondern ein Vorteil für unsere Wirtschaft sind? Oder dass der "Krieg gegen Drogen" zutiefst verlogen ist? Oder dass in Sierra Leone Dinge passiert sind, die Günther Beckstein sofort indizieren würde, wenn er wie ein Mensch Mitleid empfinden könnte? Oder dass diese Dinge bis heute im Sudan passieren? Oder dass es überhaupt einen Ort namens Swasiland gibt? Oder klare, beißende Meinungen zur Unsinnigkeit des Verbots der Holocaustleugnung oder über Putins Liebling, den tschetschenischen Räuberfürsten Ramsan Kadyrow hören, hier ist noch eine? Usw. etc. pp., und dann habe ich noch gar nichts zu den vielen, vielen, vielen, wirklich sehr vielen weniger politischen und hauptsächlich informativen, manchmal auch herrlich skurrilen, liebenswert menschlichen oder sehr berührenden Artikeln gesagt, die fast alle deutschen Redaktionen äußerst alt aussehen lassen.

Wenn guter Journalismus heißt, die wesentlichen Fakten herauszufinden - wie wäre ein gutes Urteil ohne Kenntnis der Fakten möglich, auch wenn sie nicht alles sind und längst nicht allein die Welt erklären, wie mir jetzt T. ins Ohr brüllen würde, meine immer weise, nie diplomatische Allerliebste - und die aus ihnen je nach Weltanschauung erwachsenden Konsequenzen fundiert, meinungsstark und knapp auch gegen Werbekunden und andere Widerstände zu vertreten - was heißt freies, mutiges und überzeugendes Denken sonst -, und guter Journalismus für eine gute Demokratie überlebensnotwendig ist - wie soll man informierte Entscheidungen treffen, wenn man nicht informiert ist -, was heißt es dann für unser Land, wenn ein britisches Wochenmagazin unsere gesamte Presse, von Funk und Fernsehen ganz zu schweigen, derart leichthin vorführen kann?

Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Aber bis dahin bleibe ich, weil mir Deutschland am Herzen liegt, beim "Economist".